Wissenschaftler glauben nicht so einfach an ein Leben nach dem Tod. Indes kommen viele Menschen, die, wie Dr. Elisabeth Kübler-Ross, selbst Sterbende begleiten, aus einem tief empfundenen Miterleben heraus zu der Überzeugung, dass der Tod das Leben nicht beendet.
Das folgende Gespräch, das ich mit der Hospizhelferin Sieglinde Fuchs aus Petersaurach führte, die seit vielen Jahren ehrenamtlich Menschen am Sterbebett begleitet, ist ein Beispiel dafür. Sie erzählt, dass Sterbende oft „Lehrmeister für das Leben nach dem Leben“ sind.
Die hohe Kunst des Sterbens
Frau Fuchs, Sie sind seit vielen Jahren Hospizhelferin, haben eine reiche Erfahrung in dieser Tätigkeit und sprechen von der „Kunst des Sterbens“. Was ist denn dabei eine Kunst – und wie kann man diese Kunst erlernen?
Fuchs:
Kunst ist verknüpft mit Können, und Können ist verknüpft mit Üben und mit dem Erkennen, was wichtig ist. Die Kunst des Sterbens ist eigentlich die Kunst des Lebens. Wenn ich ein Bild geben darf: Ich möchte diesen Übergang, den wir Tod nennen, als den Antritt einer Reise in andere Dimensionen bezeichnen. Wenn jemand, der eine Reise vor sich hat, klug ist, dann wird er sich erkundigen: Wie schaut es dort aus, wo ich hinreise? Was muss ich mitnehmen? Und was ist wertlos, was kann ich sozusagen jetzt schon hintanstellen? Was die Reise in das Jenseits anlangt, wird er herausfinden, dass er für die Ankunft drüben ganz andere Dinge braucht als die, welche gemeinhin als wichtig erachtet werden – Prestige, Besitz, Verstandesfähigkeiten, die man zeigen kann, oder ähnliches.
Wer sich auf seine Reise innerlich vorbereitet, wird merken, dass er das alles nicht braucht, auch nicht die großen Taten, von denen er meinte, dass sie ihn selbst, seine Persönlichkeit ausmachen. Er wird vielmehr bemerken, dass es drüben heißt: Wie bist du, Mensch? Welche Motivation hattest du für deine Taten? Die Maxime für den Übergang in die jenseitige Welt ist also ganz anders angelegt, und wenn mir die nötigen Qualitäten jetzt schon bewusst sind und ich sie verwirkliche, dann übe ich die Kunst des Sterbens.
Demnach geht es bei der Reisevorbereitung – um bei Ihrem Bild zu bleiben – um innere, seelisch-geistige Werte. Also wäre ein gewissenhaftes Leben, ein Mit-sich-selbst-im-Reinen-Sein die beste Vorbereitung?
Fuchs:
Vorbereiten kann man sich, indem man auf sein Menschsein achtet, auf sein Bewusstsein. Auch, indem man zum Beispiel fragt: Was macht den Kosmos aus? Was macht den Menschen aus? Worin ist der Schöpfer erkennbar? Was sind die innersten Zusammenhänge, die Gesetzmäßigkeiten in der Schöpfung? Wie wirken sie sich auf mich als Menschen aus? Wenn ich genau diese Dinge für wichtig erachte und mein Leben danach ausrichte, die Schwerpunkte richtig setze, dann lebe ich ein bewusstes Leben und habe damit auch immer den Blick ausgerichtet auf diesen Übergang, auf den ja jeder Mensch zugeht. Dieses sogenannte Ende ist etwas sehr Lichtvolles, wenn man es richtig betrachtet. Nur wenn man alle Gedanken an das Sterben wegschiebt, kann es dunkel und angstbesetzt werden.
In unserer Gesellschaft ist es aber leider immer noch üblich, den Tod zu tabuisieren und alle Gedanken an das Sterben soweit wie möglich aus dem Leben zu verbannen.
Fuchs:
Der Tod ist in der Vorstellung vieler Menschen mit einem Tabu belegt, wird immer weiter fortgeschoben und erscheint dadurch wie eine große Katastrophe. Und so glauben und fürchten sie, dass mit dem Sterben tatsächlich ihr Ende kommt. Das ist absolut schade, denn diese große Angst wäre nicht nötig. Die Sterbenden dürfen auf ein Licht zugehen. Sie erleben etwas ganz anderes als die materialistische Denkweise es uns vormacht. Und wenn ich genau diese Dinge über das Menschsein weiß, weil ich mich damit beschäftige und mich kundig mache, wie dieser Vorgang des Sterbens, dieser Wandel, der mich nach drüben führt, vor sich geht, dann bin ich natürlich schon einmal viel ruhiger. Dann überrascht mich der Tod nicht so sehr. Die wichtigen Zusammenhänge zu bedenken, die unser Leben bestimmen und die das Sterben dann erleichtern – das betrachte ich als eine Kunst.
Fast jeder Mensch ist irgendwann in seinem Leben mit dem Tod eines Angehörigen konfrontiert. Nun spielt sich das Sterben bei jedem sicher anders ab. Gibt es dennoch bestimmte Dinge bei der Begleitung eines Menschen am Sterbebett, die aus Ihrer Sicht unbedingt immer beachtet werden sollen?
Fuchs:
Es ist sehr, sehr wichtig zu wissen, wie man sich verhalten soll, um den Sterbenden nicht unnötig zu belasten. Das würde schon dadurch geschehen, dass man ihn festhalten, nicht gehen lassen will, vor allem, wenn man das auch äußert, wenn man zum Beispiel sagt: „Du kannst uns doch nicht allein lassen!“ – was oft passiert.
Solche Worte sind ganz grobe Erschwernisse. Aber auch einfach das innere Festhalten – wenn ich als Angehöriger nicht bereit bin, ihn seinen Weg gehen zu lassen – belastet den Sterbenden. Er muss ihn gehen, wann auch immer. Und es ist meine Aufgabe, ihn loszulassen.
Die absolute Stille im Sterbezimmer – keine Unruhe, keine Hektik, keine Ungeduld … auch das ist so wichtig! Der Sterbende soll seine Zeit nutzen können, denn er muss sich von allem verabschieden, was er bis jetzt um sich hatte, was ihm lieb und was ihm teuer war. Das ist ein schwerer Vorgang! Und dazu braucht er Kraft und Ruhe.
Es ist für Angehörige schwer zu verstehen, dass man seine Trauer gegenüber dem Sterbenden nicht äußern soll. Aber man kann das ja nachher machen, wenn man das Zimmer verlassen hat, aber eben nicht vor den Ohren und im Empfindungsbereich des Sterbenden. Denn der ist enorm sensibel in dieser Zeit. Er ist sozusagen wie ein rohes Ei. Psychologen, die sich mit dem Sterbeprozess sehr genau auseinandergesetzt haben, sagen, die Empfindungstiefe ist in dieser Zeit die allerhöchste im ganzen Leben.
Nun kann man sich vorstellen, wie ein Sterbender empfindet, wenn ich als Angehöriger zum Beispiel immer wieder auf die Uhr schaue. Der nun so hoch Sensible bekommt das alles mit! Oder wenn die Leute am Sterbebett sagen: „Was dauert denn das jetzt so lange? Er kriegt doch sowieso nichts mehr mit!“ Jeder Mensch muss seine inneren Prozesse vollenden. Er will vielleicht noch ein Thema zu einem guten Abschluss bringen, er möchte mit sich selbst ins Reine kommen. Mir wurde schon oft erzählt, dass im Sterbeprozess Dinge hochkommen, die längst vergessen schienen. Alles kommt äußerst lebendig wieder zu Bewusstsein, will angeschaut, will behandelt werden. Die Angehörigen sind dann mitunter sehr überrascht, wenn sie durch den Sterbenden, wenn er zwischendurch wieder bei Tagbewusstsein ist – das ist im Sterbeprozess ja nicht immer der Fall –, plötzlich mit Ereignissen konfrontiert werden, die die ganze Familie längst vergessen hatte. Sie bemerken, dass er sein Leben jetzt ganz anders anschaut, aus einer neuen Perspektive, und sie werden sehr überrascht, wenn sie zuvor der Meinung waren, dass „da jetzt eh nichts mehr ist“. Also: Ruhe und Zeit für den Sterbenden, Unterstützung durch Loslassen, Rücksichtnahme auf sein Feinempfinden – solche Dinge muss man am Sterbebett bedenken, muss man wissen.
Wie würden Sie denn einen Sterbeprozess beschreiben, sofern es sich nicht um eine außergewöhnliche Begebenheit handelt, um einen plötzlichen Unfalltod zum Beispiel?
Fuchs:
Es gibt bestimmte Phasen, sogar sehr deutlich. Die Phasen zeigen sich natürlich bei jedem Menschen ein bisschen anders, mancher durchläuft sie ganz schnell, ein anderer muss vielleicht wieder zurück und neu anfangen. Aber die erste Phase ist bei den meisten Menschen die Reaktion: Nein, jetzt nicht! Jetzt will ich nicht nach drüben gehen! Ich möchte noch das und das erleben … der Enkel wird bald heiraten, da möchte ich noch dabei sein – aber dann bin ich bereit! Also: Es ist immer zu früh.
Aber irgendwann, wenn „der Freund Körper“ das Leben nicht mehr festhalten kann, spürt das der Sterbende. Da können die Ärzte und die Angehörigen sagen, was sie wollen … „Das wird schon wieder! Du wirst gesund, und dann machen wir das und das!“ Der Betroffene spürt ganz genau,