Dantes Theologie: Beatrice. Stefan Seckinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Seckinger
Издательство: Bookwire
Серия: Bonner dogmatische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062156
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eine oben skizzierte Auffassung des Ineinanders von Offenbarung/Glaube und natürlicher Gotteserkenntnis/Vernunft voraus, was allerdings primär in der Frage nach dem individuellen Heilsweg des Einzelnen anschaulichen Niederschlag findet. Glaube und Wissen sind in ihrem Bedingungsverhältnis derart aufeinander verwiesen, dass der Offenbarungsglaube nach seinem reflexiven Verständnis drängt, ohne damit von der Vernunft allein ableitbar zu sein (was gerade dem Wesen der Offenbarung als unableitbar-übernatürlicher Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes in der Bedingtheit raumzeitlicher Weltwirklichkeit widersprechen würde).

      Für den Jenseitsweg Dantes bleibt festzuhalten, dass von der Gnade her Natur als auf diese hingeordnet gesehen werden muss (was entsprechend für das Verhältnis von Theologie und Philosophie auszusagen ist) vor dem Hintergrund der Mysterialität des erlösenden Offenbarungsgeschehens. Der eigentliche Zielpunkt des eschatologischen Erkenntnisweges besteht jedoch im soteriologischen Moment, in der persönlichen Vollendung, die als denkerisch uneinholbar das Gebet und nicht die Abhandlung erheischt : »Der letzte Sinn der Philosophie liegt in der Theologie, der letzte Sinn der Theologie aber in der Heiligkeit.«195

      Hinsichtlich der Zuordnung Beatricens zur Theologie und Vergils zur Philosophie ist in diesem Zusammenhang auf das angekündigte Ende der Begleitung Vergils in Inf. I, 122–126 (da Vergil dem Kreis des limbus patrum zugehörig selbst der ewigen Anschauung Gottes verlustig ist) und v. a. auf Par. XIX, XX und XXIV196 hinzuweisen, wo Dante sein persönliches Glaubensbekenntnis ablegt197. Stets gibt die übernatürliche, offenbarungsabhängige und gnadengebundene Gotteserkenntnis den Maßstab für die natürliche, vernunftgeleitete ; die Glaubensannahme (und die damit verbundene Umkehrbereitschaft) wird dadurch keineswegs zum sacrificium intellectus, vielmehr wird das unvoreingenommene Erkenntnisstreben des Menschen selbst erhoben, sodass er zu sich selbst (gemäß dem Verständnis des desiderium naturale bzw. der potentia oboedientialis)198 kommt. Dante wiederum weist stets auf die Unableitbarkeit des Geheimnisses der personalen Rechtfertigungsgnade hin ; es geht ihm schließlich weniger um theoretische Spekulation als um die ermahnende und aufrüttelnde Darstellung des Einzelschicksals und seiner Bestimmung zur visio beatifica. Was demnach in der wissenschaftlichen Abhandlung theologischer Erkenntnissuche scheinbar klar und unzweideutig dingfest gemacht werden soll, ist in seiner konkret-individuellen Anwendung für den Dichter der mystischen Gottesbegegnung im Jenseits unausdrückbar, wodurch gerade seine Bitte im letzten Gesang der DC vor der Schau des ewigen Lichtes verständlich wird :

      »O höchstes Licht, das über Menschensinne

      So weit erhaben, leihe meinem Geiste

      Ein wenig noch von dem, was du geschienen ;

      Und mache meine Zunge also mächtig,

      Daß sie ein Fünklein nur von deinem Glanze

      Den künftigen Geschlechtern lassen möge.«199

      Auf der Ebene der Untersuchung der Handlung der DC erscheint es dem Interpreten notwendig, sich dem Anspruch dieser Selbstbescheidung anheimzustellen ; das Verständnis der Dichtung als belebende Darstellung der theologischen Lehre lässt sich kaum angemessen thematisieren, indem man von dieser Konkretheit und Anschaulichkeit wiederum einfachhin abstrahiert und in die reine Systematik zurückfällt. Das personal-emotionale Theologieverständnis in der Gestalt Beatricens in Analogie zu einem personal-inspirativen Philosophieverständnis im Auftreten Vergils zeigt, dass es dem Dichter nicht um repräsentative Personen dieser Wissenschaften ging (wozu Thomas und Aristoteles sich weitaus besser eigneten), sondern um ihn ansprechende Erfahrungen seines Lebens, wobei auch und gerade das Schicksal der beiden ihn prägenden Persönlichkeiten sein Interesse einnimmt (bei Vergil ist dies die Frage nach der Verdammung der ungetauft Gerechten bzw. nach der Gnadenwahl Gottes, in Beatrice sieht er seine eigene Erlösung unmittelbar angesprochen). Dass diese personale Ebene nicht die theoretische Grundlegung der theologischen Aussage überflüssig werden lässt, ohne diese gar nicht verstanden werden kann, soll in den folgenden – die theologische Systematik integrierenden – Erläuterungen zu den drei Liedern der Divina Commedia deutlich werden.200

      3 Die Sehnsucht des Menschen nach der Erfüllung seines Liebesstrebens als Maßstab seines Handelns : Paradiso

      Am Ende der siebten Stufe des Läuterungsberges, wo die Wollust (luxuria) gebüßt wird, müssen Vergil und Dante (zu denen sich zuvor Statius gesellte)202 durch eine Feuerwand hindurchschreiten, um ins irdische Paradies zu gelangen. Dort verlässt Vergil Dante und kehrt wieder in den Limbus zurück, da nun Beatrice dessen Begleitung übernimmt.203

      Dem Interesse dieser Arbeit an der Bedeutung Beatricens entsprechend soll zunächst das Paradies (in Einheit mit dem am Ende des Purgatorio stehenden irdischen Paradieses) bzgl. seiner theologischen Ausrichtung untersucht werden, bevor Purgatorio und Inferno als läuternde Vorstufe bzw. Negativbild des Vollendungshorizontes menschlichen Lebens (als berufenes zur glückselig machenden Schau – visio beatifica) in den Blick genommen werden.204 Dies liegt deshalb nahe, da Beatrice im irdischen Paradies Dante erstmals gegenübertritt. Im Fegefeuer bzw. in der Hölle übt sie ihre Begleiterrolle nur indirekt über (den von ihr gerufenen) Vergil aus, und erst nach Dantes Entsühnung und Absolution unternimmt sie mit ihm den Gang durch die Sterne :205

      »Dort wird man sehn, was wir hier unten glauben

      Ohne Beweis ; es wird sich offenbaren

      Gleich der von uns geglaubten ersten Wahrheit.«206

      Wie Dante demnach durch die Verstrickung in die Sünde (Inf. I) Beatrice als sein Idealbild der Tugend und Liebe aus den Augen verlor, so vermag er sie nach Sühne und Vergebung wiederzusehen, sich unter ihren Zauber, aber auch unter ihre Fittiche zu begeben, denn als die in den Himmel Erhobene blickt er stets demutsvoll zu ihr empor. Im Durchgang durch das Feuer macht Vergil dem zagenden Dante207 mit den Worten Mut :

      Gli occhi suoi già veder parmi.208

      Er verheißt Dante am Ende der Feuerwand das lang ersehnte Wiedersehen mit Beatrice. In dieser Zusage überwindet jener seinen Kleinmut und ist bereit, durch das Feuer zu gehen (Purg. XXVII, 46 ff.)209.

      Im irdischen Paradies angelangt, fällt Dante – es ist inzwischen Abend geworden210 – in tiefen Schlaf und empfängt die dritte Traumvision211 auf dem Läuterungsberg und analog zu den beiden anderen Visionen an entscheidender Stelle (eben beim Eintritt in das irdische Paradies). In dieser erblickt er eine junge Frau, blumenpflückend, die sich als biblische Lea212 zu erkennen gibt und im Gegensatz zu ihrer Schwester Rahel als Sinnbild der vita activa (gegenüber der vita contemplativa) auftritt.213 Lea und Rahel werden parallel zu den nun in die Handlung unmittelbar eingreifenden Matelda214 und Beatrice genannt ; Lea und Matelda stehen hierbei für das auf das anschauliche Leben vorbereitende215 (und diesem untergeordnete) aktive Wirken. Die Zuordnung Beatricens zur vita contemplativa ergibt sich auch aus ihrer Position in der Himmelsrose als dem – in Stufen aufgeteilten216 – Sitz aller Seligen im Himmel bei der erwähnten Rahel.217

      Nach Sonnenaufgang gehen Vergil und Dante die letzten Stufen empor, wobei der Führer ihm die Erfüllung all seiner – irdisch unerfüllbaren – Sehnsüchte verspricht. Sodann überlässt er ihn sich selbst, beendet somit seine Führerschaft und stellt Dante gar über weltliche und kirchliche (im Sinne der pilgernden Kirche auf der Erde)218 Machtansprüche :

      »[…] Das zeitliche und ewige Feuer

      Hast du gesehn, mein Sohn ; du bist gekommen

      Dahin, wo ich von mir aus nichts mehr kenne.

      Mit