Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jessica Scheiper
Издательство: Bookwire
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429064198
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ließ seinen Oberen aber wissen, dass weiterhin die Mission sein Ziel war:

      „Ich freue mich, wieder eine konkretere Arbeit leisten zu dürfen. Noch lieber als Rebstein wäre ich nach Japan gezogen. Sie wissen ja darum. Denken Sie bitte daran, wenn sich diesbezüglich in Japan plötzlich eine dringende Notwendigkeit ergeben sollte. Augenblicklich würde ich mich für einen solchen Wechsel noch für fähig halten. In zwei, drei Jahren wird das kaum mehr der Fall sein.“98

      Über sein Empfinden am Gymnasium berichtete er dem Verleger seiner Dissertation Oscar Bettschart: „Ich habe hier in Rebstein als Präfekt über hundert Boys im besten Flegelalter zu bändigen und das ist neben der Schule und den vielen Aushilfen eine so ermüdende Angelegenheit, dass ich vorderhand zu gar nichts mehr komme, geschweige denn zu einer soliden wissenschaftlichen Arbeit.“99 In den nächsten beiden Jahren änderte sich daran nichts, vielmehr berichtete Crottogini im April 1956: „Gegenwärtig haben wir 124 Boys hier. Damit ist das Haus bis auf den letzten Platz besetzt.“100 Eine Änderung war für Crottogini erst absehbar, als er Josef Böhler, den bisherigen Novizenmeister, im Missionsseminar der SMB in Schöneck ablösen sollte.

      Der Generalobere Blatter hatte ihn schon früher zu einer Einwilligung gedrängt, dieses Amt zu übernehmen, doch hatte Crottogini ursprünglich noch ein paar Bedingungen aushandeln können: Er hatte gefordert, ihm zur Vorbereitung vorab „ein Jahr zur spirituellen Vertiefung in Bibeltheologie und Katechetik“101 zuzugestehen. Ein solches Studienjahr, das er in München oder Paris hatte verbringen wollen, wurde ihm zunächst auch zugesagt.102 Gründe für eine abrupte Übergabe des Amtes nannte Crottogini keine, doch beschrieb er, „[v]öllig überrascht musste ich von einem Tag auf den anderen P. Josef Böhler […] ablösen.“103 Das vereinbarte Jahr zur Vertiefung seiner Studien trat Crottogini so nie an. Nur knapp eine Woche nachdem er seinem ehemaligen Lehrer Bischof Caminada noch von seinen Plänen berichtet hatte, gratulierte ihm bereits sein Mitbruder Fridolin Stöckli zu seiner neuen Aufgabe als Novizenmeister.104

      Crottogini war über seine neue Tätigkeit hingegen nicht glücklich. Bis 1967 war er schließlich als Novizenmeister tätig und von „Jahr zu Jahr hat [ihn] diese Verantwortung mehr belastet.“105 Seine als defizitär empfundene eigene theologische und auch spirituelle Ausbildung sorgte ihn, aber auch die festgefahrenen Strukturen in der Ausbildung und im Umgang mit den Novizen waren ihm zuwider. Aus psychologischer Sicht sei ihm die reglementierte Tagesordnung wie ein „Kindergartenprogramm“106 vorgekommen:

      „Die jungen Männer, die sich nach der Matura oder nach einer abgeschlossenen Berufslehre für die SMB interessierten, wurden mit dem Eintritt ins Noviziat von den gefährlichen Einflüssen des Weltgeschehens ausserhalb des Seminars fast hermetisch abgeschirmt. Offiziell gab es für sie keine Zeitungen, kein Radio, keine TV. In der für sie zugänglichen Hausbibliothek gab es keine Belletristik, nur harmlose theologische und aszetische Literatur. Der persönliche Kontakt mit Außenstehenden, vor allem mit Frauen, wurde auf ein Minimum reduziert. Die kleinste Änderung dieser Tradition stiess anfänglich bei der Seminarleitung […] auf harte Kritik. […] Von Jahr zu Jahr wurden die persönlichen, religiösen und beruflichen Probleme der jungen Männer drängender. Die Berufsentscheidung, zu der sie im Laufe des Jahres und dann vor allem während der Grossen Exerzitien herausgefordert wurden, belastete sie und mich enorm. Rund die Hälfte der SMB-Aspiranten entschied sich in diesen Wochen für eine andere Berufslaufbahn. Der Abschied vom angestrebten Priester- oder Missionsberuf ist diesen Kandidaten, den im Seminar zurückbleibenden Novizen und auch mir alles andere als leicht gefallen.“107

      Um diesem Druck zu entgehen, bot Crottogini seinem Oberen den Verzicht auf sein Amt an. Sein Oberer lehnte aber ab.108 Kurz vor Ostern 1966, nur wenige Monate nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dezember 1965, hatte Crottogini einen Motorradunfall. Seine Verletzungen waren so schwer, dass er vier Monate im Krankenhaus gepflegt werden musste. Gerade in den ersten Tagen waren die Schmerzen sogar so stark, dass er Gott bat, zu sterben.109 Als er nach dem Krankenhausaufenthalt und anschließender Rehabilitation ins Missionsseminar zurückkehrte, stand schon bald das erste Generalkapitel nach dem Konzil an.

      Im Rahmen des Generalkapitels wurde Crottogini 1967 für eine Amtsperiode von sieben Jahren zum Generalvikar110 und sein Mitbruder Josef Amstutz zum Generaloberen gewählt.111 Für Crottogini bedeutete auch dieses Amt wieder einen Neuanfang, denn erstmalig wurden ihm keine Lehrtätigkeiten, sondern Leitungsaufgaben übertragen. Und auch für Amstutz waren die Aufgaben eines Generaloberen neu. Plötzlich waren sie es, die „hauptamtlich diese Missionsgesellschaft führten und verantworteten.“112 Doch die beiden Männer nutzen ihre Chance und wollten die SMB in eine neue Richtung lenken. In Anknüpfung an das gerade beendete Konzil wollten sie das Verständnis von Mission erneuern und bedürfnisorientierter vorgehen. Wie

      „man bisher in Lateinamerika und Afrika Mission verstanden hat, da irgendwo ins Nirgends einen Pfarrer zu schicken, das bringt nichts, das kann nicht unsere Aufgabe sein. Wir müssen also hingehen und zuerst mal schauen, was brauchen diese Leute und wie kann man sie zur Selbständigkeit bringen, dass sie aus ihrem Elend, aus ihrer Armut allmählich rausfinden. Was sind die Grundursachen für die bestehende Armut“113?

      Zusammen planten sie die ersten missionarischen Equipeneinsätze, die zum festen Bestandteil der SMB wurden: Im Rahmen dieser Einsätze sollten nicht nur Priester in die Mission geschickt werden, sondern auch Vertreter anderer Berufsgruppen, wie etwa Lehrer, Bauern, Krankenschwestern und Sozialarbeiter, um den verschiedenen Bedürfnissen in den verschiedenen Missionsgebieten gerecht zu werden. Die psychologische Vorauswahl der Bewerberinnen und Bewerber und deren Vorbereitung auf den Auslandseinsatz fiel Crottogini zu. Dies kostete ihn „[v]iel Kraft und Zeit […] [neben der] Begleitung von Mitbrüdern, die schwere Zölibatskrisen zu bestehen hatten. Nicht wenige, auf die wir grosse Hoffnungen gesetzt hatten, gaben damals den Priesterberuf auf und schieden dadurch aus der SMB aus.“114 Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Equipeneinsätze, die nicht Mitglieder der SMB waren, sondern sich durch einen Arbeitsvertrag verpflichtet hatten, schieden oft frühzeitig wieder aus. Man habe ihnen zwar von den Schwierigkeiten erzählt, „die es da so gibt im Equipo und im Land, wo sie da hingingen […]. Aber Tatsache war, du kannst den Ernstfall nicht proben, […] in den ersten zehn Jahren sind gut dreissig Prozent frühzeitig wieder nach Hause gekommen von diesen Equipo-Leuten.“115

      Gemeinsam mit dem Generaloberen war es als Generalvikar außerdem Crottoginis Aufgabe, zweimal in der siebenjährigen Amtsperiode alle Einsatzgebiete der SMB für Visitationsgespräche zu besuchen. Der Generalobere bereiste überwiegend die (latein-)amerikanischen Gebiete, während Crottogini die Reisen nach Afrika und Asien antrat. Und spätestens dort wurde ihm bewusst, dass es auch für ihn immer noch eine Option war, selbst noch einmal in die Mission zu gehen, denn diese Reisen „liessen [ihn] jedes Mal einen befreienden Abstand zu den oft zu gross geschriebenen Problemen der Heimatregion gewinnen.“116

      Im engeren Umfeld Crottoginis gab es vor allem in den früheren Jahren seiner Amtszeit gesundheitliche Sorgenfälle, die ihn sehr belasteten. So starb zwischen Weihnachten und Silvester 1970 zuerst seine Mutter. Ein halbes Jahr später, im Juni 1971, erlitt der Generalobere Amstutz einen Herzinfarkt. Amstutz erholte sich zwar vollständig, doch fiel er bis Ende September aus, sodass die alleinige Verantwortung in dieser Zeit bei Crottogini lag. Nach Visitationsreisen war es schließlich zuletzt im März 1973 Crottogini selbst, der aufgrund eines schweren Skiunfalls für einige Zeit ausfiel.117

      1974 wurde Crottogini erneut zum Generalvikar und Amstutz ein weiteres Mal zum Generaloberen gewählt. In dieser zweiten Amtsperiode standen wieder Reisen in die Missionsgebiete an. Und noch immer hatte Crottogini die Idee im Hinterkopf, noch in die Mission zu gehen.118 Alternativ konnte er sich vorstellen, nach seiner Zeit als Generalvikar als Kaplan in die Nähe von Chur zurückzukehren,

      „wo ich nichts zu tun habe, ausser am Sonntag einen Gottesdienst zu feiern. […] [W]ährend der Woche […] hätte ich dann die Gelegenheit gehabt, […] eine neue Arbeit über die Berufskrise des höheren Klerus [zu schreiben],