Der Schoppenfetzer und die Satansrebe. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429063993
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Dann trat wieder Ruhe ein. Ein Namensschild am Türrahmen bestätigte ihm, dass er an der richtigen Adresse war.

      Durch seine Recherchen wusste der Rächer, dass das Haus keine Alarmanlage besaß. Auch ein Hund, der seinen Plan hätte durchkreuzen können, war nicht vorhanden. Er griff in die Seitentasche und holte einen kleinen Gegenstand heraus, führte die zwei Stifte, die an dem Kästchen hervorragten, in das Türschloss ein und betätigte einen Schalter. Ein leises, hektisches Schnarren ertönte, dann wechselte eine Leuchtdiode auf der Oberseite des Geräts von Rot auf Grün. Mit einem kaum hörbaren Knacken ging das Schloss auf und die Tür schwang nach innen. Angespannt starrte er in den schwarzen Hausflur. Fast eine Minute lang blieb er regungslos stehen und lauschte. Beiläufig nahm er den Geruch des Hauses in sich auf: eine Mischung aus abgestandener Luft und dem Hauch eines herben Herrendufts. Schließlich trat er ein und schloss die Tür lautlos hinter sich. Im Schein seiner schwach leuchtenden Taschenlampe erkundete er den Flur. Auf der rechten Seite führte eine Steintreppe in das obere Stockwerk, gegenüber befand sich eine schmale Tür, auf der eine Comicfigur darauf hinwies, dass sich dort die Toilette befand. Danach kam die Garderobe. Gegenüber dem Hauseingang führte eine weitere Tür in die Wohnräume.

      Die weichen, profillosen Sohlen seiner Sportschuhe verursachten auf dem Nadelfilz des Flures keinerlei Geräusche, als er durch die Tür trat. Wieder blieb er stehen und lauschte. Lediglich das Ticken einer Uhr unterbrach die Stille. Urplötzlich empfand der Rächer ein starkes Gefühl der Macht: Macht über dieses Haus und damit auch über seinen Bewohner. Gemächlich nahm er die Räumlichkeiten des Untergeschosses in Augenschein: Küche, Wohnzimmer, Esszimmer, daran angeschlossen eine großflächige Veranda an der Hinterseite des Hauses. Die Wohnung war ordentlich, fast pedantisch aufgeräumt. Der Lichtstrahl der kleinen Lampe fiel auf Plastiken und Bilder. Der Rächer verstand zwar nicht allzu viel davon, aber dass sie wertvoll waren, davon war er überzeugt. Er wusste, dass der Eigentümer Kunstsammler war und sich dieses Hobby auch leisten konnte. Der Mann zuckte mit den Schultern. Er war nicht hier, um sich zu bereichern. Sein Ziel war ein anderes. Ohne etwas berührt zu haben, verließ er den unteren Bereich der Wohnung, schloss die Tür hinter sich und betrat die Treppe zum oberen Stockwerk.

      Hier befanden sich zwei Schlafräume und eine Bibliothek, die wohl auch als Arbeitszimmer diente. In den Regalen der Bibliothek standen Bücher über viele Meter. Auf einem massiven Eichenschreibtisch lag ein geschlossener Laptop. Zwischen den beiden Schlafräumen, von denen der kleinere offenbar als Gästezimmer genutzt wurde, befand sich ein Bad, zu dem vom größeren Schlafraum aus eine Verbindungstür führte. Durch eine weitere Tür gelangte man in einen geräumigen begehbaren Kleiderschrank. Auf der einen Seite befanden sich, farblich sortiert, Anzüge und in einem Regal gebügelte Hemden. Gegenüber in einem weiteren Regal standen zahlreiche Schuhe.

      Der Rächer ging zurück in den Schlafraum und blickte eine Zeit lang auf das großflächige Doppelbett, das ebenfalls korrekt gerichtet war. Nach wenigen Minuten stand sein Plan fest. Er betrat wieder den begehbaren Kleiderschrank und setzte sich auf einen kleinen Hocker. Aus der Tasche zog er einen Elektroschocker und legte ihn neben sich. Die Tür zum Schlafraum ließ er angelehnt, so dass er Geräusche aus dem Haus gut hören konnte. Der Rächer war bereit.

      ❖

      Rechtsanwalt Theodor Friedrich Seibold liebte Gesellschaft, besonders die von deutlich jüngeren Damen. Das gab ihm das Gefühl, ebenfalls jung zu sein und dem Alter trotzen zu können. Als er die Einladung zur Promotionsfeier der Tochter eines Kollegen erhalten hatte, hatte er mit Freude zugesagt, weil er sich sicher war, dort jede Menge ansprechende Weiblichkeit anzutreffen. Seibold sah man seine zweiundsechzig Jahre definitiv nicht an. Mit seinen Einmeterfünfundachtzig und der schlanken sportlichen Figur ging er locker als zehn Jahre jünger durch. Dazu kam, dass er sich in seiner Freizeit betont jugendlich kleidete. Seinen immer noch vollen Haaren half er mit etwas Tönung auf die Sprünge, damit das Dunkelblond durch keine graue Strähne beleidigt wurde. Allenfalls an den Schläfen gestattete er sich ein paar silbrige Fäden.

      Die Promotionsfeier fand im Haus einer Würzburger Studentenverbindung in der Rottendorfer Straße statt. So ungefähr bis Mitternacht lief die Feier einigermaßen geordnet ab, da aber der Alkohol reichlich floss, wurden die Gäste immer ausgelassener. Die Musik dröhnte aus den geöffneten Fenstern und beschallte die Straße.

      Seibold hatte einem ausgesprochen fruchtigen Riesling reichlich zugesprochen und dazwischen einige Cocktails geleert. Nachdem er sich in der letzten Stunde ausgiebig einer Jurastudentin im letzten Semester gewidmet hatte, musste er, als er von einem Toilettenbesuch zurückkam, feststellen, dass die junge Dame verschwunden war. Als irgendwann später zwei Polizeibeamte im Saal standen und nicht unfreundlich, aber sehr nachdrücklich auf einer Reduzierung des Lärms bestanden, beschloss Seibold, die Feier zu verlassen. Er kannte die Signale seines Körpers und wusste, wann er genug hatte.

      Seibold verabschiedete sich von der ebenfalls betrunkenen Gastgeberin, dann trat er in die Dunkelheit hinaus. Die nächtliche Brise kühlte sein erhitztes Gesicht.

      Von der Studentenverbindung bis zu seinem Haus war es ein Fußweg von fünfzehn Minuten. Zügig marschierte er die Straße hinauf. Jetzt, an der frischen Luft, bekam er die Wirkung des Alkohols heftig zu spüren. Ihm fiel auf, dass der Asphalt des Gehsteigs hier sonderbarerweise erhebliche Wellen schlug, denen auszuweichen ihm nur durch gekonntes Gegensteuern gelang.

      Am Letzten Hieb – eine Ortsbezeichnung aus Würzburgs mittelalterlicher Vergangenheit, als verurteilte Menschen hier vorbei zum wenig entfernten Galgenberg zur Hinrichtung geführt wurden – blieb er erneut kurz stehen und atmete durch, dann marschierte er die Wittelsbacher Straße hinunter. Es bedurfte seiner ganzen Konzentration, da hier der Gehsteig plötzlich eine spürbare Schräglage bekam.

      Er kicherte leise vor sich hin. Eigentlich hatte er in Bezug auf Alkohol ganz gute Nehmerqualitäten, aber diesmal war er offensichtlich am Limit angelangt. Kurz dachte er an seine gutaussehende Gesprächspartnerin der letzten Stunde. Vor zwanzig Jahren wäre sie ihm sicher nicht entwischt. Er machte eine wegwischende Handbewegung, die so heftig ausfiel, dass er Mühe hatte, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass er ins Bett kam.

      Als er die Haustür hinter sich schließen wollte, rutschte sie ihm aus der Hand und knallte mit einem lauten Schlag ins Schloss. Er schaltete das Licht an und hängte seinen Hausschlüssel an den Haken. Vielmehr wollte er das, da er ihn aber verfehlte, flog der Schlüsselbund klappernd auf den Boden. Er vollführte eine gleichgültige Handbewegung, dann stieg er die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Jetzt war er wirklich platt. Schnurstracks ging er ins Bad und begann sich auszuziehen. Leise vor sich hin brabbelnd, zog er sich bis auf die Boxershorts aus und griff nach der Zahnbürste. Er hatte einen üblen Geschmack im Mund. Als er mit den abendlichen Verrichtungen fertig war, löschte er das Licht im Bad und betrat sein Schlafzimmer. Mit einem vernehmlichen Grunzen ließ er sich quer auf sein Bett fallen, das sofort die Eigenschaften eines Karussells annahm und in jede Richtung schwankte.

      Der Schmerz kam überraschend und gewaltig. Sein heiserer Schrei erstarb, denn er bekam keine Luft mehr, dann schwanden ihm schlagartig die Sinne.

      Der Rächer steckte den Elektroschocker an den Gürtel. Jetzt musste er sich beeilen, denn die Lähmung würde nicht allzu lange anhalten. Er nahm eine fertig aufgezogene Spritze aus seiner Sporttasche und eilte zu Seibold. Mit einem schnellen Handgriff schob er dessen Boxershorts in die Höhe und musterte das Gesäß. Schließlich trieb er die Spitze der Nadel im unteren Bereich des linken Gesäßmuskels in einen Leberfleck. Langsam drückte der Rächer das Narkotikum in das Gewebe, dann zog er die Spritze wieder heraus und trat einen Schritt zurück. Der Einstich war praktisch nicht zu sehen. Das Betäubungsmittel wirkte schnell. Als er sicher war, dass Seibold nicht mehr aufwachen würde, beugte er sich über ihn und drehte ihn auf den Rücken. Einige Zeit lang betrachtete er den so daliegenden Mann mit zusammengekniffenen Augen. Seibold bewegte sich nicht, aber an seinem sich leicht bewegenden Brustkorb konnte er sehen, dass er gleichmäßig atmete.

      Jetzt war der große Augenblick gekommen. Die Stunde des Vollstreckers hatte geschlagen. Der Rächer bückte sich und zog vorsichtig einen Stoffbeutel aus der Sporttasche. Als er ihn hochhob, waren darin deutliche Bewegungen zu erkennen.

      Nach dem Verlassen von