Literatur
Es gibt bislang keine umfangreichere Untersuchung zum Benziger Verlag, die wissenschaftlichen Kriterien entspricht und mehr als einen einzelnen Aspekt der Verlagsgeschichte im Blick hat. In der religions- und kirchenhistorischen, der volkskundlichen Literatur sowie in der Buchgeschichte fristete der Benziger Verlag bislang eine Art Fussnotenexistenz. Man hat, sich in der Regel auf ältere Jubiläumsschriften beziehend, immer wieder auf den Verlag und seine Bedeutung verwiesen, ohne allerdings länger bei seiner Geschichte zu verweilen.30 In der lokal- und regionalhistorischen Forschung ist der Benziger Verlag etwas ausführlicher thematisiert worden. Bereits Odilo Ringholz verfasste für seine 1896 erschienene Einsiedler Wallfahrtsgeschichte einen kurzen Abriss der Firmengeschichte.31 Auch in der jüngeren Vergangenheit wurde die ehemalige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung des Verlags in mehreren Publikationen hervorgehoben, beispielsweise in verschiedenen Beiträgen der Schwyzer Kantonsgeschichte von 2012;32 2010 war die Verlagsgeschichte auch Thema einer Ausstellung in Einsiedeln zum populären Zeitgeschmack um 1900, die vor allem die Produktion religiösen «Kitschs» thematisierte;33 2003 erschienen in der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» zwei Bände über das Kloster und das Dorf Einsiedeln, in denen die beiden Autoren Werner Oechslin und Anja Buschow der Firma Benziger viel Raum zugestehen. Neben dem Einfluss von Benziger auf die bauliche Entwicklung Einsiedelns thematisieren sie in anregender Weise auch kulturhistorische Aspekte der Verlagsgeschichte, die weit über das Lokale hinausreichen.34
Daneben bestehen einige Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der Verlagsgeschichte: Ursula Brunold-Bigler widmete in einer 1982 erschienenen Studie über religiöse Volkskalender in der Schweiz dem «Einsiedler Kalender» von Benziger mehrere Seiten; Elisabeth Joris thematisiert in ihrer 2011 erschienenen Doppelbiografie von Josephine Stadlin und Emilie Paravicini-Blumer auf einigen Seiten die Schulpolitik, welche die Gebrüder Benziger in den 1840er-Jahren in Einsiedeln betrieben;35 Matthias Christen gibt in einem 2010 erschienenen Buch über fotografische Totengedenken in der Zentralschweiz einige Hinweise auf die Produktion von Totenbildern bei Benziger, wobei er sich teils auf Quellenmaterial aus dem Nachlassarchiv stützt;36 2001 verfasste Dominik Feusi eine Lizenziatsarbeit zur Konfessionalisierung im Kanton Schwyz am Beispiel der politischen Tätigkeit von Josef Karl B.-Meyer (1799–1873); Daniel Meienberg schrieb 2009 eine sozialhistorisch orientierte Lizenziatsarbeit zum Arbeiterstreik bei Benziger im Jahr 1900; 1999 und 2004 erschienen in Chicago zwei kunsthistorisch orientierte Aufsätze von Rachel Bean beziehungsweise Saul Zalesch zur von Benziger um 1900 in den USA produzierten und vertriebenen religiösen Kunst.37
Den narrativen Rahmen bezüglich der allgemeinen Verlagsgeschichte bilden in den genannten Arbeiten in der Regel ältere Jubiläumsschriften sowie Familiengeschichten. Vor allem zu nennen ist eine 1923 von Carl Josef B.-Berling (1877–1951) für die noch deutsch lesende Verwandtschaft in den USA verfasste Familiengeschichte, die umfangreiche Porträts und eine insgesamt ziemlich ausgewogene Darstellung der Verlagsgeschichte für die Zeit bis etwa 1900 enthält. Diese Arbeit ist bis heute die wichtigste Referenz zur Verlagsgeschichte des 19. Jahrhunderts geblieben. Carl Josef B.-Berling, Sohn des letzten Verlagsdirektors aus der Gründerfamilie, Historiker und während Jahrzehnten in der eidgenössischen Diplomatie tätig, verfasste zuvor bereits ein Werk über die Geschichte des Buchgewerbes im Kloster Einsiedeln, worin er auch auf die Anfänge des Benziger Verlags zu sprechen kommt. 1971 erschien das Buch «Beiträge zur Geschichte der Benziger von Einsiedeln und der ersten Buchdruckereien im Dorfe» von Bruno Lienhardt-Schnyder, der mit der Familie Benziger verwandtschaftlich verbunden war. Das Buch stützt sich teils auf die Familiengeschichte von 1923, teils auf eigenes Quellenstudium.38 Zu Adelrich Benziger (1864–1942), dem späteren Erzbischof Alois Maria Benziger in Indien, gibt es zwei Biografien aus den Jahren 1944 und 1977;39 zu seinem Bruder August Benziger (1867–1955), einem erfolgreichen Porträtmaler, erschienen 1922 und 1958 ebenfalls zwei Biografien.40 Die Biografien der beiden Brüder enthalten, in der Regel anekdotisch gehaltene, Informationen über das familiäre und geschäftliche Milieu, in das sie hineingeboren wurden. Zu erwähnen sind insbesondere auch mehrere Schriften anlässlich von Firmenjubiläen.41 Auch erschienen zu den Direktoren Oskar Bettschart-Spörri (1882–1960), seinem Sohn Oscar Bettschart-Fahrländer (1921–1990) sowie Gustav Keckeis-Barth (1884–1967), welche die Geschicke des Verlags im 20. Jahrhundert massgeblich prägten, zwischen 1951 und 1990 mehrere, teilweise gehaltvolle Festschriften und Nachrufe.
Zusammen mit weiteren kleineren Schriften, familienhistorischen und familieninternen Arbeiten ergibt sich das Bild einer insgesamt äusserst disparaten, aber auch reichhaltigen Literatur zum Thema. Alle Texte zusammengenommen bilden ein vielstimmiges und differenziertes Mosaik der Verlagsgeschichte von seinen Anfängen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Arbeit stützt sich auf die genannte familien- und unternehmensnahe Literatur, geht in vielerlei Hinsicht aber darüber hinaus. Revisionsbedürftig ist insbesondere das eindimensionale Fortschrittsnarrativ, das in diesen Texten konstruiert wird. Es ist – insbesondere für das 19. Jahrhundert – weitestgehend die Erzählung von Generationen von «grossen Männern», und ganz am Rande auch von deren Frauen und Töchtern: Im abgeschiedenen Hochtal von Einsiedeln bauen sie durch schiere Tatkraft und gestützt durch ihren unerschütterlichen Glauben ein Unternehmen auf, das sie wie durch Vorsehung steuern und auch durch harte Arbeit von Generation zu Generation weiter ausdehnen. Die Umwelt des Unternehmens und der grössere historische Kontext werden dabei weitgehend ausgeblendet. Es ist indes nicht mein Anspruch, mit dieser Arbeit ältere Erzählungen der Verlagsgeschichte aufzuheben oder zu ersetzen. Doch soll der Blick auf das Thema geweitet, einige Lücken geschlossen, neue Schwerpunkte gesetzt und Fragen gestellt, die Verlagsgeschichte in gewisser Weise also vergegenwärtigt werden.
Gliederung und Vorbemerkungen
Das Buch ist in sechs thematische Hauptkapitel gegliedert, die sich nach einer groben Chronologie richten. Das Kapitel «Wallfahrt und Wirtschaft» fragt nach der Entstehung des Unternehmens im 18. Jahrhundert, seiner weiteren Entwicklung im 19. Jahrhundert und nach den Wechselbeziehungen zum lokalen Umfeld in Einsiedeln bis etwa 1900. Das Kapitel «Expansion» fragt nach der internationalen Umwelt der Firma und nach den Bedingungen und Konsequenzen der Errichtung überseeischer Filialen. Das Kapitel «Ware für den katholischen Markt» gibt nach einer generellen Einführung zur Funktion religiöser Medien in der Moderne eine Übersicht über die wichtigsten Medientypen des Verlags im 19. Jahrhundert – Gebetbücher, Andachtsbilder, Periodika und Belletristik – und fragt nach den Produktions- und Distributionsprozessen dieser Medien sowie den daran beteiligten Akteuren. Das Kapitel «Filialen der Kanzel?» stellt die Firma Benziger in einen internationalen Kontext, wagt eine Topografie des katholischen Verlagswesens in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und Belgien und schlägt eine grobe Periodisierung des katholischen Verlagswesens im 19. Jahrhundert vor. Das Kapitel «Innenansichten» versucht eine soziale und politische Verortung der Verlegerfamilie und fragt nach der firmenspezifischen Unternehmenskultur. Das Kapitel «Kontinuitäten und Zäsuren im 20. Jahrhundert» schliesslich behandelt in summarischer Weise die Verlagsgeschichte von rund 1920 bis etwa 1970 und thematisiert in der gebotenen Kürze auch das eigentlich ausserhalb der gewählten Untersuchungsperiode liegende Ende des Benziger Verlags als eigenständiges Unternehmen in den 1980er- und 1990er-Jahren.
Hinzu kommen zwei kommentierte Bildstrecken: Die Erste beinhaltet Beispiele aus der Verlagswerbung und der Produktion; sie stammen hauptsächlich aus der Zeit zwischen 1850 und 1920. Die zweite Bildstrecke enthält Fotografien aus der Verlagsgeschichte zwischen 1860 und 1989. Eine Auswahl von Tabellen und Kurzbiografien von für die Verlagsgeschichte massgeblichen Personen – Verleger, Direktoren, Verwaltungsräte, Autoren, Künstler, Experten – befindet sich im Anhang. Die Namen der Mitglieder der Familie Benziger werden in dieser Arbeit, um Verwechslungen zu vermeiden, mit doppeltem Nachnamen angeführt, wobei der Name «Benziger» abgekürzt wird (z.B. Adelrich B.-Koch). Das Unternehmen