Studien weisen darauf hin, dass ein Paar im Durchschnitt sechs Jahre unglücklich ist, bevor es in die Therapie kommt (Notarius und Buon-giorno 1992). Dann fühlt es sich bereits entmutigt, ausgelaugt und traurig. Wenn wir den beiden vermitteln, dass es Teile und das Selbst gibt, fällt es ihnen normalerweise leichter, für das, was in der Beziehung geschieht, präsent zu sein. Im weiteren Verlauf besteht unser Ziel darin, dass die beiden lernen, geschickt miteinander zu kommunizieren, weniger impulsiv zu reagieren, ihre Lasten abzulegen, die Beziehung zu reparieren und sich neue Verhaltensweisen im Umgang miteinander anzugewöhnen. In der ersten Sitzung geht es vor allem darum, ein Fundament für dies alles zu schaffen und eine möglichst sichere Umgebung herzustellen. Wie alle Lebewesen brauchen wir Menschen Sicherheit. Weil wir ständig Ausschau nach Gefahren halten (besonders in einer Beziehung) und weil nur ein Gefühl der Sicherheit defensive Reaktionen verhindert (Porges 2007), müssen wir unbedingt dafür sorgen, dass unsere Klienten sich sicher fühlen.
Am Beginn jeder Behandlung bin ich mir bewusst, dass die Geschichte des betreffenden Paares sich über einen bestimmten, oft viele Jahre umfassenden Zeitraum entwickelt hat. Dabei haben beide wahrscheinlich das Gefühl, dass ihre jeweilige Perspektive nie gewürdigt worden ist. Indem ich ihnen zuhöre, erfahre ich, weshalb sie Hilfe suchen und wie sie sich in der Beziehung verhalten. Während ich mich mit ihrer Erfahrung vertraut mache, helfe ich ihnen, mir zu vertrauen und zu spüren, dass eine Veränderung möglich ist. Während der gesamten Therapie verhalten wir uns in der therapeutischen Rolle interessiert und nicht wertend. Diese Haltung ist unverzichtbar, wenn wichtige Probleme und intensive Emotionen erforscht werden sollen. In diesem frühen Stadium ist unsere Fähigkeit zu spiegeln, zu reflektieren, zu normalisieren und zu würdigen von entscheidender Bedeutung. Wir hören zu. Wieder und wieder bemühen wir uns zu verstehen, was die beiden sagen. Wir fragen uns: Verstehe ich das richtig? Zur Vorbereitung auf die nächste Therapiephase achten wir außerdem auf Muster, wie die beiden sich aufeinander beziehen.
In den folgenden Ausschnitten aus einer frühen Sitzung mit Susan und Marco stelle ich fest, was die beiden anstreben und weshalb sie Hilfe suchen. Zudem biete ich ihnen Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten mit den Mitteln von IFIO an. Einige der häufigsten Fragen, die ich einem Paar am Anfang einer Therapie stelle, sind fett gedruckt.
THERAPEUTISCHE TIPPS
Wenn wir sorgfältig zuhören und die von den Teilen erzählten Geschichten aufdecken und zurückspiegeln, verankert das die Geschichte des Paares in unserem Denken.
Indem wir unsere eigenen Therapeutenteile, die in der Expertenrolle bleiben wollen, behutsam bitten beiseitezutreten, können wir uns besser auf die Bedürfnisse des Paares einstellen.
Je langsamer und bewusster wir vorgehen, desto besser sind wir in der Lage, unsere eigenen Reaktionen auf das, was wir hören, zu verfolgen.
Innerlich auf das Paar eingestimmt zu bleiben, ist entscheidend, um präsent zu sein.
Achten Sie darauf, welche Ihrer eigenen Teile aktiviert werden, während Sie den Geschichten des Paares zuhören.
Susan und Marco
»Früher dachte ich, wir hätten eine gute Beziehung, aber jetzt habe ich den Eindruck, Marco lässt mich nicht so sein, wie ich sein will«, fängt Susan an. »Er kritisiert mich und entzieht sich mir.«
»Sag mal, Susan, wie kommst du drauf, dass ich dich irgendwas nicht sein lasse?«, erwidert Marco. »Das hört sich an, als wäre ich dein Vater. Völlig lächerlich!«
Die Sprache der beiden besteht aus Schuldzuweisungen und Wertungen. Sie verweist auf eine gewaltige Menge an aufgespeicherter Verbitterung und Hoffnungslosigkeit, was am Anfang der Behandlung häufig vorkommt.
»Ich nehme gerade wahr«, unterbreche ich, »dass Ihnen früher alles leichter vorgekommen ist, während sich in letzter Zeit eine gewisse Dynamik entwickelt hat. Ich glaube, Sie haben vorher von Streit gesprochen, was nicht gut klingt. Außerdem, Susan, nehme ich wahr, dass Sie sich kritisiert fühlen. Stimmt das so?«
»Ja«, antworten beide im Chor.
»Können Sie mir sagen, was vor ein paar Jahren passiert ist, als die ersten Schwierigkeiten zwischen Ihnen aufgetaucht sind?«, frage ich.
Zu den Stressfaktoren, die mir berichtet werden, gehört, dass ein betagter Elternteil Symptome von Alzheimer zeigt und dass Marco beruflich mehr Verantwortung übernommen hat, wodurch er mehr Zeit in der Arbeit verbringt.
»Das hört sich ganz so an, als hätten Sie mit allerhand fertigwerden müssen«, sagte ich. »Haben Sie mal überlegt, ob irgendwas davon eine Rolle bei dem spielt, was zwischen Ihnen beiden abläuft?«
»Tja, das ist ganz bestimmt der Fall«, sagt Marco.
»Angesichts dieser Stressfaktoren«, sage ich, »was passiert, wenn es zu einem Konflikt zwischen Ihnen kommt?«
»Wir streiten die ganze Zeit«, erwidert Susan.
»Und wie sieht das aus?«, frage ich.
»Ich habe den Eindruck, Marco wartet bloß darauf, dass ich was falsch mache.«
»Und wenn Sie sich kritisiert fühlen, was tun Sie dann?«, frage ich.
»Ich mache dicht und höre auf zu reden«, sagt Susan.
»Und was passiert mit Ihnen, Marco?«
»Ich denke, sie ist zu empfindlich.«
»Was sagen Sie zu sich selbst oder was tun Sie, wenn Sie meinen, dass Susan zu empfindlich ist?«
»Ich werde sauer, glaube ich.«
»Das hört sich ziemlich verfahren an. Nach allem, was Sie mir erzählt haben, ist es verständlich, dass Sie Hilfe brauchen. Was erhoffen Sie beide sich hier?«
Beide sagen, sie würden sich eine bessere Kommunikation, weniger Konflikte und mehr Verbundenheit erhoffen.
Ich fasse zusammen: »Natürlich müssen wir noch mehr erforschen, aber an diesem Punkt habe ich den Eindruck, dass Sie lernen wollen, anders miteinander zu kommunizieren. Außerdem wollen Sie wieder mehr Nähe spüren. Habe ich das richtig verstanden?«
Erste Fragen an das Paar
Was hat Sie hierher geführt?
Können Sie mir sagen, was passiert ist, als die ersten Schwierigkeiten aufgetaucht sind?
Was geschieht in Ihrem Innern, wenn Sie sich emotional überfordert fühlen?
Und was sagen Sie dann zu sich oder was tun Sie?
Habe ich das richtig verstanden?
Haben Sie schon mal gemeinsam eine Therapie gemacht?
Möchten Sie sich mit Ihrer sexuellen Beziehung beschäftigen?
War irgendwann Alkohol- oder Drogenmissbrauch im Spiel?
Gibt es momentan irgendwelche Stressfaktoren in Ihrem Leben?
Wie ist es für Sie, heute hier zu sein?
Was war bei Ihrer letzten Therapie hilfreich und was nicht?
Was sind Ihre Ziele in der Therapie und was erhoffen Sie sich hier?
Wie bitten Sie um Vergebung und wie vergeben Sie einander?
Haben Sie Fragen darüber, wie ich in der Therapie vorgehe?
Bedenken hinsichtlich