In Anbetracht dessen überlegte sich der Erzbischöfliche Sekretär damals ernsthaft, ob er nicht seinen Posten räumen und sich um eine Pfarrei bewerben solle, was ihm aber angesichts der Tatsache, dass ein „passender Ersatz“ für ihn derzeit nicht leicht zu finden sei, als problematisch erschien. Denn der Oberhirte war Hubers Worten zufolge „in den Functionen sehr unbeholfen; hat mit dem Studium der schwierigern u. längeren sicher noch keine Zeit verloren, sondern verließ sich ganz auf d. Secretär. Andere Functionen, z. B. Pfarrvisitationen, bei denen man Vieles gründlich u. genau wissen muß, hat er noch nicht vorgenommen, auch noch nicht studirt u. von Haus aus scheint die diesbezügliche Wissenschaft nicht sonderlich hervorragend zu sein. Kommt ein neuer Sekretär, so weiß keiner etwas. Das ist sicher weder für ihn noch für die Sache vortheilhaft. Um ferner die absolut nothwendige courtoisie gegen den Hof u. dgl. nicht zu verletzen, muß man immer erinnern, da hievon weder Kenntniß noch Gefühl vorhanden ist. Ein neuer Sekretär wird hierin auch nicht behilflich sein können, u. folglich der R[everendissi]mus in diesem Punkte noch mehr ausgerichtet werden, als es ohnehin schon geschieht“.33
Deshalb blieb Huber auf ausdrücklichen Wunsch des Erzbischofs weiterhin dessen Sekretär – mit den „bekannten Schmerzen“, wie er Mitte Mai 1881 seinem früheren, inzwischen nicht mehr mit der Leitung des Germanikums betrauten, sondern als Konsultor diverser römischer Kongregationen tätigen Rektor kundtat34. Die Folge war, dass sich Ende des nächsten Jahres zwischen Steichele und ihm eine „Scene abspielte, die sehr ernst hätte werden können“, letztlich aber „große Wirkungen“ zeitigte35. Was war geschehen? Unmittelbar vor Beginn einer am 18. Dezember 1882 in der Erzbischöflichen Hauskapelle stattfindenden Ordination „überraschte“ der Oberhirte Huber mit der Anordnung, er müsse „in Zukunft bei allen Funktionen Handschuhe tragen, um die Mitra beim Aufsetzen und Abnehmen mehr zu schonen“, worauf dieser „opponirte“, „Handschuhe bei Funktionen gebühren sich einzig für den Bischof, u. ein Cäremoniar mit Handschuhen sei wie David in der Rüstung des Goliath“. Gleichwohl hatte der Sekretär sich zu fügen, allerdings fand er an der ganzen Angelegenheit rasch noch einen „anderen Hacken“, vor dem seiner Ansicht nach „alle persönlichen Überzeugungen zurücktreten“ mussten.
„Ich glaube Ihnen schon einmal mitgetheilt zu haben“, schrieb er wenig später an Steinhuber, „daß dem R[everendisi]mus die fama eines tenax rerum nach München vorausging. Dieser Ruf wurde von bösen Zungen in ergiebigster Weise gegen den R[everendiss]mus ausgebeutet, genährt u. gesteigert, u. ich muß leider sagen, daß manche Handlungsweisen schmähsüchtigen Zungen neue Nahrung zuführen konnten. Als solche sah ich nach meinen Erfahrungen diese Maßnahme ganz klar voraus, da sie ja wegen ihrer Neuheit in unserer Diöcese u. Sonderbarkeit überall auffallen mußte, aus den Umständen sich nur als im Interesse der Sparsamkeit getroffen darstellen konnte u. zudem auf den Firmungsreisen durch die ganze Diöcese zu Tage treten sollte. Darum faßte ich den Entschluß, in seinem eigenen Interesse diese günstige Gelegenheit zu benützen, um die über ihn verbreitete fama u. die Nahrung, welche er ihr durch diese Maßnahme zuführen würde, einmal ordentlich ihm zu Gemüthe zu führen.“ Obwohl der von Huber ins Vertrauen gezogene Generalvikar Rampf „große Angst“ hatte, es könnte zwischen den beiden „zum Bruche kommen“, glaubte der Sekretär es im Hinblick „auf die fama u. das Ansehen“ des Erzbischofs sogar „darauf ankommen lassen zu müssen“.
Mit welch gut durchdachter Strategie Huber sein Ziel zu erreichen suchte und wie Steicheles Reaktion auf dessen durchaus gewagten Vorstoß ausfiel, darüber informierte jener Steinhuber wie gewohnt in aller Ausführlichkeit: „Mir lag an zwei Dingen: 1.) ihm die ganze u. volle Wahrheit tüchtig sagen zu können und dieß 2.) in einer Weise, daß er sich selbst sagen müsse, ich hätte dabei weder ihn verletzen wollen, noch mein Interesse verfolgt, sondern einzig u. allein sein eigenes Interesse im Auge gehabt. Da ich den R[everendissi]mus ziemlich genau kenne u. auch weiß, wie viel ich mir erlauben darf, schlug ich zur sichern Erreichung meines doppelten Zweckes folgenden Weg ein, den ich nach reiflicher Ueberlegung als den allein richtigen u. wirksamen erkannte. Ich spielte – u. war es auch in Wirklichkeit – den tiefbetrübten, redete nichts, antwortete nur mit ja u. nein u. machte dazu ein Gesicht, fast so lange wie die Frauenthürme hoch sind. Das, dachte ich, wird u. muß er merken, u. ich will sehen, wie lange er es aushält. Als nächste Wirkung erwartete ich, nicht daß er mich selbst fragte, sondern den H. Generalvicar, was ich denn eigentlich habe, weßhalb ich diesen ersuchte, in dieser delikaten Angelegenheit nicht den Vermittler der Antwort machen zu wollen, sondern ihm zu sagen, er solle mich selbst fragen. Am 18. u. 19. Dez. gingen wir bei Tisch rasch auseinander, weil mit mir absolut nichts zu machen war. Am 20. Vormittags wurde bereits H. G. Vicar gerufen u. über mich befragt. Der ließ sich in die Sache nicht ein, ‚wußte nichts näheres’, u. gab die Antwort, um die ich ihn gebeten. R[everendissi]mus sagte, so könne er es mit mir nicht mehr aushalten. Mittags bei Tisch war ich wieder traurig u. stumm, u. so brachte er es endlich am Abend eine Stunde vor Tisch über’s Herz, an meiner Glocke zu ziehen. Als ich erschien, fing er bewegt u. in wohlwollendem Tone an, er habe bemerkt, daß ich seit einigen Tagen verstimmt u. traurig sei, nichts rede, was ich denn habe, ob mich die Handschuhe so schmerzen, er wolle nichts gegen mein Gewissen, ich solle aufrichtig Alles sagen. Meine Antwort war zunächst, nicht die Handschuhe an sich seien die Ursache, sondern was damit für seine Person zusammenhänge, u. das sei wiederum nur ein Glied an einer Kette. Auf die weitere Aufforderung, Alles zu sagen, erwiederte ich, das sei für mich sehr schmerzlich; auch fürchte ich, es könnten mir zu starke Ausdrücke entschlüpfen; ich wolle es deßhalb schriftlich sagen. Auf letzteres ließ er sich nicht ein u. so mußte ich denn mit der Sache herausrücken. Ich glaube die ganze u. volle Wahrheit gesagt zu haben, u. wie es aufgenommen wurde, können Sie daraus abnehmen, daß wir uns zum Schluß auf seine Aufforderung gegenseitig die Hand reichten u. er mich ermunterte, wieder fröhlich zu sein u. in Zukunft ihm ohne Umstände auch die unangenehmsten Dinge frei zu sagen. Er wolle von mir keine Schmeicheleien, sondern daß ich ihm die Wahrheit sage, die Andere ihm nicht sagen. Seither genoß ich Aufmerksamkeiten, die ich sogar als zu viel ablehnen mußte, u. als ich ihm zu Neujahr gratulirte, sagte er, er hoffe, daß wir noch lange beisammen bleiben; wenigstens ihn würde das freuen. Die Handschuhe sind natürlich abgethan; auch anderes, was ich angeführt, wurde geändert, u. die Almosen fließen jetzt in einem Grade reichlich, daß ich fast zurückhalten möchte. Es hat also, Gott sei Dank, gewirkt, wie ich es besser nicht wünschen könnte, u. ich bereue es keineswegs, diesen auch für mich unangenehmen Schritt gethan zu haben.“
In der Tat scheint sich von diesem Zeitpunkt an das Verhältnis zwischen dem Erzbischof und seinem Sekretär weitestgehend normalisiert zu haben, so dass Huber ein halbes Jahr später nach Rom schreiben konnte: „Das alter alterius onera portate abgerechnet hausen wir gut zusammen. Er liebt wie sein ehemaliger Prinzipal Bischof Petrus Richarz36 v. Augsburg, bei dem er alles war, ein persönliches Regiment in hohem Grade u. deßhalb sind jetzt meine Arbeiten unvergleichlich mehr als unter Erzbischof Gregor, der alles amtliche durch das Ordinariat erledigen ließ. Manches wird im Palais erledigt, was die Domherrn gar nicht oder erst post factum erfahren. Außerdem sind unsere alten Domherrn in jeder Beziehung conservativ; R[everendissi]mus dagegen findet