Petrus. Da sich gerade Gelegenheit bietet, möchte ich fragen, was es damit für eine Bewandtnis hat, daß unser Erlöser den zwei Blinden, denen er das Augenlicht wieder schenkte, zwar befahl, niemandem etwas davon zu sagen, daß diese aber dennoch hingingen und es im ganzen Lande verbreiteten. Sollte etwa der eingeborene Sohn Gottes, gleichewig mit dem Vater und mit dem Heiligen Geiste, in diesem Falle etwas gewollt haben, was er nicht ausführen konnte, so daß das Wunder, das er verschwiegen haben wollte, nicht verborgen bleiben konnte?
Gregorius. Unser Erlöser hat alles, was er in seinem sterblichen Leibe tat, uns als ein Beispiel für unser Handeln aufgestellt, so daß wir nach dem Maße unserer Kraft in seine Fußstapfen treten und ohne anzustoßen den Lebensweg, der jetzt unsere Aufgabe ist, wandeln können. Er wirkte das Wunder und befahl darüber Schweigen zu beobachten, und doch konnte es nicht verschwiegen bleiben, damit auch seine Auserwählten, welche seinem Beispiele und seiner Lehre folgen, bei ihren Großtaten zwar gerne verborgen bleiben möchten, wider ihren Willen aber zum Frommen anderer in ihren Wundern bekannt würden. So ist es einerseits große Demut, daß sie ihre Werke verborgen halten wollen, andererseits ein großer Nutzen, daß ihre Werke nicht verschwiegen bleiben können. Der Herr wollte also keineswegs etwas, was er nicht ausführen konnte, sondern was seine Glieder für einen Willen haben sollen und was dennoch mit ihnen wider ihren Willen geschieht, das hat er uns durch sein Beispiel gelehrt.
Petrus. Die Erklärung gefällt mir.
Gregorius. Wir müssen noch einige Begebenheiten aus dem Wirken des Bischofs Bonifatius anführen, nachdem wir einmal seiner Erwähnung getan haben. Ein anderes Mal nämlich nahte der Tag der Gedächtnisfeier des seligen Märtyrers Prokulus heran. Ein Adeliger namens Fortunatus, der an jenem Orte wohnte, bat den ehrwürdigen Mann inständig, er möge, wenn er bei dem seligen Märtyrer das Hochamt halte, zu einer Erquickung bei ihm zukehren. Der Mann Gottes konnte das nicht abschlagen, um was ihn die Liebe aus dem Herzen des Fortunatus ersuchte. Nachdem also das Hochamt zu Ende war, ging er bei Fortunatus zu Tisch. Doch ehe er noch Gott das Lobgebet sprechen konnte, erschien ein Mann mit einem Affen unter der Türe und schlug die Zimbel, wie eben manche als Spielleute sich den Unterhalt zu verschaffen pflegen. Als der Heilige diesen Laut vernahm, entrüstete er sich und sprach: „Ach, ach, dieser Arme ist tot, dieser Arme ist tot! Ich bin zu Tisch gekommen, um mich zu erquicken, und ich habe den Mund noch nicht zum Lobe Gottes auftun können, da kommt schon dieser mit seinem Affen und schlägt die Zimbel!” Er setzte jedoch hinzu: „Gehet und gebt ihm zu essen und zu trinken, wie es die Liebe erfordert; wisset aber, daß er tot ist.” Als der unglückselige Mann Brot und Wein vom Hause erhalten hatte und zur Türe hinausgehen wollte, fiel plötzlich ein großer Stein vom Dache und traf ihn mitten auf den Kopf. Er wurde von diesem Schlage zu Boden geschleudert, und als man ihn aufhob, war er schon halbtot und beschloß den andern Tag, wie es der Mann Gottes gesagt hatte, vollends sein Leben. Bei diesem Fall, Petrus, legt sich die Erwägung nahe, daß man heiligen Männern eine sehr große Ehrfurcht entgegenbringen muß; denn sie sind Tempel Gottes. Und wenn ein Heiliger zum Zorn gereizt wird, wer anders wird da zum Zorn herausgefordert als der Bewohner dieses Tempels? Um so mehr also ist der Zorn der Gerechten zu fürchten, als in ihrem Herzen, wie wir wissen, derjenige zugegen ist, den nichts hindert, Rache zu nehmen, wie er will.
Ein anderes Mal verkaufte sein Neffe, der schon erwähnte Presbyter Konstantius, sein Pferd um zwölf Goldstücke, legte das Geld in seine Truhe und ging fort, um ein Geschäft zu besorgen. Da kamen unmittelbar darauf Arme zur bischöflichen Wohnung und baten ungestüm, der heilige Bischof Bonifatius solle ihnen zur Linderung ihrer Not etwas schenken. Da aber der Mann Gottes nichts zum Verteilen hatte, regte er sich in Gedanken darüber auf, daß die Armen mit leeren Händen von ihm fortgehen sollten. Da fiel ihm ein, daß sein Neffe, der Presbyter Konstantius, sein Reitpferd verkauft und den Erlös dafür in seiner Truhe liegen hatte. In Abwesenheit des Neffen machte er sich also über die Truhe, brach in frommer Gewalttätigkeit das Schloß auf, nahm die zwölf Goldstücke heraus und verteilte sie nach seinem Belieben unter die Armen. Als nun der Presbyler Konstantius von seinem Gange zurückkehrte, traf er die Truhe erbrochen an und fand den Erlös für sein Pferd, den er hineingelegt hatte, nicht mehr vor. Da schlug er einen großen Lärm auf und schrie in heftigem Zorn: „Alle läßt man hier leben, nur ich kann in diesem Hause nicht leben!” Auf dieses Geschrei kamen der Bischof und alle Bewohner des bischöflichen Hauses herbei. Der Mann Gottes wollte ihn durch sanftes Zureden beschwichtigen, jener aber machte ihm Vorwürfe und sagte: „Alle läßt du mit dir leben, nur ich allein kann es bei dir nicht aushalten; gib mir mein Geld zurück!” Auf diese Worte hin begab sich der Bischof in die Kirche der seligen allzeit jungfräulichen Maria, erhob seine Hände, zog dabei das Gewand über den Armen auseinander und betete stehend, sie möge ihm doch etwas geben, womit er die Erregung des Presbyters beschwichtigen könne. Und als sein Blick auf das Gewand zwischen seinen ausgestreckten Armen fiel, bemerkte er dort plötzlich zwölf Goldstücke, die glänzten, als ob sie soeben aus dem Feuer gekommen wären. Er verließ die Kirche, warf das Geld dem zornigen Presbyter in den Schoß und sagte: „Siehe, da hast du das Geld, das du verlangt hast, aber das sollst du dir merken, daß du, wenn ich einmal gestorben bin, wegen deines Geizes nicht Bischof an dieser Kirche werden wirst!” Aus dieser Äußerung schließt man, daß der Presbyter das Geld zurücklegen wollte, um damit die Bischofswürde zu erlangen. Das Wort des Mannes Gottes hatte Bestand, denn Konstantius beschloß sein Leben als Presbyter.
Einmal kamen zwei Goten zu ihm, um seine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, und sagten, sie wären auf der Reise nach Ravenna. Er schenkte ihnen mit eigener Hand ein kleines hölzernes Fäßchen, das mit Wein gefüllt war, damit sie sich dessen etwa bei der Mahlzeit auf der Reise bedienen könnten. Die Goten aber tranken aus demselben, bis sie nach Ravenna kamen. Sie hielten sich einige Tage in jener Stadt auf und genossen alle Tage von dem Weine, den sie von dem heiligen Manne bekommen hatten. Und so kamen sie auf dem Rückweg wieder nach Ferentino zu dem ehrwürdigen Vater, ohne daß sie einen Tag mit dem Trinken aufgehört hätten, und doch ging der Wein in dem kleinen Fäßchen nicht aus, gerade als ob in dem hölzernen Fäßlein, dem Geschenk des Bischofs, der