Toter Dekan - guter Dekan. Georg Langenhorst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Langenhorst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429062842
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jedenfalls im Fakultätsrat schon noch einen Strich durch die Rechnung gemacht, das können Sie mir aber glauben! Soll er doch auf seinen eigenen Assistenten verzichten! Das war jedenfalls klasse, dass du dem mal so richtig die Meinung gesagt hast.“

      „Wieso?“, fragte Kellert dazwischen. Klara Mechtersheim wand sich auf ihrem Stuhl, es war ihr offensichtlich nicht wohl bei diesem Gesprächsthema. „Nun, ich bin ins Dekanat gegangen und habe ihm sehr deutlich gesagt, dass ich sein Vorgehen nicht akzeptiere!“, antwortete sie.

      „Gesagt? Komm, Klara, das war schon mehr! Richtig gebrüllt hat sie, das habe ich noch nie von ihr gehört“, – wandte sich Brandtstätter an seinen Sitznachbarn. „Traut man ihr gar nicht zu, oder? Unterschätzen Sie die Klara mal nicht, Herr Kommissar! Die lässt sich ja nicht leicht aus der Ruhe bringen, aber wenn, dann Vorsicht, die Herren vom Gesangsverein! Haha! Na ja, und der Gerstmaier! Klein wie ein Zwerg, stumm wie ein Fisch, eisig wie ein Cornetto Nuss – haha! Dass die Studenten dann auch noch Beifall geklatscht und gejohlt haben, als du die Dekanatstür ins Schloss geworfen hast, das hat ihm dann den Rest gegeben, glaube ich.“

      „Jaja, ist ja schon gut“, versuchte ihn die Kollegin zu bremsen, der der Gesprächsverlauf sichtlich unangenehm war. „Wie, die Studierenden haben das mitgekriegt und geklatscht?“, fragte Kellert nach, den diese Geschichte natürlich gewaltig interessierte.

      „Ja“, gestand Klara Mechtersheim, „ein paar von der Fachschaft. Die mögen, äh, mochten den Dekan ja auch nicht, weil der sie reihenweise durch die Prüfungen rasseln ließ und überhaupt. Der hatte es nicht so mit den Studierenden. Ich glaube, die waren ihm eher lästig. Das Ganze war trotzdem sehr unangenehm und mir überhaupt nicht recht. Und hat ja Folgen gehabt …“

      „Nämlich?“ „Nun, zwei der Studierenden waren auch als Hiwis im Dekanat beschäftigt. Deren Verträge wurden natürlich nicht verlängert. Und zwei anderen hat er angedroht, sie durchs Examen fliegen zu lassen.“ „Kann er das denn?“, wunderte sich Beate Kellert. „Offiziell natürlich nicht“, erwiderte der Österreicher, „aber wenn Sie einen Studenten unbedingt durchfallen lassen wollen, können Sie die mündliche Prüfung schon so gestalten, dass der kaum eine Chance hat.“

      „Hmm.“ Kellert schwieg, trank wieder einen Schluck und dachte über das Gehörte nach. „Ach, Herr Kommissar“, unterbrach Professor Brandtstätter seine Gedanken. „Ich muss Ihnen jetzt einfach einmal ein kleines Geständnis machen. Früher, als Bub, da wollte ich auch immer Polizist werden. So wie die Kommissare im Fernsehen. Ihnen kann ich es ja anvertrauen: Der ‚Tatort‘, das war meine Lieblingssendung, nein: ehrlich gesagt ist er das heute noch.“

      „Sie wissen aber schon, dass die Wirklichkeit unseres Polizistenlebens ganz anders aussieht, oder?“, fiel ihm Kellert ins Wort. „Aber sicher. Das ist genauso wie bei der Darstellung von Pfarrern im Fernsehen. Weit weg vom wahren Leben. Aber gut, darauf kommt es ja auch nicht an, oder? Ein Film soll unterhalten, aber nicht die Wirklichkeit abbilden, finde ich jedenfalls. Äh, wo war ich gerade?“ Klara Mechtersheim blickte ihren Kollegen mahnend an. Sie mochte alles an ihm, nur nicht seinen Hang zur Geschwätzigkeit. Er ignorierte ihren Blick jedoch, oder hatte er ihn gar nicht bemerkt?

      „Richtig, Polizist wollte ich werden. Und nun bin ich Priester, haha. Aber das Erstaunliche ist, dass beide Berufe erstaunlich eng miteinander verwandt sind.“ „So“, knurrte Kellert, „also den Zölibat muss ich nicht leben. Gott sei Dank, hm, Beate?“ Seine Frau lächelte müde. Doch die polternd-bärbeißige Art des Professors, dem sie sich nun wieder zuwandte, gefiel ihr offensichtlich.

      „Nein, das nicht“, fuhr der fort. „Aber schauen Sie: Sie und ich haben zu tun mit Schuld. Sie und ich kümmern uns um Opfer und Täter. Sie und ich versuchen mit der Aufklärung und Überwindung von Schuld umzugehen. Sie und ich wollen ein gelingendes Leben für alle sicherstellen.“ Beate Kellert warf ein: „Ach wie interessant! So habe ich das noch nie betrachtet. Bernd, da bist du also fast so etwas wie einPriester!“ Sie grinste ihren Mann an. „Fast, fast!“, fiel der ein. „Vergessen wir bitte die Unterschiede nicht. Die sind letztlich doch weitaus größer! Sie“ – hier wandte er sich an die beiden Theologen – „sprechen doch vor allem von Sünde, oder? Das Wort gibt es bei uns gar nicht.“

      „Mag sein, aber sie gehören doch zusammen, Sünde und Schuld!“, warf Frau Mechtersheim vorsichtig ein.

      „Wie denn? Sünde – ich weiß wirklich nicht, was das sein soll!“, gab Kellert zurück, während er sich ein wenig wunderte, was für ein Gespräch er hier gerade führte.

      „Schauen Sie, das ist einfach!“, dozierte Brandtstätter, sichtlich in seinem Element. „Schuld entsteht dann, wenn man als Mensch absichtlich und selbst verantwortet unter seinen eigenen Möglichkeiten bleibt!“

      „So definierst du das, Elmar!“, warf seine Kollegin ein, „das kann man auch ganz anders bestimmen.“ „Ja geh, das interessiert mich nicht!“, erwiderte der Professor.

      „Ich meine, wann immer Sie etwas tun oder unterlassen, was Sie eigentlich könnten und sollten, dann werden Sie schuldig. Egal, ob in den kleinen Dingen des Alltags oder in der Tötung eines anderen Menschen. Das gilt übrigens für Einzelne genauso wie für Gesellschaften, also für Staaten – oder auch Kirchen.“

      „Und Sünde?“, fragte Beate Kellert nach. Brandtstätters Antwort ließ nicht lange auf sich warten. In solchen Gesprächen, war er offensichtlich ganz in seinem Element. „Sünde, das ist das Bleiben unter den Möglichkeiten, die Gott einem gegeben hat. Also eigentlich dasselbe, nur denkt man dann von Gott aus. Dass Sie und ich, dass jede und jeder von Gott bestimmte Fähigkeiten und Stärken geschenkt bekommen hat. Und wenn man die nicht nutzt oder schlecht nutzt, verstößt man nicht nur gegen sich selbst, gegen die Mitmenschen, sondern eben auch gegen den, der sie uns gegeben hat – Gott.“

      ‚Jetzt hat er endgültig angefangen zu predigen‘, dachte Kellert. ‚Holen wir ihn mal ein bisschen zurück auf den Boden der Realität.‘ „Das macht aber natürlich nur für solche Menschen Sinn, die an diesen Gott glauben, oder?“, gab er zu bedenken.

      „Gewiss, gewiss, auf den ersten Blick schon“, pflichtete ihm Brandtstätter zunächst bei. „Da ich allerdings fest daran glaube, gehe ich davon aus, dass das grundsätzlich für alle Menschen gilt, egal, ob ihnen das bewusst ist oder nicht!“

      Kellert strich sich nachdenklich über das Kinn. ‚Sünde, Schuld, Gerstmaiers Umgang mit den Kollegen …?‘ Auch die anderen hatten sich stumm geredet. „Wie wäre es mit einem Cappuccino oder Latte macchiato?“, fragte seine Frau in die plötzliche Stille hinein, was dazu führte, dass der Abend mal ein vergnügliches Ende fand.

      Mittwoch, 12. Mai, morgens

      Kommissar Bernd Kellert saß seit einer knappen Stunde an seinem Schreibtisch im Friedensberger Kriminalkommissariat. Er hatte die beiden Fenster seines Büros geöffnet, um die regenfeuchte Morgenluft hereinzulassen, von fern drang Straßenlärm herauf, irgendwo in der Nähe sang eine Amsel. In einem der vollgestopften Wandregale stand ein kleines schwarzes Taschenradio, von dem aus eine leise Tonwolke aktueller Popmusik in den Raum hineindampfte. Irgendeine aktuelle amerikanische Sängerin, austauschbar wie die Handtücher am Waschbecken hinten in der Ecke des Büros, sang zu einem gewöhnlichen Grundbeat.

      Kellerts Mitarbeiter, Kriminalhauptmann Dominik Thiele, achtundzwanzig Jahre alt, zwei Fingerbreit größer, aber genauso durchtrainiert wie sein Chef, saß an der anderen Seite der gegeneinandergeschobenen Schreibtische und recherchierte etwas in seinem Computer. Ab und zu tippte er irgendwelche Informationen in sein Notebook. Hinter dem Flachbildschirm war sein flachsblonder mittellanger Haarschopf für Kellert kaum zu sehen. Der Kommissar brummte missmutig vor sich hin: „Wie soll man sich das alles bloß merken?“

      „Was ist los, Chef?“, fragte Dominik Thiele und wendete sich seinem Vorgesetzten zu. Schlechte Laune kannte er bei ihm gar nicht. Kommissar Kellert galt bei seinen Kollegen als stets konzentrierter und trotzdem gut gelaunter Polizist. „Beim Kellert wirst du arbeiten?“, hatten einige ältere Kollegen den Kriminalhauptmann beglückwünscht, als vor