Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jessica Scheiper
Издательство: Bookwire
Серия: Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429064198
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im englisch-amerikanischen Sprachraum entstanden und – wenn überhaupt – dort veröffentlicht worden.146 Deutschsprachige Autoren hatten sich zwar auch mit dem Thema befasst, doch nie im gleichen Umfang und mit gleicher Intensität wie die Amerikaner und ohne die dortigen Forschungen zur Kenntnis zu nehmen.147 Eine umfassende empirische Untersuchung anhand moderner wissenschaftlicher Methoden zu den Motiven der Berufswahl von Seminaristen bzw. Priestern stand für den deutschen Sprachraum noch aus.148

      Crottoginis Dissertationsthema passte damit nicht nur zu seinen biographischen Seminarerfahrungen und der eigenen Interessenlage, sondern war zugleich hochaktuell. Die kulturellen, politischen, sozialen, pastoralen und zeitbedingten Ursachen für den Priestermangel hatte man schon erkannt149, doch fielen nicht nur ihre Gewichtung und Bewertung unterschiedlich aus, sondern auch die Überlegungen, wie sie zu beheben oder zu überwinden sein könnten. Vor allem dem Priesterseminar sprach man ein großes Potenzial zu, sich positiv auf den Priestermangel auszuwirken. Probleme in der Priesterbildung zu ermitteln und beheben zu können, bot die Aussicht, den Rückgang der Priesterberufe in Teilen zu begrenzen. Eine Reihe von Untersuchungen zum Priestermangel setzte daher bei der Priesterausbildung an und suchte dort schon nach den Gründen und Ursachen, die für ein späteres Austreten aus dem Seminar oder für ein Scheitern als Priester verantwortlich sein könnten, so auch Crottogini. Um seine Arbeit und seine Ansätze allerdings aus heutiger Sicht einordnen zu können, ist es hilfreich, einen Blick auf das zeitgenössische Priesterbild und dessen Bedeutung für die Seminarerziehung zu werfen. Es muss klar sein, was von Seminaristen bzw. Priestern vorausgesetzt und von ihnen erwartet wurde, um Crottoginis Ansätze und Befunde angemessen einordnen zu können. Priesterideal und Seminarerziehung waren notwendig verknüpft, weil das Priesterideal das normative Erziehungsziel implizierte. Welches Priesterbild und welche Seminarerziehung lagen Crottoginis Projekt also zugrunde? Auf welchen zeitgenössischen Grundlagen begann er seine Untersuchung? Was machte im amtlichen Verständnis das Wesen des Priestertums, des Priesters aus? Wie musste er persönlich-charakterlich sein, um seinem Wesensideal zu entsprechen? Konnte man solche erforderlichen Lebens-, Denk- und Verhaltensweisen im Rahmen der Seminarzeit anerziehen? Und wie? Mit welchen Methoden und Erziehungsmaßnahmen wurden Seminaristen in der Ausbildung auf ihr späteres Leben als Priester vorbereitet?

      Priesterbild und Priesterbildung waren seit jeher eng miteinander verknüpft und bedingten sich. Gab es Veränderungen im Priesterbild, machte sich das entsprechend in der Priesterausbildung bemerkbar. Gab es wiederum Defizite in der Priesterausbildung, konnte das Ideal des Priesterbilds nicht oder nur schwer erreicht werden. Der Begriff Priesterbild ist jedoch mehrschichtig. Er umfasst sowohl eine Wesens- und Funktionsbeschreibung als auch ein geistlich-aszetisches Ideal, das seit jeher dem Wandel unterliegt. Dem Konzil von Trient (1545–1563) war es zunächst ein Anliegen, dogmatisch die Existenz des Weihepriestertums zu verteidigen und zu sichern.150 Denn die Reformatoren hatten nicht nur die Rechtmäßigkeit eines eigenen klerikalen Standes, sondern auch die des Weihepriestertums verworfen.151 Die Reformatoren lehnten dessen klerikal-juridische Fixierung ab und beharrten auf dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen, in dessen Rahmen sie den Dienst an Wort und Sakrament nur als eine Funktion betrachteten.152 Von katholischer Seite wurde daher vorrangig die Sakramentalität der Weihe bekräftigt. Das Konzil definierte in antireformatorischer Verteidigung die ontologischen Unterschiede zwischen Kleriker und Laien.153 Die Weihe bewirkt demnach eine Veränderung im ontologischen Sinne, eine Seinsprägung, einen „unverlierbare[n] ‚Charakter‘“154. Und dieser Weihecharakter „macht aus dem Priester einen zweiten Christus (alter Christus).“155 Dem Wesen nach war ein Kandidat nach der Weihe damit anders. Diese „Zwei-Stände-Gliederung in (übergeordnete) Kleriker und (untergeordnete) Laien“156 war ausgerichtet auf den Kult und insbesondere die Sakramentenspendung.157 Denn an die ontologische Andersartigkeit waren die übernatürlichen Vollmachten gebunden. Es war die Auffassung, der Heilsauftrag der Kirche komme ausschließlich dem Priester zu, der „durch das Sakrament der Priesterweihe mit besonderen, übermenschlichen Befähigungen und Vollmachten“158 ausgestattet sei. Diese Vollmachten befähigten den Priester zum Verwalten und Ausspenden der Sakramente (vgl. 1 Kor 4,1). Durch die Weihe werde er zur eucharistischen Konsekration und damit unmittelbar zur Opferdarbringung befähigt. Der Funktion nach spende und vermittle er die Gnadengüter.159 In diesem Sinn wurde von katholischer Seite ein vor allem gegenreformatorisch bestimmtes Leitbild des Priesters und des Bischofs entwickelt, „das aus der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern geschöpft wird, seinen konkreten Inhalt aber aus der seelsorglichen Not der kirchlichen Gegenwart erhält: das Ideal des Guten Hirten.“160 Das Konzil präzisierte das Ziel der Seminarerziehung aber nicht, indem es etwa positiv ein detailliertes geistlich-aszetisches Leitbild des Priesters vorgegeben hätte. Vielmehr begnügte es sich mit einer Abgrenzung der katholischen Lehre über das Priestertum gegen die protestantische Lehre.161

      Der Umgang mit den Seminaristen orientierte sich deshalb zunächst auch nur an diesen Lehren: „Der Betonung des ‚sichtbaren‘ und ‚hierarchischen‘ Priestertums entspricht die Heraushebung der Kandidaten aus ihrer normalen Umgebung (Tonsur, Erziehung im Kolleg). Aus der Sakramentalität der Weihe ergibt sich die Erziehung zu einem religiösen und frommen Dasein“162. Das Konzil von Trient beabsichtigte, durch Reformgesetze jene Missstände zu beheben, die einer solchen Heraushebung entgegenstanden.163 Helfen sollte dabei die Hirten-Metapher.

      Aus der besonderen ontologischen Qualifizierung des Priesters als Verwalter und Ausspender der Sakramente folgten besondere Anforderungen an seine Lebensführung164 und zwangsläufig entwickelten sich geistlich-aszetische Ansprüche, die „übermenschlich“ anmuteten.165 Priester sollten immerzu nach Vollkommenheit streben und ein Standesbewusstsein fördern.166 Durch ihr Beispiel sollten sie so auch als ein „Instrument der Rekatholisierung“167 fungieren. Dem Vorbild des Priesters kam damit eine besondere Rolle für die Seelsorge zu, indem er durch sein Beispiel die Frömmigkeit des Volkes fördern oder ihr schaden konnte. Die Beschreibung des ontologischen Wesenskerns blieb seitdem konstant und doch gab es nie das fixe und endgültige Priesterbild.168 Aufgrund unterschiedlicher seelsorglicher und gesellschaftlicher Situationen wurden immer wieder unterschiedliche Anforderungen aus demselben Wesensverständnis abgeleitet. Immer wieder äußerten sich die Päpste zum Bild des Priesters, wenn auch aus verschiedenen Anlässen oder mit unterschiedlichen Akzenten.169 Es gab „verschiedene Züge und Schattierungen am Priesterbild, die einzeln betrachtet werden können“170, die aber schließlich aufeinander aufbauten, sich ergänzten und/ oder aufeinander verwiesen.

      Im 16. Jahrhundert war es z. B. aufgrund der Reformation dringend nötig, das Realbild des Priesters zu heben. Im 18. Jahrhundert wurde stattdessen das Bild des aufgeklärten Priesters zum Ideal. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es Johann Michael Sailer, der einer bibeltheologisch und ekklesiologisch ausgerichteten Priesterbildung und der Pastoraltheologie zu einem neuen Stellenwert verhalf,171 obwohl das „dynamische, lebensbezogene Priesterbild Sailers […] bald verflacht [wurde] zu einem kirchenamtlich überbetonten, uniformen aszetisch-strengen Erziehungs- und Tätigkeits-Leitbild.“172 Dies war der theologisch-kirchlichen restaurativen Tendenz im 19. Jahrhundert geschuldet. Vor allem seit dem Ersten Vatikanischen Konzil war das Priesterbild von „einer straffen Einheitlichkeit und Geschlossenheit, vor allem auch im Lebensstil und Erscheinungsbild bestimmt“173. Das Ziel war ein homogener Klerus.

      Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich zunächst die Heiligkeit des Priesterstandes bzw. die Selbstheiligung der Priester als Herzensangelegenheit der Päpste ausmachen. Die Selbstheiligung sollte das priesterliche Streben nach Heiligkeit sein, wenngleich sie manchmal mit einer „anthropozentrische[n] Selbstvervollkommnungsethik“174 verwechselt wurde. Tatsächlich bedeute Selbstheiligung immer „das Eingehen des Menschen auf das heiligende Tun Gottes, als bewußte Hinordnung des gesamten Lebens auf die Anbetung des Allheiligen.“175 Grundsätzlich habe sich der Mensch seiner Sündhaftigkeit vor Gott bewusst zu sein176 und deshalb stets nach Vollkommenheit streben.177

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