• Um zu dieser Begegnung zu gelangen, ist ein Weg zu gehen in einer Gemeinschaft von Reisenden, die sich von der gleichen Sehnsucht zum Ziel ihrer irdischen Reise ziehen und auf dem Weg wandeln lassen.
• Grenzerfahrungen wie Scheitern, Verlust, Enttäuschung, Feindschaft …, Erfahrungen also, dass die Wirklichkeit einer gegebenen Situation den eigenen Wunschvorstellungen von ihr widerspricht und diese damit begrenzt, werden zu Agenten der Verwandlung auf diesem Weg, insoweit die Wanderer wagen, ihre Grenzerfahrungen zu durchleben.
• Der Weg selbst ist letztlich ein innerer Weg, auf dem das bisherige Selbstverständnis stirbt und ein neues erwächst, das ausgerichtet ist auf eine unbedingte und freilassende Liebe.
Ihre Sehnsucht führt die drei Magier zu Jesus. So dürfen auch wir hoffen, zu ihm geführt zu werden und durch ihn zwei Dinge zu erfahren: erstens, noch etwas mehr über die Erfüllung unserer Sehnsucht, auch wenn damit zu rechnen ist, dass diese sich letztlich nicht angemessen in Worte fassen lässt. Und, zweitens, vor allem: mehr über den Weg zur Erfüllung der Sehnsucht.
1 Bibeltexte werden stets kursiv gesetzt und stammen aus der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Katholische Bibelanstalt, vollständig überarbeitete Auflage, Stuttgart 2016. […] bedeuten Umstellungen im zitierten Bibeltext, […] Hinzufügungen des Autors.
2 Aus: Geist und Leben Nr. 43, 1970.
3 Rumi, Das Lied der Liebe, S. 105.
I. Entstehung und Bedeutung des Osterglaubens
In der Mitte des Christlichen steht eine Person: Jesus aus Nazareth, sein Leben, sein Wirken, seine Lehre, sein Ende in Jerusalem. Wohltäter der Menschheit, Wunderheiler, Weisheitslehrer und Propheten hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Was Jesus aus ihrer Reihe heraushebt und einzigartig macht, ist eine 2000-jährige Tradition, die von ihm behauptet, er sei aus den Toten auferweckt worden und eins mit Gott. So habe er die Erfüllung der Menschensehnsucht erreicht, die über alles Irdische hinausgeht: die vollkommene Einheit mit dem geheimnisvollen Grund aller Wirklichkeit. Deswegen steht bei der Suche nach dem Kern des Christlichen im Mittelpunkt des Interesses die Frage, wie seine Zeitgenossen zur Erkenntnis seiner Auferstehung gelangt sind und welche Bedeutung sie für ihr Leben und ihre Suche nach Erfüllung – und damit auch für uns – hat.
Für diese Frage sind die Evangelien die wichtigste Quelle. Diese sind zwar keine Geschichtsschreibung, sondern Glaubensverkündigung. Doch kann auch eine Verkündigung es sich nicht leisten, vor noch lebenden Zeitzeugen Jesu grobe historische Unwahrheiten zu behaupten. Wenn die Evangelien auch erst 40 Jahre und mehr nach Jesu Tod erschienen sind, reichen sie doch viel näher an seine Zeit heran, weil sie sehr viel ältere Traditionen verarbeiten. Deswegen können die historischen Aussagen der Evangelien nicht in Bausch und Bogen als unglaubwürdig abgetan werden. Werden sie kritisch gewogen, dann tritt uns in ihnen folgende geschichtliche Gestalt des Jesus von Nazareth entgegen.
1. Der historische Gehalt des Lebens Jesu
Jesus – der Name bedeutet „Gott hilft“ – wurde in Bethlehem zur Zeit des Königs Herodes, nach heutiger Rechnung etwa 6 v. Chr. (Mt 1–2; Lk 1–2) in der Familie des Handwerkers Joseph geboren. Seine Mutter ist Maria. Über Kindheit und Jugend Jesu ist nichts Sicheres bekannt. Jesus übte den Beruf eines Zimmermanns aus (Mk 6), bis seine Taufe durch Johannes im Jordan, die alle Evangelien berichten (Mt 3; Mk 1; Lk 3; Joh 1) und die als historisch gesichert gelten darf, seinem Leben eine Wende gibt: Er beginnt umherzuwandern und öffentlich zu wirken, vor allem um den See Gennesaret herum, dann auch im Raum Galiläa und in den angrenzenden heidnischen Gebieten, in Samarien und Jerusalem. Diesen geographischen Rahmen bezeugen alle vier Evangelien, jedoch mit unterschiedlicher Füllung und unterschiedlicher Dauer: Die synoptischen Evangelien von Markus, Matthäus und Lukas4 sprechen von einem Jahr, das Johannesevangelium von zwei bis drei Jahren. Von dieser Zeitspanne handeln die Evangelien.
Jesus war Jude. Am religiösen Leben nimmt er teil. Wir finden ihn in den Synagogen und im Tempel in Jerusalem. Darüber hinaus tritt er an die Öffentlichkeit mit der Botschaft, dass das Reich Gottes in seiner Person nahegekommen ist. Auf dieses Reich als vollendetem Heil für alle hoffte ganz Israel. Viele konnten es im Wirken Jesu erleben: In der Weise, wie er predigte, wie er sich anderen zuwandte, vor allem gesellschaftlich abgewerteten Personen wie Kranken, Aussätzigen, Zöllnern und Sündern, Frauen und Kindern, einfachen Arbeitern, so dass Kranke gesundeten und Belastete aufatmen konnten. Er fand Anhänger und berief zwölf von ihnen in seine Nähe. Sie zogen mit ihm umher. Er lehrte sie und setzte sich mit ihnen, vor allem den Zwölfen, besonders auseinander. Der Anspruch, den die Verbindung seiner Botschaft mit seiner Person erhob, schuf ihm von Anfang an Gegner und führte schließlich zu seinem Tod, verraten von einem der Zwölf. Jesus hat diesen Tod aus Treue zu seiner Sendung und in der Hoffnung auf seine Auferstehung angenommen. Sein Tod am Kreuz „unter Pontius Pilatus“ (Mt 24; Mk 15; Lk 23; Joh 19) ist das sicherste Datum seiner Biographie: der 14. oder 15. Nisan (7./8. April) des Jahres 30 (oder 33). Jesus wurde hingerichtet als „König der Juden“, d. h. als politischer Aufrührer, der er aber nicht war.
Bemerkenswert ist, dass die Jesus-Bewegung damit nicht in Bedeutungslosigkeit versinkt, wie das üblicherweise der Fall ist: Anhänger wandern ab, die Bewegung zersplittert sich in Macht- und Richtungskämpfen. Auch wenn noch eine Weile ein fanatisiertes Grüppchen von sich reden macht, verliert es seine Basis in der breiten Bevölkerung. Hier aber ist das Gegenteil der Fall: Die restlichen elf Apostel bleiben nach Jesu Tod nicht nur mit weiteren Jüngern und Jüngerinnen Jesu zusammen, sie beginnen nun ihrerseits öffentlich aufzutreten und zu verkündigen, dass Gott … ihn zum Herrn und Messias gemacht [hat], diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt (Apg 2,36). Diese Botschaft wird mit erstaunlichem Einsatz und Mut verbreitet. Ihre Verkündiger scheuen weder vor Mühsal und Gefahren noch vor Haft und Strafen zurück. Sie finden Zulauf, zunächst in Israel, dann auch bei Nichtjuden im ganzen Römischen Reich. Der Kern ihrer Botschaft ist, dass Jesus in noch nie da gewesener und unüberbietbarer Weise Gott vermittelt. Da keiner von uns Gott schauen kann, das verborgene und unverfügbare Geheimnis aller Wirklichkeit, sind wir auf eine Vermittlung angewiesen, in der es sich authentisch mitteilt. Genau dies ist in Jesus geschehen: Und das Wort, durch das alles geworden ist, ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh 1,3.14). Das ist der Kern des Osterglaubens und der Verkündigung der Jünger. Deswegen nennen sie Jesus auch „Sohn Gottes“.
4 Diese drei heißen deswegen so, weil man sie „zusammenschauen“ kann, da sie, grob gesprochen, folgendermaßen aufgebaut sind:
Mt ≈ Mk + Q + mt. Sondergut
Lk ≈ Mk + Q + lk. Sondergut
Dabei haben Mt und Lk ihre Quellen Mk und Q, die sogenannte Logienquelle, die vor allem Redetexte beinhaltet, jeweils bearbeitet.
2. Nachfolge – ein Abenteuer voll Ambivalenz und Spannung
Wir verlassen mit dieser Thematik den Bereich der historisch sicheren Fakten und wenden uns den Erfahrungen von Menschen mit Jesus zu, die die Evangelien berichten. Wie gesagt, sind diese nicht frei erfunden, doch ist ihre Darstellung eingefärbt von der Deutung des Geschehens aus dem Glauben heraus und von der Absicht, diesen Glauben den jeweiligen Adressaten zu verkünden.
Etliche junge Männer verließen damals ihre Familien aufgrund der materiell aussichtslosen Lage: Manche gingen in die Berge Galiläas, um gegen die Unterdrückung durch die Römer und die Ausbeutung der Landbevölkerung durch reiche Städter zu kämpfen; andere gingen ins Ausland, wo sie sich ein besseres Leben erhofften. Die Männer und Frauen, die Jesus folgen, spricht seine Botschaft an, dass eine große Wende bevorsteht, die Gott bewirkt: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium (Mk 1,15). Sie nehmen in Kauf, ihre Familien einer Arbeitskraft zu berauben und sie in Trauer, Schmerz und manchmal auch Zorn zurückzulassen. Sie erleben, wie durch Jesus Kranke gesund werden, Blinde wieder sehen und Lahme gehen; Aussätzige rein werden und Taube hören; Tote aufstehen und den Armen das Evangelium verkündet wird (Mt 11,5). Das Wirken Jesu erfüllt