Ich möchte ein Mensch werden wir du, dessen Leben und Gestalt anderen Hoffnung gibt und Halt.
Ich möchte ein Mensch werden wie du, der Einsamen zur Seite steht, mit ihnen redet, isst und geht.
Ich möchte ein Mensch werden wie du, dessen Leiden Früchte trägt und wie ein Same Wurzeln schlägt.
Ich möchte ein Mensch werden wie du.
Norbert Weidinger
Christliche Symbolik in Jesu Taten
Jesus vollzieht heilsame Zeichenhandlungen, die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen nach damaligem Verständnis Wunder nennen. Sie haben ihre Vorgeschichte bei den Propheten. Diese verstärken durch Zeichenhandlungen die Wirkung ihrer Reden oder Visionen von drohendem Unheil, z. B. durch das Zerschmettern eines Kruges. Und wie war das bei Jesus? Ein Begriff für »Wunder im Sinne des Wider-Naturgesetzlichen findet sich in der Bibel nicht«, lesen wir im Bibellexikon. Und: »Wo wir von Wunder sprechen, spricht sie (die Bibel) differenziert von Krafttaten, Staunen erregenden Geschehnissen, Zeichen oder Heilungen … erzählt davon, dass Gott Menschen durch seine mächtige Hilfe gerettet hat.«15 Die Bibel ist in einer anderen Zeit verfasst. Die Norm, an der Wunder zu messen sind, ist nicht das Naturgesetz, sondern die Lebenserfahrung der damaligen Menschen. Sie sahen Gott am Werk.
Bei den biblischen Heilungserzählungen Jesu fallen jedenfalls drei Dinge auf:
• Jesus fragt in der Regel: »Willst du geheilt werden?« Er sucht das Ja des Hilfe suchenden Menschen.
• Er berührt den leidenden Menschen und sucht den direkten Kontakt zu ihm.
• Und schließlich folgt zum Abschluss meist der Satz: »Dein Glaube hat dir geholfen.«
Der Glaube ist das Entscheidende, damit Jesu Wirken heilsam werden kann. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, kann wahrnehmen, mit welcher sensiblen Intensität und zugleich Vorsicht und Vorliebe sich Jesus kranken, bedürftigen Menschen zuwendet, vor allem jenen, die wegen ihrer Krankheit aus der Gesellschaft ausgestoßen sind – wie die Aussätzigen. Sie holt er zurück in die Gemeinschaft, wie zum Beispiel den Zöllner Zachäus, das »leichte« Mädchen Maria Magdalena, den blinden Bettler Bartimäus oder jene, mit denen ein frommer Jude keinen Umgang haben durfte: den römischen Hauptmann von Kafarnaum oder die phönizische Frau mit ihrer kranken Tochter, die Samariterin am Jakobsbrunnen: Ihnen allen spricht Jesus die rettende Nähe des barmherzigen Gottvaters zu, wenn sie offen dafür sind. Das ist die eigentliche Heilung aus der Sicht Jesu – ohne ihre Menschenwürde zu verletzen, ohne sie zum Objekt herabzuwürdigen. Mit diesen Menschen hält Jesus Mahl und setzt so ein Zeichen. Sie lädt er ein: »Kommt ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch Erleichterung und neue Lebensfreude schenken!«16 In Jesus ist dieser heilende Gott zum Greifen nah.
Impuls
Der poetische Text des deutschen Priesters und Lyrikers Wilhelm Willms hat uns geholfen, als wir vor der Frage standen: Wie können wir uns Heilungen, zeichenhafte Handlungen Jesu vorstellen? Vielleicht lässt dieser Text auch Sie erahnen, welche Art von Beziehung Jesus mit Hilfe suchenden Menschen aufgebaut und auf welche Art er ihnen geholfen hat.
IST DAS WAHR
wußten sie schon
daß die nähe eines menschen
gesund machen
krank machen
tot und lebendig machen kann
wußten sie schon
daß die nähe eines menschen
gut machen
böse machen
traurig und froh machen kann
wußten sie schon
daß das wegbleiben eines menschen
sterben lassen kann
daß das kommen eines menschen
wieder leben läßt
wußten sie schon
daß die stimme eines menschen
einen anderen menschen
wieder aufhorchen läßt
der für alles taub war
wußten sie schon
daß das Wort
oder das tun eines menschen
wieder sehend machen kann
einen
der für alles blind war
der nichts mehr sah
der keinen sinn mehr sah in dieser welt
und in seinem leben
wußten sie schon
daß das zeithaben für einen menschen
mehr ist als geld
mehr als medikamente
unter umständen mehr
als eine geniale operation
(…)
als jesus
den tauben heilte
da ist er mit dem finger
in dessen ohren gegangen
er blieb nicht auf distanz
jesus ist ganz dicht
an den tauben herangegangen
und hat gesagt ▷
komm laß mich mal an deine ohren heran
und dann hat jesus mit dem finger
in seinen ohren gebohrt
die waren nämlich total verstopft
jesus hat den gehörgang des tauben
frei gemacht
von floskeln
von lügen
von allgemeinplätzen
von vorurteilen
ganz tief drinnen17
Wilhelm Willms
Die Spuren der Transzendenz, die Symbolsprache des christlichen Glaubens sind tief verwurzelt in der Gestalt, den Worten und Taten Jesu, seinem Leben, seinen Gleichnissen, Ich-bin-Worten und Zeichenhandlungen, seiner Art zu beten, von Gott zu sprechen. So ist er für uns Vorbild geworden im Glauben, im Beten und in gottesdienstlichen Ritualen bis auf den heutigen Tag. Wir beten noch immer das Vaterunser, feiern das Abendmahl, die Eucharistie, die Taufe, die Krankensalbung. Diese Feiern sind das Wertvollste, was Jesus uns hinterlassen hat mit der Verheißung, unter diesen Symbolzeichen und Ritualen wirkmächtig und heilend gegenwärtig zu sein. Die Sakramente des christlichen Glaubens sind für Christen und Christinnen wirksame Zeichen seiner Transzendenz im Heute. Allerdings müssen sie in jede Zeit und Generation hinein neu übersetzt, nicht nur als alt-ehrwürdige Museumsstücke weitergegeben werden, sondern als wirkungsvolle Zeichen der Nähe Gottes. Ihre Wirkung schafft eine neue Wirklichkeit, wie wenn zwei Menschen sich aus ganzem Herzen zusprechen: »Ich liebe dich.« Vergleichbares geschieht, wenn Menschen zu Gott beten (z. B. das Vaterunser): Dann ist der Ich-bin-da mitten unter uns, und sein Reich wächst unter und mit uns. Auf die gleiche Weise wirkt unter Christen die Bitte um Gottes Segen heilsam.
Quellen der Heilkraft
Sehr viele Menschen – auch Christen – gehen davon aus, dass die Natur Heilkräfte in den Urelementen Wasser, Feuer, Luft und Erde birgt, auch in Heilpflanzen und Bäumen. Eine beredte und unumstrittene Zeugin dafür ist Hildegard von Bingen. Allerdings verweist sie zugleich auf einen ausschlaggebenden Unterschied: