In einem Essay zum Thema „Der zweite Tod“ (1998) vermutet der Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho, dass die Angst vor den (möglicherweise doch nicht) Toten auch zu den früher bisweilen üblichen doppelten Bestattungen führte: „Wahrscheinlich besteht darin die eigentliche Leistung aller Skelettierungs- oder Kremationspraktiken – die Verwandlung des verwesenden Körpers in ein geradezu kristallines, anorganisches Ensemble von Knochen oder Ascheresten zu beschleunigen. Endlich ist der Spuk vorbei: jene Erfahrung eines faktischen, unheimlichen Weiterlebens des Toten.“
Das Menschenbild des 21. Jahrhunderts, demzufolge unser Bewusstsein lediglich ein Produkt des neuronalen Feuers unter der Schädeldecke ist, hat sich von der Vorstellung einer nicht-körperlichen Seele weit entfernt. Die Angst vor dem unheimlichen „Untoten“ sollte daher weitgehend überwunden sein, macht sich aber im Dunkel des Kinosaals (und wer weiß, wo sonst noch) nach wie vor breit.
Könnte diese Furcht einen realen Hintergrund haben? Oder ist es wirklich mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen, dass etwas von uns – eine Seele, das Bewusstsein, der Geist, das Ich – nach dem Tod des Körpers weiterhin besteht? Und wollen wir das überhaupt so genau wissen – angesichts der Tatsache, dass die Überzeugung von einem wie auch immer gearteten „jenseitigen Leben“ wahrscheinlich unser gesamtes Denken und alle Wertigkeiten verändern würde?
Jedenfalls dürfte zumindest jeder, der sich eingehender mit der Frage der Unsterblichkeit beschäftigt, nach Denkmöglichkeiten und Wahrscheinlichkeits-Befunden Ausschau halten und sich etwas mehr Klarheit wünschen.
Rätselhafte Phänomene in Todesnähe
Denn es gibt Unklarheit. Es existieren Phänomene, die mit der Annahme, der Mensch sei nichts weiter als sein Körper, nicht befriedigend erklärt werden können. Und es gibt ebenso faszinierende wie plausible weltanschauliche Erwägungen, die nur deshalb keine breite Akzeptanz finden, weil sie etablierten Ansichten radikal entgegenstehen.
Zwei Beispiele dafür, die unser Thema „Unsterblichkeit“ unmittelbar berühren, sind die Phänomene „Nahtoderfahrung“ und „Gedächtnistransplantation“.
Wohl schon immer gab es Menschen, die als tot galten, durch glückliche Umstände aber wieder ins Leben zurückkehren konnten – und dann von seltsamen Begebenheiten berichteten: Dass sie sich von ihrem eigenen Körper gelöst und ihn – erstmals in voller Dreidimensionalität, also nicht nur wie im Spiegel oder in Videoaufnahmen – von oben gesehen hätten; dass sie machtvoll durch einen dunklen Tunnel gezogen worden wären, ehe sie in ein strahlendes, überirdisches Licht gehüllt worden seien; dass ihnen verstorbene Verwandte oder Freunde begegnet seien; und dass sie eine Grenze erlebten, an der sie sich letztlich doch zur Rückkehr entschieden hätten.
Von solchen Erlebnissen wurde lange Zeit nur hinter vorgehaltener Hand berichtet, im trauten Familien- oder Freundeskreis. Wer wollte schon als verrückt gelten? Die Allgemeinheit hätte doch nur Spott und Hohn dafür erübrigt, und die Wissenschaft interessierte sich sowieso nicht für solche „Hirngespinste“.
Einen ersten Umschwung führte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die in der Schweiz geborene US-amerikanische Ärztin und Psychologin Dr. Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004) herbei. Ihr Interesse richtete sich zunächst auf den bis dahin weitgehend tabuisierten Vorgang des Sterbens. Sie wollte wissen, wie Menschen den nahenden Tod erleben, wie sie sich dem Unausweichlichen stellen und es schließlich bewältigen.
In den amerikanischen Krankenhäusern, in denen sie tätig war, bot Kübler-Ross – zunächst gegen den Willen der Ärzte – unheilbar Kranken Gesprächsmöglichkeiten an. Die Patienten reagierten überwiegend wohlwollend, von 200 nahmen 198 die Gelegenheit zur Aussprache an.
Schließlich veröffentlichte Kübler-Ross das Ergebnis ihrer Interviews und beschrieb fünf Phasen des Sterbens, wobei es ihr nicht nur um die betroffenen Menschen, sondern auch um deren Angehörige ging:
1. Nicht-wahr-haben-Wollen:
Der Patient leugnet seine Situation, also die Schwere seiner Krankheit und die Aussicht, sterben zu müssen. Gleichzeitig wird er auf Grund dieser Diagnose von seinen Angehörigen (gedanklich) isoliert. Wenn diese sich nicht mit dem Thema Tod befassen wollen, neigen sie möglicherweise dazu, ihm einen raschen Tod zu wünschen. Denn damit wäre das „Problem“ vom Tisch.
2. Zorn:
Der Patient hat seine Situation eingesehen und erlebt sie als ungerecht. Sein Zorn kann sich gegen alle richten, die sein eigenes Schicksal, demnächst zu sterben, nicht teilen müssen. Er hat auch Angst, als Mensch vergessen zu werden oder ins Abseits zu geraten, und es wäre wichtig, dass die Angehörigen ihm in dieser Phase besondere Aufmerksamkeit schenken und Hoffnung vermitteln.
3. Verhandeln:
In dieser (eher flüchtigen) Phase neigt der Betroffene dazu, dem Leben – oder Gott – einen Handel anzubieten: Er gelobt Änderung in bestimmten Verhaltensweisen, will sich beispielsweise einer Glaubensgemeinschaft widmen oder seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Im Gegenzug erwartet er eine Verlängerung seines Lebens.
4. Depression:
Den ersten drei Phasen folgen oft Depression, Trauer und Sorge. Wurde nicht schon alles vergeblich versucht? Wie wird es weitergehen – mit dem Haus, den Kindern? Nun ist es wichtig, dass die Angehörigen dem Sterbenden behutsam erklären, dass für sie das gewohnte Leben weiterhin gut funktionieren wird. Sie sollen ihn von Sorgen entlasten, seiner Trauer aber auch Raum geben.
5. Akzeptanz:
Der Patient erwartet den Tod und hat mit keinen aufwühlenden Gefühlen mehr zu kämpfen. Er blickt vielleicht zurück auf sein Leben und auf sinnvolle Aufgaben, die er erfüllen konnte. Er schläft länger, braucht viel Ruhe und vermittelt bisweilen den Eindruck, schon eher „drüben“ zu sein.
In dieser Phase tun Angehörige gut daran, „stumme Begleiter“ zu sein.
Diese (hier nur sinngemäß wiedergegebenen) Beschreibungen gehen aus dem Frühwerk von Kübler-Ross hervor. Sie verdeutlichen, dass viele Menschen in der letzten Zeit ihres Lebens ähnliche Gedanken- und Gefühlsregungen äußern. Nur hatte es das gesellschaftliche Tabu lange Zeit nicht erlaubt, den Tod zu thematisieren und dadurch hilfreiche Anregungen für die Begleitung am Sterbebett zu entwickeln.
Die Gespräche mit den Patienten veränderten auch Kübler-Ross’ eigene Weltsicht grundlegend. Später bekannte sie: „Bevor ich mit Sterbenden zu arbeiten begann, glaubte ich nicht an ein Leben nach dem Tod. Jetzt glaube ich an ein Leben nach dem Tod, ohne den Schatten eines Zweifels.“
In späteren Jahren widmete sich die Psychologin vor allem den zunächst rätselhaften Todesnähe-Erfahrungen, von denen viele ihrer Patienten berichteten. Unter dem Eindruck dieser Schilderungen war Dr. Kübler-Ross bald von einem Leben nach dem Tod und sogar von der Reinkarnation überzeugt. Das brachte ihr die Kritik ein, im Lauf der Zeit unwissenschaftlicher geworden zu sein. Als Trägerin von 23 Ehrendoktortiteln, die ihr weltweit an Colleges und Universitäten verliehen wurden, dürfte sie diesen Vorwurf gut verkraftet haben.
Dr. Elisabeth Kübler-Ross gilt heute als Begründerin der Thanatologie, der Sterbeforschung. Diese konzentrierte sich zunächst auf die geschilderten psychologischen Sterbephasen und später eingehender auf die Erlebnisse und Phänomene, von denen Menschen berichteten, die bereits tot waren, aber wiederbelebt werden konnten.
Über die Jahrzehnte wurden weltweit so viele Berichte über Lichterlebnisse, Ausleibigkeitserfahrungen oder