Das Symbol birgt und entbirgt seinen Sinn in einem Gegenstand (Ring, Tonscherbe, Freundschafts- oder Ehering). Das Ritual übermittelt seinen Sinn in einer Handlung mit dem Symbol (Ring bzw. Tonscherbe wieder zusammenfügen, Ehering anstecken in einer Feier). Deshalb sprechen manche von Gegenstands- und Handlungssymbol (= Ritual). Ein Ritual braucht einen definierten Anfang und Schluss, eine klare Abfolge von Teilelementen und festgelegte Deute-Worte/Formeln, die den Sinn eingrenzen und festlegen. Rituale entfalten ihre Wirkung aus der Spannung zwischen Wiedererkennen und Überraschung. Ohne Überraschungsmomente, ohne Aktualisierung auf unsere Lebenssituation heute werden sie allmählich stumm, verlieren ihre (Heil-)Kraft und erstarren in totem Ritualismus.
Quellen der Heilkraft
Diese Quellen zu erkunden, verlangt nun tatsächlich etwas Zeit zum Nachdenken. Vielleicht bringt uns der Rückblick Lorenz Wachingers unter dem Motto Wie Wunden heilen auf die richtige Spur. Er resümiert: Rituale und Symbole, mit viel Fingerspitzengefühl und großer Erfahrung vom Therapeuten gezielt in den Heilungsprozess eingebracht, wirken wie ein überraschender Energiestoß. Wenn die Therapie positiv verläuft, weckt ein energetischer Impuls den inneren Heiler, setzt die gefesselten Selbstheilungskräfte, die zuvor erblindete Selbsterkenntnis frei, und bringt Erstarrtes wieder in Bewegung. Der Prozess der Verwandlung, der Heilung nimmt seinen Lauf. Und woher kommt sie? Wachinger meint, sie kommt aus der Mitte des an seiner Situation leidenden oder von Begeisterung erfassten Menschen, aus der Leben erhaltenden und fördernden Bündelung all seiner Kräfte, seiner Emotionen, seiner Vernunft und seines Geistes. Sie verbünden sich mit den Kräften des Therapeuten. Aber der Leidende oder Über-Begeisterte selbst gibt also den Ausschlag mit seiner Bereitschaft, sich der Kraft der Rituale, der Heilungsmethoden und Symbole anzuvertrauen. Aus unserer Sicht ist das jedoch noch nicht alles. Wir fragen weiter: Sind bei unseren Brückenbauern, den Ritualen und Symbolen, auch noch spirituelle Kräfte am Werk? Hier kommen Humanwissenschaften und Theologie ins Spiel.
Die Humanwissenschaften belegen durch ihre Forschung, dass der Mensch nicht auf Rituale und Symbole verzichten kann. An der Grenze zum Un-Sag-baren bleibt er auf sie angewiesen. Dazu gehören die Psychotherapien und die Hilfe von Ritualen und Symbolen, mit denen Heilerfolge erzielt werden. Das Unterscheidende zwischen Humanwissenschaften und Theologie bleibt in erster Linie der zentrale Gegenstand theologischer Forschung: die Suche nach Gott und der Glaube an Gott mit seiner Gestaltungskraft. Die Vertreter der Humanwissenschaften üben an diesem Punkt Zurückhaltung, klinken sich redlicherweise aus. Sie fühlen sich aber durchaus geachtet, wenn Theologen den erarbeiteten Zuwachs an Erkenntnissen über den Menschen, seinen Sprach- und Symbolgebrauch in den Humanwissenschaften respektvoll aufgreifen und für die eigene Arbeit fruchtbar machen. Aus Respekt vor dieser Grenze haben wir die Unterscheidung zwischen allgemeinen und christlichen Ritualen getroffen, obwohl gerade die Praktische Theologie großen Nutzen aus den Humanwissenschaften zieht: in der Seelsorge, bei der Gestaltung der Gottesdienste und bei der Erschließung des christlichen Glaubens für Menschen jeglichen Alters.
Von der Kraft christlicher Rituale und Symbole
Die Sehnsucht der Menschen nach Gesundheit und Wohlbefinden, nach Glück und Frieden ist so alt wie die Menschheit selbst. Wir betrachten diese Sehnsucht neben dem Streben nach Erkenntnis als die Kraft im Menschen, die ihn drängt, die Frage nach dem Woher und Wohin des Kosmos sowie des Menschen zu stellen. Viktor Frankl spricht aus seiner KZ-Erfahrung sogar vom Willen zum Sinn. Diese Kraft ist aus menschlicher Sicht der Ursprung der Religionen. Aus der Sicht des christlichen Glaubens ist sie allen Menschen vom Schöpfergott vom Anfang an mitgegeben und sucht deshalb ihre Erfüllung in Gott, d. h. im Bereich der Transzendenz.
Wir möchten mit Ihnen nach diesen Spuren in Ritualen und Symbolen des christlichen Glaubens suchen, wie sie uns heute begegnen und deren einende Mitte Jesus Christus bildet. Wir bleiben dabei unserem Motto treu, den Weg von der äußeren Gestalt zum inneren Gehalt zu gehen.
Kirchenschätze, Bibeltexte, Kunstwerke – ein Spaziergang
Zunächst ein ganz realer Spaziergang, nicht nur im Kopfkino mithilfe Ihrer Fantasie oder Erinnerung.
Aus dem Schatz christlicher Kirchenräume
Wir laden Sie ein, sich auf Entdeckungstour in eine evangelische oder katholische Kirche zu begeben. Es sollte eine sein, die Ihnen gefällt. Wir geben Ihnen drei Aufgaben mit.
Impuls
Aufgabe eins: Den Kirchenraum im Umhergehen aufmerksam erleben, mit allen Sinnen wahrnehmen und beobachten: Wie wirkt der Raum mit seiner Atmosphäre, seinem Baustil, den Lichtverhältnissen, der Anordnung von Altar und Bänken auf Sie (lichtüberflutet oder mystisch-halbdunkel, kühl oder warm, kahl oder überfüllt, kraftvoll oder leer, nüchtern oder einladend, erschlägt er Sie oder lässt er Sie aufatmen)? Welche Gefühle, Gedanken, Erinnerungen löst er in Ihnen aus? Lassen Sie sich Zeit dazu!
Aufgabe zwei: Welche Bilder, Figuren, Symbole, Gegenstände können Sie erkennen und benennen (Kreuz, Kreuzweg, Heiligenfiguren, z.B. Maria) und welche Vorrichtungen für rituelle Feiern (Altar oder Altäre, Kanzel, Ambo mit Bibel, Taufbrunnen, Taufbecken, Tabernakel …)? Melden sich Erinnerungen an frühere Erlebnisse? Regt sich die Sehnsucht nach mehr und engerem Kontakt oder nach mehr Distanz?
Aufgabe drei: Suchen Sie Hinweise auf eine Auseinandersetzung mit Leiden und Erlösung, Krankheit und Heilung (Kreuzwegdarstellung, Votivtafeln, Inschriften, Schriften)!
Setzen Sie sich abschließend, bevor Sie die Kirche verlassen, an den Ort, der Ihnen guttut. Genießen Sie die Stille, atmen Sie ruhig, und suchen Sie in Ihrem Innern eine neue Standortbestimmung für sich:
Der christliche Glaube und seine Symbole wirken auf mich wie …
Das möchten sie mir vielleicht geben: …
Das Ergebnis dieses geistlichen Spaziergangs bleibt Ihr persönliches Geheimnis. Wir können aber unsere Intention abschließend noch einmal verdeutlichen: Wir wollten Sie mit diesem Spaziergang ermutigen, das Potenzial des Raumes in einer christlichen Kirche zu erleben, den Raum mit allen Sinnen wahrzunehmen und seine Bedeutung für sich selbst neu zu erschließen und auszuschöpfen. Wir sind überzeugt von diesem Potenzial, dieser Energie, kennen aber auch die großen Unterschiede. Mehr als auf den Raum kommt es auf die Menschen an, die diesen Raum füllen, aktuell gestalten, ihm mit ihren lebensnahen, aussagekräftigen, den Glauben stärkenden, rituellen Feiern Faszination und Ausstrahlung geben. Traditionspflege genügt nicht. Kirchen sind keine Museen.
Aus der Fülle biblischer Erzählungen
Im Alten Testament findet sich eine Erzählung mit märchenhaften Zügen: Das Buch Tobit. Es ist benannt nach einem tiefgläubigen jüdischen Mann, der zwischen 722 und 587 vor Christus in Ninive im Exil lebt, allen Schicksalsschlägen zum Trotz an seinem Glauben festhält und sehnsüchtig auf die Rückkehr nach Israel hofft. Sein Sohn heißt Tobias (hebr. Tobija = Gott ist gut). Ein Name – ein Programm! Im Fortgang tritt ein Engel mit dem Namen Rafael (hebr. = Gott heilt) in die Erzählung ein. Ein ganzes Glaubensbekenntnis in einem Namen. Paracelsus sagt: »Die Natur heilt, der Arzt kuriert nur.« Somit konfrontiert uns diese Erzählung mit der Frage: Woher kommt die Heilkraft wirklich?
AUS DEM BUCH TOBIT
Der gesetzestreue Jude Tobit begräbt gegen den Willen des assyrischen Königs seine Glaubensgenossen und unterstützt die Armen. Ausgerechnet er erblindet und wird zum Spott der Leute, selbst seiner Frau. Er klagt Gott sein Elend.