Der Schoppenfetzer und die Satansrebe. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429063993
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und gelästert wurde. Wenn er sich nicht sehr täuschte, hatte er in der Menge auch Elvira Stark ausgemacht. Das hätte er sich ja denken können, dass sich seine ehemalige Jugendliebe den Anblick eines schauspielernden Erich Rottmann nicht entgehen lassen würde. Von ihm hatte sie es zwar nicht erfahren, aber die örtlichen Medien berichteten sehr ausführlich über das große Filmereignis.

      Öchsle stand etwas verloren zwischen den vielen Menschen und ließ seine Rute hängen. Laut Drehbuch musste er in den Szenen an der Leine gehen, was der Rüde ja gar nicht gewohnt war.

      „Öchsle“, sagte Rottmann leise, während er sich zu seinem Hund herunterbeugte, „da müssen wir jetzt durch. Ich gebe mir auch richtig Mühe, damit ich mich nicht wieder vertue. Wenn wir das überstanden haben, gibt’s für uns beide eine ordentliche Portion Leberkäs.“ Öchsle rang sich ohne große Begeisterung einen schwachen Schwanzwedler ab.

      Kaum hatte sich Rottmann wieder aufgerichtet, kam auch schon die Maskenbildnerin angerauscht. In der einen Hand hielt sie eine Puderdose, in der anderen einen Schminkpinsel. Ohne viel Federlesens baute sie sich vor Rottmann auf. „Jetzt halten Sie doch mal still!“ Mit schnellen Pinselstrichen bearbeitete sie sein Gesicht. „Sie dürfen nicht so viel schwitzen“, mahnte sie spitz, „sonst verläuft Ihr ganzes Make-up!“

      Rottmann zog eine Grimasse. „Sie haben leicht reden. Wir haben Sommer und dann noch die Hitze von den Scheinwerfern. Das ist ja schlimmer als in einer Sauna!“

      „Attention, Attention, Ladies and Gentlemen“, tönte da auch schon wieder die knarrende Stimme des Regisseurs aus einem Megafon, „alles auf Position, please! Herr Rottmann, un mir reiße uns jetzt a little bit zamm! Okay?“

      Rottmann nickte ergeben, lockte Öchsle und begab sich an den Ausgangspunkt der kurzen Wegstrecke, die er vor der Kamera zurückzulegen hatte. Mit Schrecken dachte er an die ihm noch bevorstehenden Innenaufnahmen im Maulaffenbäck. Bei diesen kam erschwerend hinzu, dass er dabei auch noch an drei Stellen Text zu sprechen hatte. Nicht viel, nur ein paar Sätze. Aber wenn er daran dachte, wie lange es gedauert hatte, bis er sie sich in den letzten Tagen eingetrichtert hatte, trat ihm schon wieder der Schweiß auf die Stirn. Rottmann riss sich zusammen, blendete alle störenden Gedanken aus und konzentrierte sich.

      Der Regisseur vergewisserte sich, dass alle Kameras liefen und der Ton bereit war, dann gab er Rottmann ein Zeichen und rief: „Action!“

      „Szene 13, Aufnahme 5“, rief der Regieassistent und schlug mit einem klatschenden Geräusch die Filmklappe zusammen. Nun war Rottmann dran. Er und Öchsle legten nun zum fünften Mal dieselbe Wegstrecke zurück. Der Kameramann lief gebückt mit der Handkamera vor ihm her. Rottmann war so konzentriert, dass er das Kommando „Stopp!“, das Kelleroulos am Ende der Strecke fast jubelnd ausrief, gar nicht mitbekam.

      „Alles okay, Mister Rottmann, die Szene ist im Kasten.“ Er nahm das Megafon wieder an den Mund und schmetterte in die Gasse: „A shorts Päusle, dann bauen wir im Lokal auf.“ Zu Rottmann gewandt erklärte er: „Sie hamm jetzt a guts Stündle Pause, dann geht’s drinne weiter.“

      Erich Rottmann atmete auf. Es wurde höchste Zeit, sich ein paar Kalorien zuzuführen. Bei diesem Filmstress fiel man ja regelrecht vom Fleisch. Er bückte sich und erlöste Öchsle von der Leine. Sofort vollführte der Rüde ein paar Freudensprünge, die so lustig aussahen, dass einige Leute hinter der Absperrung spontan applaudierten.

      Rottmann betrat den Metzger seines Vertrauens an der Ecke der oberen Maulhardgasse und besorgte sich eine ordentliche Portion seines Grundnahrungsmittels. Darauf schwor der Exkommissar, denn er war der Überzeugung, dass es die Basis für seine widerstandsfähige Gesundheit bildete. Mit dem Fresspaket in der Hand betrat der ehemalige Leiter der Würzburger Mordkommission seine Stammweinstube und schlängelte sich durch die herumwuselnden Filmleute zum Hinterzimmer. Der Maulaffenbäck war während der Filmaufnahmen für die Öffentlichkeit geschlossen – ein Umstand, der in den letzten Tagen bei einigen Stammgästen für Unmut gesorgt hatte.

      Im Hinterzimmer saßen die Mitglieder des Stammtisches um einen Ecktisch geschart und genehmigten sich in bester Laune ihre obligatorischen Schoppen. Aus ihrer Stimmung war zu schließen, dass es für alle nicht das erste Glas war. An ihren gewohnten runden Stammtisch in der Gaststube konnten sie im Augenblick nicht ran, weil der für die Filmaufnahmen hergerichtet werden musste. Anni, die Bedienung im Maulaffenbäck, war auch als Komparsin verpflichtet worden. Sie hatte ihr feschestes Dirndl angezogen und war bereits geschminkt. Obwohl sie keine Sprechrolle hatte, war sie sichtlich nervös.

      „Na, Erich“, begrüßte Ron Schneider seinen Stammtischbruder, „hat Hollywood schon angerufen?“ Die anderen lachten.

      Rottmann zog eine Grimasse und ließ sich am Tisch nieder. „Ich kann euch sagen, da löse ich lieber den kniffligsten Kriminalfall, als mich hier zum Affen zu machen“, grantelte er und legte sein Fresspaket auf den Tisch. Anni reichte ihm Besteck und einen Teller. Rottmann bediente sich aus einer offenen Weinflasche auf dem Tisch. Der Wirt hatte zur Feier des Tages den Wein spendiert.

      Öchsle ließ sich unter Rottmanns Platz nieder. Der schmeichelnde Duft des Leberkäses drang durch die Umhüllung der Alufolie und kitzelte seine Geschmacksnerven. Aus seinem Maul tropfte Speichel auf den Boden.

      Rottmann erlöste seinen vierbeinigen Freund von seinen Qualen, indem er ihm einen Brocken Leberkäs hinunterreichte. Dann begann er selbst mit großem Appetit zu essen. Die Vorstellung, hier am Stammtisch an einem vergifteten Schoppen zu sterben, wie es das Drehbuch für „Dr. Schlegelmilch“ vorsah, war für den Schoppenfetzer ein grausiger Gedanke.

      Rottmann wurde sehr schnell in die Realität zurückgeholt, als einer der Filmmenschen durch die Schiebetür hereinblickte und rief: „Meine Herren, bitte kommen Sie. Wir müssen eine Beleuchtungsprobe durchführen.“

      Schnell schluckte Rottmann den letzten Bissen hinunter und spülte mit einem reichlichen Schluck Silvaner nach. Man konnte nicht einmal in Ruhe essen. Die Stammtischbrüder erhoben sich polternd von ihren Stühlen und eilten zum Set.

      ❖

      Es war Neumond und trotz eines heftigen Gewitterschauers noch schwülwarm. Die Straßenlaternen des unteren Teils der Trautenauer Straße hatten Mühe, mit ihrem Licht das dichte Laub der Alleebäume zu durchdringen.

      Der schwarze Geländewagen einer deutschen Nobelmarke parkte schon seit fast zwei Stunden auf der rechten Straßenseite oberhalb des Grünewald-Gymnasiums vor dem Gittertor eines unbebauten Grundstücks. In der Dunkelheit fiel das schwarze Fahrzeug kaum auf. Das Kennzeichen war sehr verschmutzt und unleserlich. Von dieser Stelle aus hatte der dunkel gekleidete Fahrer gute Sicht auf das knapp hundert Meter entfernt gelegene Anwesen auf der anderen Straßenseite. Jetzt, kurz vor Mitternacht, war die Straße kaum befahren. Auf dem Beifahrersitz lag ein kleines Fernglas, dessen zehnfache Vergrößerung dem Mann die Vorderseite und den Vorgarten des Hauses erschloss. Alle Fenster des Hauses waren finster. Der Bewohner, der, wie der Beobachter wusste, dort allein lebte, war noch nicht nach Hause gekommen. Nach seinen Recherchen befand er sich auf einer Feier. Dennoch war der Mann, der sich zum Rächer berufen fühlte, extrem vorsichtig. Ein einziger Fehler, eine unüberlegte Handlung und sein ganzer Plan würde scheitern.

      Der Mann warf einen Blick auf die handliche Sporttasche aus dunkelblauem Stoff, die auf dem Beifahrersitz lag. Sie enthielt alles, was er für sein Vorhaben benötigte. Er legte seine rechte Hand auf den festen Stoff. Als er eine leichte Bewegung im Innern spürte, huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht. Mit einem Handgriff langte er in seine Jackentasche und holte ein paar kräftige Gummihandschuhe heraus, die er sich überstreifte. Der Rächer prüfte nochmals eingehend, ob er allein auf der Straße sein würde. Dann nahm er die Tasche, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Um das bestätigende Intervallleuchten der Blinker zu unterbinden, schloss er die Wagentür nicht mit der Fernbedienung, sondern mit dem Schlüssel ab. Dann überquerte er zügig die Fahrbahn und näherte sich dem Anwesen. Das Haus war von einer mannshohen Hecke umgeben. Der nächtliche Besucher drückte die Klinke des Gartentors herunter und trat ein. Sofort wurde er vom Schatten der hochwüchsigen Büsche aufgenommen, die den zum Hauseingang führenden Plattenweg begleiteten. An der Haustür blieb er kurz stehen und lauschte.