Er nickte, fischte erneut eine Kippe aus der Schachtel in seiner Hosentasche und wollte sich gerade vor die Tür zurückziehen.
»Was ist mit Peter König? Der ist auch oft hier, oder?«
Goerschels Antwort kam unvermittelt. »Stammkunde. Peter ist ein Pfundskerl, der setzt sich echt ein für Schwanghaus. Auf den lass ich nichts kommen. Gar nichts.« Er schien noch irgendetwas sagen zu wollen, schwieg stattdessen, zog die Tür auf und stellte sich mit der brennenden Zigarette zurück in die Morgensonne. Wieder beobachtete Ulrike ihn, dieses Mal hatte sein Gang etwas Unruhiges, und die Finger, die sich fest um die Zigarette gelegt hatten, schienen zu zittern.
***
Hallo du,
so sehr sehne ich mich nach dir. So sehr sehne ich mich danach, dass wir endlich zusammen sein können. Ich hab ja auch viel drüber nachgedacht. Die ganze Zeit denk ich drüber nach. Bei mir ist es nicht so einfach. Wegen ihm. Aber ich hab eine Idee, mein Liebling. Er denkt, ich weiß es nicht, was er alles gemacht hat. Aber ich weiß es. Und wenn ich’s dir sag, dann können wir beide frei sein. Ich sag’s dir alles, und dafür holst du mich hier raus, ja? So kann es funktionieren. Mein Leben wird sich ändern und deines auch. Nicht mehr lang.
Ich bin so aufgeregt, ich kann kaum noch schlafen.
Und ich denk an dich. Immer.
X.
10
Peter Königs Praxis befand sich in einem renovierten Fachwerkgebäude direkt gegenüber der Kirche und nur wenige Meter vom Wirtshaus entfernt. Die Streben und Balken waren gelb, die Fensterläden grün gestrichen. Vor den Fenstern blühten Geranien in Blumenkästen. Ulrike ließ sich auf einer Parkbank auf der anderen Straßenseite nieder. Sie wartete auf Yusuf.
Vor zehn Minuten hatte sie ihn angerufen und ihn gebeten, nach Schwanghaus zu kommen, um der Befragung von Peter König beizuwohnen. Alles deutete darauf hin, dass es sich bei dem Arzt um eine zentrale Figur im Ort handelte, der über einen nicht unerheblichen Einfluss verfügte. Ulrike kannte solche Männer, sie wusste, wie sie für gewöhnlich auftraten, wie sehr sie auf ihre Erscheinung bedacht waren, auf ihre Selbstdarstellung, und sie wusste, wie schwer eine vermeintliche Unwahrheit hinter dieser Maskerade zu entlarven war. Trotz aller Unstimmigkeiten, trotz der Tatsache, dass die beiden versuchten, sich nicht mehr in die Quere zu kommen: Yusuf war ein fähiger Polizist, ein aufmerksamer Beamter. Vier Augen sahen mehr als zwei, vier Ohren hörten mehr.
Ulrike steckte sich gerade ein Kaugummi in den Mund, als sie Yusufs Wagen um die Kurve biegen sah. Sie überquerte die Straße und klopfte an die Scheibe, als er vor der Praxis geparkt hatte. Er wirkte müde, seine Augen waren unterlaufen, die Mundwinkel lugten hängend unter dem Bart hervor, sein Gesicht hatte eine gräuliche Farbe. Yusuf schien, genau wie sie selbst, jemand zu sein, dem man Schlafmangel und Stress ansehen konnte.
»Lange Nacht?«, fragte sie.
»Lange Nächte«, raunte er, ohne den Blick zu heben. »Wir trennen uns gerade, da bleibt der Schlaf schon mal aus.«
Ulrike hatte mit diesem privaten Bekenntnis nicht gerechnet. »Kenn ich«, erwiderte sie knapp, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
Er schlug die Autotür hinter sich zu. »Wollen wir?«, fragte er ungehalten.
Sie nickte wortlos und öffnete dann die grün lackierte Tür des Fachwerkhauses.
Sie traten in den geschmackvoll eingerichteten Eingangsbereich der Praxis. Eine blonde Arzthelferin stand hinter einer hölzernen Empfangstheke und tippte auf einer Tastatur, während sie einen Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter balancierte. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sie trug ein weißes Polohemd und eine eng anliegende weiße Jeans.
»Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie, als sie das Gespräch beendet und den Hörer aufgelegt hatte.
»Kripo Regensburg, Kork mein Name«, sagte Ulrike. »Das ist mein Kollege Yusuf Kaya. Wir hätten gern mit dem Herrn König gesprochen.«
Die Blondine blickte etwas konsterniert zwischen beiden hin und her, dann lächelte sie freundlich und studierte den Terminplaner, der aufgeschlagen vor ihr lag. »Heut ist eher schlecht, der Dr. König hat den ganzen Morgen Patienten.« Sie wies auf die gegenüberliegende Milchglastür, hinter der Ulrike die unscharfen Konturen einiger Personen ausmachen konnte. Jemand hustete.
»Es ist wichtig«, unterbrach Yusuf die Arzthelferin streng. Sie allerdings blieb unbeeindruckt, hob seelenruhig den Telefonhörer, drückte einen Knopf auf dem Apparat und lächelte die beiden dabei unentwegt an.
»Peter, da ist die Yvonne«, flötete sie. Immer noch blickte sie zwischen Yusuf und Ulrike hin und her. »Du, hier sind zwei Mitarbeiter von der Polizei –«
»Kriminalpolizei«, unterbrach Ulrike sie.
»Kriminalpolizei«, korrigierte sich die Arzthelferin, legte kurz die Hand auf die Muschel. »Sorry«, flüsterte sie. »Die würden gern mit dir sprechen …«, sagte sie wieder lauter und lauschte dann schweigend. »Ich weiß es nicht, das haben sie nicht gesagt«, gab sie auf das tiefe Gemurmel am anderen Ende der Leitung zurück. »Alles klar«, erwiderte sie schließlich und legte den Hörer auf. »Er nimmt sich kurz Zeit. Er ist gleich da vorn«, fügte sie hinzu und wies auf eine Tür am Ende des Gangs.
Königs Büro bestand aus einem weitgehend verglasten Anbau des Hauses, den man von der Straße aus nicht sehen konnte und der sich mitten im hinter dem Gebäude liegenden Garten befand. Eine Schiebetür ins Grüne war geöffnet, man hörte Vogelgezwitscher und das Plätschern eines kleinen Brunnens im Garten. Im Zentrum des Raumes stand ein riesiger Schreibtisch, die nicht verglaste Wand rechts und links neben der Eingangstür war vollständig von Regalen bedeckt, in denen Bücher neben medizinischen Exponaten, Vasen und Hängepflanzen standen. Hinter dem Schreibtisch thronte Peter König in einem weißen Kittel, mit zurückgegelten Haaren und einem ordentlich ausrasierten Dreitagebart. Er war schlank, wirkte trainiert.
»Einen Augenblick bitte«, sagte er lang gezogen, unterzeichnete mit schwungvollen Lettern ein vor ihm liegendes Blatt Papier, legte es dann beiseite und hob den Kopf. Eine Reihe strahlend weißer Zähne kam zum Vorschein. Er stand auf und reichte ihnen die Hand. »Dr. Peter König, freut mich sehr.«
Ulrike und Yusuf erwiderten den festen Händedruck und nahmen auf den Stühlen Platz, die vor dem massiven Schreibtisch standen.
»Nicht schlecht«, sagte Ulrike und ließ anerkennend den Blick durch den Raum gleiten.
»Ach«, sagte der Arzt und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir sind auf dem Land, wenn man ein bisschen was beiseitelegt, lebt man hier wie ein König.« Er lachte auf, lehnte sich dann in seinem Schreibtischstuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben gut geschlafen beim Boschuoster, hoffe ich?«, fragte er Ulrike.
»Ich kann mich nicht beklagen«, antwortete sie.
»Also, was kann ich für Sie tun?« Er beugte sich wieder vor, nahm einen Kugelschreiber, ließ ihn zwischen seinen Fingern hin und her gleiten, legte ihn dann zurück auf den Tisch und faltete die Hände.
»Sind Sie von hier?«, fragte Ulrike. Sie wollte Zeit gewinnen. Noch immer fiel es ihr schwer zu greifen, mit wem sie es hier wirklich zu tun hatte. Es war Harry gewesen, der ihr beigebracht hatte, dass das erste Gespräch mit einem unbekannten Gegenüber immer entscheidend war. Man war wachsamer, konnte Kalküle des anderen leichter entlarven.
König hatte einen festen Blick, er sprach bedacht, überlegt und wohlartikuliert. »Ich bin von hier, ja. Hier geboren und aufgewachsen. Ich habe in Regensburg studiert, danach war ich für einige Zeit in München und Hamburg. Aber als die Praxis hier zum Verkauf stand, bin ich zurückgekommen. Zu Hause ist es immer noch am schönsten«, sagte er lächelnd.
»Da ist wohl was dran«, antwortete Ulrike. »Sie haben Familie?«
König zögerte. »Ich bin verheiratet, wir haben keine Kinder.«