Nicht nur Menschen neigen bei wachsendem Wohlstand dazu, Fett anzusetzen. Dieses Phänomen ist auch in Unternehmen bekannt. Lebensbedrohlich ist vor allem das unsichtbare und deshalb gefährliche Fett, das sich in den Lebensadern eines Unternehmens, den Wertschöpfungsprozessen, ablagert. Und in den Köpfen von Managern und Mitarbeitern. Typische Symptome:
Entscheidungen werden vertagt, verschleppt oder erst gar nicht getroffen;
die Entwicklung reagiert nur auf Neuprodukte des Wettbewerbs, anstatt selbst offensiv zu agieren;
die Produktion kennt nur zwei Zustände: Vollgas oder Leerlauf, Schwankungen im „mittleren“ Bereich können nicht nachgefahren werden;
organisatorische Änderungen und Umstellungen werden diskutiert, aber nicht realisiert;
die Kapazitätsauslastung der kapitalintensiven Betriebsmittel ist wichtiger als die termingenaue Erfüllung des Kundenwunsches
usw.
Fett macht zufrieden, aber auch unbeweglich und träge. Fett gewordene Unternehmen sind buchstäblich nicht in der Lage, den unberechenbaren Schwankungen der Märkte zu folgen. Ihnen fehlt die lebensnotwendige Agilität, die Anpassungsfähigkeit an ständig veränderte Bedingungen. Und das zeigt bereits die Evolution schonungslos: wer nicht anpassungsfähig ist, gerät auf den absteigenden Ast (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Stufen der Evolution – die Metapher
Wettbewerbsfähigkeit: die erweiterte Sicht
Wettbewerbsfähigkeit ist Grundvoraussetzung für das Überleben eines Unternehmens. Deshalb ist es zunächst richtig, Wettbewerbsfähigkeit anzustreben. Allerdings muss die Sichtweise, dass man Wettbewerbsfähigkeit einmal herstellen und ohne weiteres Zutun auf Dauer erhalten kann, im heutigen, turbulenten Umfeld als überholt gelten. Wer verharrt und sich auf den Lorbeeren einer guten Wettbewerbsposition ausruhen will, wird unweigerlich von der Konkurrenz überholt. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ist eine täglich neue Aufgabe.
Mittel- bis langfristig kann die Wettbewerbsfähigkeit nur durch ständiges Streben nach immer besserer Leistung, nach Exzellenz, gesichert werden. Diese dynamische Sichtweise setzt sich bei Vorreiterunternehmen immer mehr durch. Voraussetzung ist, dass das gesamte Unternehmen „in Bewegung“ gebracht und gehalten wird. Dabei reicht es nicht, einzelne Projekte aufzusetzen, Exzellenz muss gelebt werden.
Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist nicht nur von internen Faktoren, sondern in hohem Maße von den Umgebungsbedingungen, von den Standortfaktoren, abhängig. Und über die Bedingungen am Standort Deutschland wird seit Jahren heftig diskutiert. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zeigt im globalen Wettbewerb einen deutlichen Trend ins Mittelmaß (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Weltweite Wettbewerbsfähigkeit: Rangordnung von Deutschland (Quelle: World Competitiveness Yearbook (IMD))
Verantwortlich für diesen Abstieg ist vor allem, dass neue Standort-Wettbewerber aufgetaucht sind, die sich um die Ansiedlung von Produktionsunternehmen bemühen und mit den traditionellen Industrieländern konkurrieren. Wir werden hierüber unter dem Stichwort der Globalisierung noch eingehender reden (vgl. Abschnitt 1.2).
Der internationale Wettbewerb ist ein Wettbewerb der Unternehmen und der Standorte. Diesem Trend kann sich auch der Mittelstand nicht mehr entziehen. „Mittelstand spürt den Aufstieg Chinas“ überschreibt die Stuttgarter Zeitung den Bericht über eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (StZ Nr. 100, 2. Mai 2006). Laut dieser Studie „sehen sich 26 Prozent der deutschen Mittelstandsunternehmen“ vom Aufstieg Chinas zur Wirtschaftsmacht betroffen. „Direkt im Geschäft mit den Chinesen sind 17 Prozent und machen dabei überwiegend gute Erfahrungen“ (vgl. ebd.).
Um gute Erfahrungen mit der Internationalisierung machen zu können, müssen die Weichen im Unternehmen richtig gestellt sein. Exzellente Unternehmen, die sich erfolgreich im internationalen Wettbewerb behaupten, nutzen die Chancen der Globalisierung, anstatt die Risiken zu scheuen. Das bestätigt auch die zitierte Studie: „Vom Erstarken der chinesischen Wirtschaft verspricht sich jeder fünfte deutsche Mittelständler einen positiven Schub fürs Geschäft, nur jeder zehnte sieht den Boom im Reich der Mitte als Gefahr“ (vgl. ebd.). Von den positiven Wirkungen der Expansion kann also auch der Standort Deutschland profitieren, weil international erfolgreiche Unternehmen ihre Position auch am heimischen Standort stärken. Das belegen zahlreiche Beispiele.
Beantwortung der Ausgangsfrage
Bereits nach diesen kurzen einleitenden Worten dürfte es über die Beantwortung der Ausgangsfrage keinen Zweifel mehr geben: Wertschöpfungsexzellenz ist ein Muss und die unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Was das heißt und wie dies geht, wollen wir Ihnen in diesem Buch zeigen.
Die Herausforderungen kennen
„Wir kennen keine Probleme, wir kennen nur Herausforderungen!“ So eingängig die Slogans von Management-Gurus und Motivationskünstlern sein mögen, so weit gehen sie an der Wirklichkeit vorbei. Natürlich steht ein Unternehmen vor Problemen, die es bewältigen muss – täglich und stündlich. Die Frage ist nur, wie Management und Mitarbeiter mit dieser Problemflut umgehen, ob sie lediglich die unwillkommene Störung sehen oder auch die Chance zur Verbesserung.
Die Psychologie kennt das Phänomen der „Schlaraffenland-Depressionen“. Menschen, die keine täglichen Sorgen kennen, verlieren buchstäblich die Lebensfreude, werden weinerlich und antriebsschwach. Auf Organisationen gemünzt hieße das, dass sich Unternehmen, die keine Probleme haben, drastisch verschlechtern. Und tatsächlich lassen sich Beispiele finden: so manches Staats- oder Monopolunternehmen hat sich durch Mangel oder Verdrängung von Problemen jeglicher Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Oder: es werden Probleme, meist im zwischenmenschlichen Bereich, konstruiert, deren Lösung zur Betriebshygiene, aber kaum zur Leistungssteigerung beiträgt.
So gesehen sind Probleme tatsächlich Chancen. Sie bieten Anlässe zur Verbesserung. Die japanische Verbesserungsphilosophie begreift Probleme als „Schätze“ von großem Wert. Kontinuierliche Verbesserung ist dann die Kunst, diese Schätze systematisch aufzuspüren und zu heben. Sprich: die Probleme zu lösen. Traditionell richtet sich der Blick hier auf Hemmnisse in Prozessen oder Abläufen, die auf der täglichen Agenda der Verbesserung stehen. Verbesserung beginnt beim Bewegungsablauf der Werker und endet beim Managen der Kunden- und Lieferantenbeziehung.
Immer häufiger allerdings liegen die wahren Herausforderungen außerhalb eines Unternehmens – deshalb ist es angebracht, den Blickwinkel entsprechend zu erweitern. Hier findet man eine praktisch unendliche Zahl von Herausforderungen, Problemen und Chancen, sich zu einem „Weltklasse-Unternehmen“ zu entwickeln, das diesen Namen auch verdient. Wir wollen uns auf drei fundamentale Herausforderungen konzentrieren, weil ihnen heute und in den kommenden Jahren entscheidende Bedeutung zukommt: der Globalisierung, der steigenden Komplexität und dem schnellen Wandel unternehmerischer Erfolgsfaktoren.
Herausforderung Globalisierung
Im Management-Slang unserer Tage steht das „Window of Opportunity“ als Sinnbild für die Kurzlebigkeit geschäftlicher Möglichkeiten. Steht das Fenster