Prinz Albert, Szene aus Shakespeares «Henry IV», Radierung, 1840, Woburn Abbey. Prinz Albert war hochgebildet, künstlerisch begabt und mit Shakespeares Werken bestens vertraut. Die Illustration zu einer Szene aus «Heinrich IV.» trägt autobiografische Züge, sie zeigt eine Zurechtweisung des jungen späteren Königs Heinrich V. durch einen Vertreter des Vaters, Heinrich IV. Wie dieser hegte Albert als Vater des zukünftigen britischen Thronfolgers grosse Hoffnungen für seinen (noch ungeborenen) Nachwuchs und wollte es Heinrich IV. als Erzieher gleichtun. Heinrich V. hatte anfangs wegen Ausschweifungen noch Anlass zur Sorge gegeben, war aber dann Shakespeare zufolge zu Englands «Model King» avanciert.
Was Queen Victorias politische Verpflichtungen betraf, so ging ihr mit dem Rücktritt Melbournes dessen Unterstützung verloren, und es dauerte einige Zeit, bis Prinz Albert sich genügend Ansehen verschafft hatte und man ihm mehr zugestand, als die Tinte der Unterschriften unter den Staatspapieren löschen zu dürfen. Als Deutscher wurde er lange mit ziemlichem Argwohn betrachtet und erst als vollwertiges Mitglied der Königsfamilie akzeptiert, nachdem er seine staatsmännischen Eigenschaften als weiser und innovativer Berater unter Beweis gestellt hatte. Der Fortschritt und das Wohlergehen der Nation – eigentlich ganz Europas und der Welt – lagen ihm am Herzen. Als Prinzgemahl ergriff er im Namen der Königin zahlreiche Initiativen, um seine Wertvorstellungen zu verwirklichen. Zu seinen vielfältigen Talenten zählten das Komponieren, Zeichnen und Skizzieren, aber er entwickelte sich auch zu einem tatkräftigen Förderer der Künste, der Naturwissenschaft und der Industrie und regte viele Massnahmen der Königin an. Dabei machte er unter anderem einen Vorschlag, durch den ein heftiger Streit mit den Vereinigten Staaten entschärft wurde.
Während der bewegten 1840er-Jahre gelang es Grossbritannien, die politischen Stürme auf dem Kontinent zu überstehen. Nachdem das wichtige Reformgesetz (Reform Bill) 1832 mehr Demokratie gebracht hatte, machte die Aufhebung der Getreidezollgesetze 1846 den Import von billigerem Getreide für die Unterprivilegierten möglich. Die Landeigentümer verloren damit an Macht. Obwohl auf dem Kontinent die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Unruhen zunahmen und sich schliesslich 1848 in offenen Revolutionen entluden, trugen derartige britische Eingriffe, so bescheiden sie sein mochten, doch dazu bei, die Unzufriedenheit in Britannien einzudämmen und zu verhindern, dass die Revolutionswelle auf das Vereinigte Königreich überschwappte. Der Eckpfeiler der britischen Europapolitik war das Gleichgewicht der Mächte, das heisst, es gab keine direkte Beteiligung an inneren Auseinandersetzungen, sondern die aktive Unterstützung von Massnahmen, die der Aufrechterhaltung des Friedens auf dem Kontinent dienten, und der kontinuierliche Versuch zu vermeiden, dass die Macht irgendeines Landes überhandnahm. Die kleine und strategisch wichtig in der Mitte Europas gelegene Schweiz war für politischen Druck und entsprechende Pressionen anfällig. Ihre Unabhängigkeit und ihr neu gewonnener Status der Neutralität wurden Anfang des 19. Jahrhunderts von der britischen Regierung und auch später durch Queen Victorias beherztes Eingreifen energisch verteidigt.
1847 bereitete sich die Schweiz auf die Gründung des Bundesstaats mit einer eidgenössischen Verfassung vor und wurde wegen ihrer liberalen Tendenz von Europas Grossmächten bedroht. Am 25. November desselben Jahres schrieb König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen an die Königin und drängte sie, das Gewicht Grossbritanniens in die Waagschale zu werfen und sich den Bemühungen Preussens und anderer europäischer Mächte anzuschliessen, «die gottlosen und rechtlosen Liberalen» in der Schweiz einzudämmen, da es fatale Folgen für den Kontinent haben werde, falls diese weiterhin ihren Willen durchsetzen würden. Victorias Weigerung war diplomatisch formuliert, doch unmissverständlich, und die Drohung wurde zurückgenommen.
1856/57 hatte Victoria dann nochmals eine Gelegenheit, ihre Regierung persönlich zu unterstützen, indem sie dem preussischen König in einer weiteren Schweizer Angelegenheit entschieden widersprach. Das preussische Fürstentum Neuchâtel (Neuenburg) war ein Kanton der neuen Schweizerischen Eidgenossenschaft geworden, doch König Friedrich Wilhelm IV. weigerte sich, dies anzuerkennen, und klammerte sich aus sentimentalen Gründen weiter an sein Recht auf Neuenburg und seine «geliebten Untertanen» – obwohl diese ehemaligen Untertanen nun Bürger eines Schweizer Kantons waren und sogar einige Monarchisten inhaftiert hatten, die einen propreussischen Putschversuch unternommen hatten. Als der König deren Freilassung forderte und die Schweizer dies ablehnten, drohte er ihnen mit Krieg und bat um Unterstützung bei der Verteidigung seiner ihm durch Gottesgnadentum verliehenen Rechte als König «gegen diese Eidgenossenschaft von Emporkömmlingen». Er erklärte, er schreibe diesen Aufruf mit seinem «Herzensblut», und sandte ihn an mehrere gekrönte europäische Häupter, unter ihnen auch Königin Victoria. Diese versuchte, ihm seine Pläne auf diplomatischem Wege auszureden, indem sie ihm schrieb, selbst wenn die inhaftierten Monarchisten keine ganz makellose Weste hätten, befürchte sie die Folgen einer gewaltsamen Befreiung derselben: «Dies würde europäische Fragen von dem schwersten Belange implicieren.» Daraufhin wandte sich der König an Albert, der bald Prinzgemahl sein würde, und bat ihn, die Königin von der Notwendigkeit zu überzeugen, «dass die Grossmächte mit der Schweiz ein ernstes Wort von der Gattung, die kein nein zulässt, sprechen». Die Königin wiederholte, dass dies für ganz Europa gravierende Folgen hätte.
Doch Preussen mobilisierte seine Truppen und bereitete sich darauf vor, in die Schweiz einzumarschieren. Diese machte unter General Dufour ebenfalls mobil und rüstete sich, den Preussen zu den Klängen von Roulez tambours entgegenzutreten. Schliesslich aber, als die Queen der britischen Regierung daraufhin versicherte, sie billige ihre uneingeschränkte Unterstützung der Schweizer Position vollauf, gab der preussische König Neuenburg auf und soll danach, einem seiner Generäle zufolge, nie mehr gelächelt haben.
Das Leitmotiv des Zeitalters lautete Improvement (Verbesserung), und Prinz Alfreds Beitrag hierzu wurde immer bedeutender. Er war die treibende Kraft hinter dem wichtigsten Ereignis dieser Jahrhundertmitte, der Great Exhibition von 1851: Auf dieser Londoner Industrieausstellung und erster Weltausstellung wurden die erstaunlichen Fortschritte demonstriert, die Grossbritannien mit seinen mutigen, zukunftsweisenden wissenschaftlichen und architektonischen Neuerungen gemacht hatte. Jedermann konnte sehen, dass Grossbritannien inzwischen der «workshop of the world» war.
Die Fortschritte waren tatsächlich einschneidend. Zum Beispiel: Die landwirtschaftlich geprägte Welt des frühen 19. Jahrhunderts, in der sich noch Kutschen im behäbigen Tempo von 10 Meilen pro Stunde fortbewegten, wurde 1829 mit George Stephensons «Rocket», der Lokomotive, die es auf 28 Meilen pro Stunde (45 km/h) brachte, hinweggefegt. Dieses Fahrzeug war schneller als jedes andere Transportmittel zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Doch der Fortschritt hatte seinen Preis – für die Menschen und für die Umwelt. Die Königin war schockiert von den Bedingungen, unter denen Menschen, selbst Kinder, in den berühmt-berüchtigten «finsteren satanischen Mühlen» schuften mussten, und die Landschaft wurde durch die, so Dickens, lilafarbenen Flüsse aus übelriechenden Färbemitteln massiv in Mitleidenschaft gezogen. London wuchs und wuchs und wurde zu dem, was John Ruskin die «grosse stinkende Stadt London» nannte, in der sich aufgrund der unzureichenden Abwasserbeseitigung Seuchen ausbreiteten. Doch der auf die Zukunft gerichtete Erfindungsgeist des Zeitalters zeigte sich der Herausforderung gewachsen. Ab der Jahrhundertmitte wurden in der rasch wachsenden Stadt auf einer Strecke von über 100 Kilometern Kanalisationsröhren verlegt (die bis heute teilweise noch in Betrieb sind).
Der Krimkrieg Mitte der 1850er-Jahre brachte die mitfühlende Seite der Queen zum Vorschein, denn sie unterstützte Florence Nightingale und ihre Bemühungen, das Leiden der im Krieg Verwundeten zu lindern. Die Königin schrieb ihr: «Wie sehr ich Ihren Einsatz bewundere, der völlig demjenigen meiner lieben und tapferen Soldaten entspricht, deren Leiden zu lindern Sie auf derart barmherzige Weise das Privileg hatten.» Spürt man hier einen Hauch von Protofeminismus? Auch bei vielen anderen Gelegenheiten, in denen sie sich für die Unterprivilegierten, ob Mensch oder Tier einsetzte, stellte die Königin ihr Mitleid unter Beweis. Sie brachte ihre Ablehnung von Tierversuchen unmissverständlich zum Ausdruck und war besonders beunruhigt davon,