Die Rezeption des tridentinischen Priesterideals erwies sich zunächst als schwierig, vor allem, weil sich die Ausbildungssituation der angehenden Kleriker nur langsam verbesserte. Das nachtridentinische Kirchenrecht akzentuierte den character indelebilis, der durch die Weihe einem Priester zukommt, noch stärker und hob hervor, dass sich die Kleriker kraft dessen „als ein bevorzugter Stand von den Laien unterscheiden“. Daher sei es nur natürlich, dass Kirche und weltliche Obrigkeit den Klerus „durch mancherlei Privilegien geehrt“ habe, wie etwa durch das Privilegium canonis – „daß eine jede an einem Cleriker oder Mönche verübte thätliche Beleidigung ipso jure die Excommunication nach sich zieht, von welcher der Injurant die Absolution nicht anders, als dadurch erhalten kann, daß er sich persönlich beim Papste darum bittend einstellt“ –, das Privilegium fori und die persönliche Immunität von allen öffentlichen Lasten oder dem Kriegsdienst, ferner die Steuerfreiheit.29
Nicht nur in Kirchenrecht und Kontroverstheologie, sondern auch in Katechese und Verkündigung wurde nach dem Konzil von Trient das neue Priesterbild zumeist von den Priestern selbst vermittelt. So heißt es etwa im 1566 erstmals herausgegebenen und bis heute immer wieder neu aufgelegten „Catechismus Romanus“: „Zuerst muß daher den Gläubigen dargelegt werden, wie groß der Adel und die Erhabenheit dieses Standes sei, wenn wir nämlich seine höchste Stufe, das ist das Priestertum betrachten. Denn da die … Priester gleichsam Gottes Dolmetscher und Botschafter sind, welche in seinem Namen die Menschen das göttliche Gesetz und die Lebensvorschriften lehren und die Person Gottes selbst auf Erden vertreten: so ist offenbar ihr Amt ein solches, daß man sich kein höheres ausdenken kann, daher sie mit Recht nicht nur Engel sondern auch Götter genannt werden, weil sie des unsterblichen Gottes Kraft und Hoheit bei uns vertreten.“30
Das hohe Priesterideal, das Kirchenrecht, Theologie und Katechismen propagierten, ging mit einem entsprechenden Selbstverständnis der Priester einher, wie Renate Dürr in einer Studie, die Predigten des 17. und 18. Jahrhunderts auswertet, nachgewiesen hat. Immer wieder wurde die Äußerung Franz von Assisis zitiert, er würde „wenn ihm ein Heiliger aus dem Paradies und ein Priester begegnen sollte, zuvor den Priester und dann erst den Heiligen ehren“.31 Und noch häufiger Bernhardin von Siena, der dem Priester eine höhere Würde als der Jungfrau Maria zusprach. „Denn während Maria acht Worte gebraucht habe, um Christus in ihr zu einem Menschen zu wandeln, brauche der Priester nur die fünf Worte: Hoc est enim corpus meum. … Und schließlich habe Maria die Wandlung nur einmal vollzogen, der Priester aber könne, sooft er wolle, und wenn er die Wandlung hundert Mal am Tag vollzöge, Christus vom Himmel herunterholen.“32 Gerne zitierten die Priester auch Clemens Romanus mit der Feststellung, „Was ist ein Priester? ein irrdischer Gott“33. Als „Glückseligkeit“ des Priesters wird dargestellt, wenn er Christus „als einen Gefangenen“ in Händen hält, und über dem Altar den Leib Christi wandelt und opfert: „Oh Heiligkeit der Hände! der mich erschaffen / hat mir gegeben zu erschaffen sich / und der mich erschaffen ohne mich / wird erschaffen durch mich.“34
Im 19. Jahrhundert, nach den Herausforderungen durch Aufklärung und Revolution, erfuhr dieses hohe Prestige des Klerikers eine erneute Steigerung.35 Immer stärker sah man in ihm den in persona Christi Handelnden. „Weil er – und nicht nur der Papst – Stellvertreter Christi qua Amt ist, hat ein Priester Amtscharisma.“36 Er korrespondierte, wie es Olaf Blaschke formuliert, mit den heiligen Mächten über Raum und Zeit hinweg: „Im Priester realisierten und objektivierten sich die göttlichen Kräfte, mit denen er besonders im Ritual eine Identität herstellte, die den Laien verschlossen blieb.“37
Ferner wurde immer stärker das „Paradigma des Dualismus“38 propagiert, die Einteilung der Welt in Gut und Böse, die auch die Laien und den Klerus betraf: „Es gab eine scharfe Trennung zwischen den vermeintlich weltzugewandten ‚Fleischlichen‘ und den weltabgewandten ‚Geistlichen‘.“39 Ein Laienpriestertum könne – so das Wetzer-Weltesche Kirchenlexikon von 1884 – „im Ernste von Niemandem behauptet werden“, denn „dogmatisch betrachtet ist die priesterliche Würde die denkbar höchste, eine durchaus eigenartige und wunderbare. Der Priester müsste bei abstracter Betrachtung seiner Würde nothwendig stolz werden.“ Die Laien sind ihm aufgrund seiner priesterlichen Würde „zum Gehorsam verpflichtet“.40
Dieses übersteigerte Priesterideal ist, mit Blick auf Deutschland, zumindest für die Epoche zwischen Säkularisation und Postmoderne festzustellen, die nicht selten als „Zweites konfessionelles Zeitalter“41 charakterisiert wird. Hatte es Entsprechungen in anderen Religionsgemeinschaften, Religionen und Zeiten? Zu untersuchen wäre auch, inwieweit an religiöse Eliten Erwartungen herangetragen wurden, die politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Interessen entsprachen, und wie diese sich auf das Selbstbild der religiösen Funktionsträger auswirkten. Denn die Funktionsträger hatten ein breites Spektrum an Aufgaben zu erfüllen, die sich nur zum Teil den kirchlichen Grundvollzügen Zeugnis, Liturgie und Diakonie zuordnen ließen und auch aus völlig anderen Bereichen stammten. Sie konnten sich beispielsweise primär als Seelsorger sehen, aber auch als Standespersonen in staatlichem oder kirchlichem Auftrag. Entscheidend für das Bild religiöser Eliten ist schließlich dessen Verkörperung, die symbolische Darstellung und Inszenierung von Ämtern, Funktionen und Charisma.42 Hier könnte sich auch der Habitus-Begriff als heuristisch wertvoll erweisen.
Grundlegend für die Erforschung dieser