Dantes Theologie: Beatrice. Stefan Seckinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Seckinger
Издательство: Bookwire
Серия: Bonner dogmatische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062156
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fürbittenden Dienst der in der ewigen Anschauung Gottes stehenden Heiligen zu sehen. Da die eine Kirche aus der Gemeinschaft der Lebenden, der zu Läuternden (im Purgatorium) und der Heiligen (im Paradies) besteht, können diese als Glieder des Leibes Christi für andere Fürbitte leisten.172 Auch wenn die fürbittende Gnadenvermittlung Mariens von derjenigen anderer Heiliger hervorgehoben werden muss – unter Beachtung ihrer christologischen Zu- bzw. Untergeordnetheit (die einzige und eigentliche Gnadenmittlerschaft Christi bleibt bestehen) – ist das fürbittende Gebet aller Heiligen und die Bitte darum stets als von der Kirche nützlich und bedeutsam angesehen worden.173 Die exponierte Stellung Beatricens als Dantes persönlicher Fürsprecherin um Befreiung von Schuld und die Gnade der Gottesschau wird in den folgenden Ausführungen thematisiert.174 Sie ist stets in ihrer Transparenz bzgl. der in ihren Augen durchschimmernden Liebesfülle Gottes Weggeleit der Sinnsuche menschlichen Fragens, sie ist Tor zur Ewigkeit, nicht diese selbst. Das Unbedingte scheint in ihr auf, insofern sie von ihm erfüllt ist und auf es hin verweist.

      An dieser Stelle ist es bedeutsam, in der Person der Beatrice nicht nur eine Personenallegorie der Theologie, sondern auch der Gnade zu sehen. Theologie selbst wird somit als gnadenverwiesen und bekehrungsermöglichend ausgewiesen175, insofern die Personifikation theologischer Wahrheitssuche in Beatrice der Läuterung und personalen Umkehr Dantes dient und sich daran auch messen lassen will. Theologie als Hilfe zu Sündenabkehr und Gottzuwendung versteht sich selbst vom Gnadenmoment der erlösenden Vergebung Gottes her, wie Dante es im Anblick der Augen seiner nun zur Fürsprecherin bei Gott erhobenen Jugendliebe erfahren und erfassen kann :

      »Du hast mit Sehnsucht so mein Herz beweget

      Durch deine Worte, daß ich gerne komme

      Und meinem alten Vorsatz wieder folge.«176

      Das Geleit Beatricens verdeutlicht somit die Gnadenverwiesenheit aller Gottesbegegnung, da hierfür offenbarungsunabhängige Versuche (Vergil) letztlich ungenügend sind. Sie personifiziert diesen Grundzug theologischer Reflexion gegenüber der Offenbarung Gottes : Letztlich liegt die rechte Begegnung (Schau) mit der ewigen Liebesfülle des in Jesus Christus fleischgewordenen Gottes nicht in der Erklärung (Durchschaubarkeit), vielmehr in Lob, Dank und demütiger Anbetung. Die Übernahme der Begleiterrolle Vergils durch Beatrice im Vorraum des Paradieses (im irdischen Paradies ; Purg. XXX) entspricht diesem Charakterzug der Theologie gegenüber rein philosophisch-rationalen Überlegungen. Mit der Erweiterung der reflektierenden Selbstvergewisserung des Menschen in den Bereich der Eschatologie hinein wird die Superiorität und denkerische Uneinholbarkeit des sich selbst offenbarenden (oder verbergenden) Gottes anerkannt und somit die Insuffizienz menschlicher Erkenntnisprozesse gegenüber diesem Absoluten-Unbedingten (womit das Wesen der Gnade angesprochen ist).177 Das Theologieverständnis der DC geht von dieser Ambivalenz aus ; ihre Überlegenheit stützt sich auf die Einwilligung in das ihr stets vorgegebene (nicht von ihr erstellbare, sie mensurierende) Geheimnis der Offenbarung Gottes, womit zugleich ein kategorisches Unvermögen des über sie Reflektierenden angesprochen ist. Diese Selbstbescheidung der Theologie nimmt den Theologen selbst in den Blick, in seiner Gnadenverwiesenheit und Bekehrungsbereitschaft.

      Exkurs : Die prinzipielle Zuordnung von natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis in der Divina Commedia178

      Nach Thomas von Aquin179 besteht eine prinzipielle Zuordnung von natürlicher und offenbarungsabhängiger Erkenntnis Gottes.180 Die in seiner theologischen Summe aufgeworfene und thematisierte Frage nach dem Seelenheil des Menschen geht von einer grundsätzlichen Relationalität von Natur und Übernatur aus ; des Menschen Hinordnung auf das Erreichen der Seligkeit in der Anschauung Gottes ist in seiner Natur (auch bleibend in seiner gefallenen) grundgelegt, durch sie allein aber nicht zu erreichen. Diese Verwiesenheit181 als Zu- und Anspruch gilt für den ganzen Menschen in seinem Denken und Fühlen, Wollen und Handeln. Die ihm eingegossenen theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe dienen zur Vervollkommnung der Seele im christlichen Sinn, wobei ›übernatürliche‹ wie ›natürliche‹ Tugenden (die vier Haupt- bzw. Kardinaltugenden182, die wie Erstere nicht loszulösen sind von der Allursächlichkeit Gottes183) gemäß dem Axiom »gratia non tollit, sed perficit naturam«184 aufeinander bezogen sind. Die Übernatur nimmt also die Gegebenheit der Natur in ihre Dienste, nicht zerstörend, sondern vielmehr darauf aufbauend, sie vollendend. Entsprechend verweisen auch philosophische und theologische Erkenntnissuche aufeinander, da es »keinen Grund für das Bestehen irgendeines Konkurrenzkampfes zwischen Glauben und Vernunft«185 gibt. Ferner gilt nach der Enzyklika fides et ratio : Die Wahrheit, »die uns Gott in Jesus Christus offenbart, steht nicht im Widerspruch zu den Wahrheiten, zu denen man durch das Philosophieren gelangt.«186 Von daher ist es notwendig, die Wechselwirkung von Philosophie und Theologie unter der Perspektive des genuin theologischen Beitrags philosophischer Wahrheitssuche zu beleuchten : »Die aus der göttlichen Offenbarung kommenden Beiträge zur Wahrheit abzulehnen, bedeutet nämlich, sich zum Schaden der Philosophie den Zugang zu einer tieferen Wahrheitserkenntnis zu versperren.«187 Dabei will Theologie die philosophische Erkenntnis nicht begrenzen bzw. vereinnahmen, vielmehr einen Beitrag zu ihrer Entgrenzung liefern, ein Angebot, welches sich als Antwortmöglichkeit philosophischer Fragestellungen aus der christlichen Offenbarung heraus versteht.

      Der Einzelne sieht sich in diese prinzipielle Zuordnung von natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis hineingestellt. Für Karl Rahner sind deswegen existentialphilosophische Überlegungen Ausgangspunkt seiner Thematisierung der Offenheit für Transzendenz als Konstitutivum des Menschen. Das entsprechende Verhältnis von Natur und Übernatur skizziert er in seinem ›Grundkurs des Glaubens‹. Nach Rahner interpretieren sich Natur und Übernatur gegenseitig, Natur und Gnade lassen sich adäquat jeweils nur vom anderen her bestimmen.188 Die Erfahrung von Transzendenz wird von Rahner wie folgt definiert : »Das subjekthafte, unthematische und in jedwedem geistigen Erkenntnisakt mitgegebene, notwendige und unaufgebbare Mitbewußtsein des erkennenden Subjekts und seine Entschränktheit auf die unbegrenzte Weite aller möglichen Wirklichkeit nennen wir die transzendentale Erfahrung189 Der Mensch ist demnach grundsätzlich offen für die Erfahrung einer Offenbarung Gottes190, welche ihm seine eigene Existenz erst in rechter Weise deutet. Ausgehend von seiner sinnlich-begrenzten Erfahrungswelt gehört es zur apriorischen Struktur des Selbstbesitzes des Einzelnen, dass er in einem Vorgriff auf das Unbedingte seine raumzeitlich gesetzten Grenzen überschreitet. Auch wenn dies zunächst ein unthematisches Wissen von Gott ist, eine Ahnung und ein Verweis auf Gott als den Bezugspunkt aller transzendenten Erfahrung, so beschreitet Rahner im Grunde den Weg des Aquinaten in dem Bewusstsein der Verwiesenheit des Menschen auf einen ihn unendlich übersteigenden Sinnhorizont, von dem aber jegliche Orientierung und Sinnverortung abhängt. Im Vorgriff auf die Unendlichkeit Gottes ist diese selbst schon präsent als ein Geschenk von Ihm her »in dem Sinn der Seinsempfängnis, letztlich der Gnade.«191 Diese Vorahnung des Menschen auf die ihm von Gott her geschenkte Erfahrung der Seinsfülle charakterisiert auch seine Sehnsucht nach Erlösung. In der vorgrifflichen Erfassung des unbedingten Seins drückt sich die Hoffnung auf eigene Vollendung, auf die persönliche Hineinnahme in diese Unbedingtheit aus, die in der raumzeitlichen Bedingtheit des irdisch-endlichen Lebens nicht eingeholt werden kann. Daher nennt Rahner das in der transzendentalen Erfahrung zum Ausdruck gebrachte Wesensmoment des Menschen ein übernatürliches Existential192.

      Auch Dante setzt für seine Divina Commedia diese gegenseitige Bedingtheit von Theologie und Philosophie, von Glaube und Vernunft, von Transzendenz und Immanenz voraus. So verleiht er etwa im 29. Gesang des Purgatorio den erworbenen (Natur) und eingegossenen Tugenden (Übernatur) einen bildhaften Ausdruck : Am rechten Rad des Triumphwagens der ecclesia (gezogen von Christus in der Darstellung eines Greifes als Bild seiner gottmenschlichen Natur) gehen in der Gestalt von drei Frauen die drei theologischen Tugenden, auf der anderen Seite sind es deren vier als Allegorien der vier Kardinaltugenden.193 Diese dichterische Verbildlichung der Tugendlehre des Aquinaten geht von einer kategorischen Zusammenschau der beiden Gruppen aus, unter eindeutigem Primat der Liebe : »[…] cum charitate simul infunduntur omnes virtutes morales.«194