Eine Prise Magie (Bd. 1). Michelle Harrison. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michelle Harrison
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783961775446
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Stuhl auf. »Betty? Wo bist du?«

      »Na hier«, sagte Betty verwirrt. »Wo soll ich denn sein?« Aber weder ihre Schwestern noch Granny sahen sie an. »Granny? Was ist passiert?«

      »Du bist unsichtbar«, sagte Granny kichernd. »Niemand von uns kann dich mehr sehen.«

      »Unsichtbar? Jetzt erzähl keinen Marschdreck …«

      »Guck doch in den Spiegel, wenn du mir nicht glaubst.«

      Betty ging zu dem kleinen Spiegel an der Wand. Wie gewöhnlich prangten darauf etliche Fingerabdrücke von Fliss. Aber eines war ganz und gar nicht gewöhnlich: Im Spiegel war nur die Küche hinter Betty zu erkennen. Betty selbst war nirgendwo zu sehen. Sie war verschwunden.

      Kapitel 4

      Bei Sonnenuntergang

      Fassungslos hob Betty ihre Hände vors Gesicht. Sie konnte sie sehen, aber der Spiegel zeigte nichts – und es war klar, dass auch niemand anders Betty sehen konnte. Um ganz sicherzugehen, machte sie eine unanständige Geste in Richtung ihrer Großmutter, doch Granny sah nur weiter starr durch sie hindurch.

      Eine prickelnde Freude stieg in ihr auf. Sie schnappte sich ein Geschirrtuch, das über einem Stuhl lag, und schüttelte es. Im Spiegel sah sie es durch die Luft fliegen, als hätte es ein Eigenleben. »Huuuuuuuuu!«, heulte sie mit tiefer Stimme.

      »Oooh!«, rief Charlie, sichtlich begeistert.

      Fliss schauderte. »Betty, hör auf damit! Das ist gruselig!«

      »Ach, jetzt sei kein Spielverderber«, sagte Betty. »Es wird Zeit, dass hier mal richtig was los ist und wir unseren Spaß haben!«

      »Das hier ist kein Spaß«, sagte Granny. »Das sind keine Spielzeuge.«

      Das Geschirrtuch glitt Betty aus der Hand und landete auf dem Boden. »Und wozu sollen sie dann gut sein?«

      »Sie sind zum Schutz gedacht. Um uns zu helfen, wenn wir mal so richtig angeschmiert sind.«

      »Dann werden sie wohl nicht oft benutzt werden«, sagte Betty mürrisch. »Das Einzige, was hier schmierig ist, sind die Teller, die Fliss nicht richtig abgewaschen hat.«

      »Hey!«, rief Fliss empört.

      »Oder der Fußboden, wenn Pfui nachts im Haus eingesperrt war«, fügte Charlie hinzu.

      »Wie mache ich mich denn jetzt wieder sichtbar?«, fragte Betty. »Nehme ich einfach das Haar wieder aus der Puppe?«

      »Nicht ganz«, sagte Granny. »Du drehst die obere Hälfte gegen den Uhrzeigersinn einmal ganz herum, dann ziehst du die Hälften auseinander und nimmst das Haar heraus.«

      Betty tat es und beobachtete ihr Spiegelbild. Und wirklich – es kehrte zurück!

      »Nun«, sagte Granny. »Du kannst auch andere Menschen verschwinden lassen. Du machst genau das Gleiche, nur dass du diesmal die dritte Puppe nimmst. Daran musst du denken. Die zweite Puppe ist für dich, und zwar nur für dich.«

      »Mich!«, bettelte Charlie. »Mach mich unsichtbar!« Sie griff in ihre Tasche, holte etwas winziges Weißes hervor und warf es über den Tisch. »Hier, nimm Stummel.«

      »Bei der diebischen Elster!«, rief Fliss überrascht. »Trägst du immer noch diesen Zahn mit dir herum? Und seit wann hat der einen Namen

      Charlie grinste und zeigte stolz ihre Zahnlücke. Seit sie ihren ersten Zahn verloren und beim Aufwachen am nächsten Morgen einen glänzenden Kupferraben unter ihrem Kopfkissen gefunden hatte, hatte sie beschlossen, ihre zweite Opfergabe die ganze Zeit in ihrer Tasche zu tragen, in der Hoffnung, die Zahnfee zu erwischen. Das war nun schon drei Wochen her, und weder Granny noch Fliss hatten es geschafft, den Zahn aus ihrer Tasche zu fischen, ohne Verdacht zu erregen. Charlie war allmählich enttäuscht über die offensichtlich doch geringe Einsatzbereitschaft der Zahnfee und war deswegen sogar dazu übergegangen, ihr erboste kleine Zettelbotschaften zu hinterlassen.

      Betty nahm den Zahn und legte ihn in die dritte Puppe, drehte sie zu und steckte sie in die äußeren Puppen. Sofort war Charlie nicht mehr zu sehen.

      »Bin ich schon unsichtbar? Bin ich?«, fragte Charlie ungeduldig.

      »Ganz und gar.« Betty streckte die Hand aus und erwartete, auf nichts als Luft zu stoßen, aber ihre Finger berührten warme Haut.

      »Ach ja«, sagte Granny. »Man kann euch zwar nicht sehen, aber man kann euch fühlen

      Sehr zu Charlies Enttäuschung entfernte Betty den Zahn und steckte die Puppen wieder ineinander.

      Charlie zog einen eifersüchtigen Schmollmund. »Warum bekommt Betty die Puppen? Sie ist doch diejenige, die auf Abenteuersuche gehen will! Die Tasche wäre viel besser für sie!«

      »Die Tasche ist genauso gut, Charlie«, redete Betty ihr zu. »Besser als die Puppen eigentlich.« Die Reisetasche wäre wirklich perfekt für sie gewesen, das wurde ihr wehmütig klar. Wie einfach könnte sie sich damit blitzschnell an einen anderen Ort bringen lassen, wo auch immer sie hinwollte … und wieder zurück, bevor Granny sie aufhalten konnte. Allerdings könnten die Puppen genauso nützlich dabei sein, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Der Gedanke war ebenso verwerflich wie verlockend. Sie hatte immer noch das Gefühl, Granny versuchte, mit den magischen Gaben ihren Gehorsam zu erkaufen, während Betty schon wieder alles andere im Sinn hatte als das.

      »Ist mir egal«, fuhr Charlie schmollend fort. »Ich will die Puppen, weil sie so sind wie wir.« Sie zeigte auf die größte Puppe. »Seht ihr? Diese hier ist Granny, die auf die drei kleineren aufpasst.«

      »Ja«, sagte Fliss mit einem matten Lächeln. »Stimmt, sie sind wirklich wie wir.«

      »Die Puppen gehen an Betty«, sagte Granny. »Für Fliss war der Spiegel bestimmt, und bis du alt genug bist, Charlie, bleibt die Reisetasche bei mir. Jeder Gegenstand geht am sechzehnten Geburtstag an ein Widdershins-Mädchen oder, wie bei mir und eurer Mutter, am Tag der Hochzeit mit einem Widdershins.« Sie fuhr mit dem Finger um den Rand ihres Glases. »Sobald ein Gegenstand euch gehört oder euch zugesprochen wird, ist er der Einzige, den ihr benutzen könnt.«

      Charlie sah auf. »Heißt das, ich könnte die Tasche benutzen … schon jetzt?«, fragte sie, auf einmal gar nicht mehr so mürrisch.

      Alle drei Mädchen sahen Granny erwartungsvoll an. So wie ihre Großmutter den Mund verzog, hatte Betty den Eindruck, dass sie die Frage am liebsten nicht beantworten wollte.

      »Ja«, sagte Granny schließlich. »Das könntest du. Aber das heißt nicht, dass du es versuchen sollst – nicht, bevor du sechzehn bist!«

      »Sechzehn?«, stieß Charlie hervor. »Das ist nicht fair! Betty ist erst dreizehn, und sie kriegt die Puppen schon jetzt!«

      Granny schloss gequält die Augen. »Also gut, dreizehn. Dann kannst du sie haben.«

      »Ja!«, rief Charlie. Sie zählte die Jahre an ihren Fingern ab und machte wieder ein mürrisches Gesicht. »Das ist immer noch furchtbar lange hin.«

      »Nicht so lange, wie es hätte sein können, deshalb gib dich besser damit zufrieden.«

      »Also«, begann Betty. Während Charlie versucht hatte, mit Granny zu feilschen, hatte sie nachgedacht. »Die ganze Zeit über hat nur die Reisetasche eine Besitzerin gehabt? Was ist mit dem Spiegel und den Puppen? Wie lange haben die auf ein weiteres Widdershins-Mädchen gewartet?«

      »Eine ganze Weile.« Granny nahm ein Streichholz und zündete ihre Pfeife wieder an. »Ich hatte nie eine Tochter, nur euren Vater, wie ihr wisst. Aber er hatte eine Cousine, Clarissa. Der Spiegel ging an sie. Sie starb kurz nachdem eure Eltern geheiratet haben, als ihr alle noch nicht geboren wart.« Granny deutete auf die alte Holzkiste. Ihre Augen wirkten dunkel und abwesend. »Und so kam der Spiegel wieder hier hinein, um auf seine nächste Besitzerin zu warten.«

      »Und