Petrus. Es ist sehr wunderbar, daß Gott sich würdigt, die Gebete derer, die auf ihn hoffen, auch in geringen Dingen zu erhören.
Gregorius. Das geschieht, Petrus, nach weiser Einrichtung unseres Schöpfers, damit wir wegen des Kleinen, das wir erhalten, Großes erhoffen sollen; der heilige und einfältige Knabe fand nämlich deshalb in geringen Dingen Erhörung, damit er vom Kleinen lerne, wieviel er von Gott bei großen Bitten erwarten dürfe.
Petrus. Es gefällt mir, was du sagst.
X. Kapitel: Von Fortunatus,31 dem Bischof von Todi
Gregorius. Noch ein anderer Mann von ehrwürdigem Lebenswandel befand sich in jener Gegend, Fortunatus mit Namen, Bischof der Kirche von Todi. Dieser besaß eine immense Kraft und Gnade in Austreibung der bösen Geister, so daß er manchmal aus den Besessenen Legionen von Dämonen austrieb und durch ununterbrochenen Gebetseifer ganze Scharen derselben, wenn sie sich ihm widersetzten, überwand. Julianus nun, Defensor unserer Kirche, der vor nicht langer Zeit hier gestorben ist, war ein sehr vertrauter Freund dieses Mannes. Aus seinem Munde weiß ich auch, was ich jetzt erzähle; denn er wagte es aus Freundschaft oft, seine Taten mit anzusehen, und bewahrte auch nachher sein Andenken zu unserer Belehrung gleichwie süßen Honig in seinem Munde.
In dem nahen Tuscien hatte eine vornehme Matrone eine Schwiegertochter, die bald, nachdem sie deren Sohn geehelicht hatte, mitsamt der Schwiegermutter zur Einweihung der Kirche des heiligen Märtyrers Sebastianus eingeladen wurde. In der Nacht aber vor dem Tage, an dem sie zur Kircheneinweihung gehen wollte, unterlag sie der Fleischeslust und konnte sich von ihrem Manne nicht enthalten.32 Als am Morgen einerseits die gepflogene Fleischeslust sie im Gewissen zurückschreckte, anderseits der Anstand den Kirchengang forderte, fürchtete sie sich mehr vor den Menschen als vor Gottes Gericht und ging mit ihrer Schwiegermutter zur Kirchweihe. In dem Moment aber, in welchem die Reliquien des heiligen Märtyrers Sebastian in die Kirche getragen wurden, ergriff ein böser Geist die Schwiegertochter und begann sie vor allem Volke zu peinigen. Als der Priester der Kirche die Frau in ihren großen Schmerzen sah, nahm er ein Tuch vom Altar und bedeckte sie damit, aber auch in ihn fuhr allsogleich der Teufel. Weil er etwas, was über seine Kräfte ging, tun wollte, mußte er erst durch eigene Qual zur Erkenntnis gelangen, was hier vorging.33 Die Anwesenden aber trugen die junge Frau aus der Kirche und brachten sie nach Hause. Da nun der alte böse Feind sie durch beständiges Quälen ganz aufzureiben drohte und da ihre Angehörigen sie dem Fleische nach liebten, ja bis zum Verderben liebten, übergaben sie die Frau zur Wiedererlangung der Gesundheit den Zauberern. So stürzten sie ihre Seele vollends ins Verderben, während sie ihrem Leibe für den Augenblick durch Zauberkünste helfen wollten. Man führte sie also an einen Fluß und tauchte sie ins Wasser unter. Längere Zeit suchten die Zauberer durch ihre Zauberformeln es dahin zu bringen, daß der Teufel, der in sie gefahren war, sie wieder verlasse. Aber durch ein wunderbares Gericht des allmächtigen Gottes fuhr, wenn durch die gottlose Kunst ein Teufel ausgetrieben war, sogleich eine ganze Legion in sie hinein. Sie wurde darum in so vielerlei Bewegungen hin- und hergeworfen und schrie in sovielen Stimmen, als böse Geister von ihr Besitz genommen hatten. Darauf hielten die Anverwandten Rat, gestanden ihre Sünde der Treulosigkeit gegen den Glauben, führten die Frau zu dem ehrwürdigen Bischof Fortunatus und ließen sie bei ihm zurück. Er nahm sie auf und betete viele Tage und Nächte. Er oblag mit einer so großen Anstrengung dem Gebete, weil er sah, daß in dem einen Körper ein ganzes Heer von bösen Geistern gegen ihn stehe. Doch nach einigen Tagen machte er sie so gesund und wohlbehalten, wie wenn der böse Feind nie ein Anrecht auf sie gehabt hätte.
Wieder ein anderes Mal trieb der Diener des allmächtigen Gottes aus einem Besessenen einen unreinen Geist aus. Als der böse Geist sah, daß es um die Abendzeit war und zu einer Stunde, wo sich die Menschen zurückziehen, nahm er die Gestalt eines Fremdlings an, ging auf die Plätze der Stadt und schrie: „Ja, das ist ein heiliger Mann, der Bischof Fortunatus! Seht, was er getan hat! Einen Fremdling hat er aus seiner Herberge hinausgestoßen! Ich suche ein Plätzchen, um ausruhen zu können, und finde keines in seiner Stadt!” Da saß eben ein Mann in seinem Hause mit seinem Weibe und seinem kleinen Sohn am Kohlenfeuer; er hörte das Schreien und fragte, was ihm denn der Bischof getan habe; darauf lud er ihn in sein Haus ein und ließ ihn neben sich am Kohlenfeuer Platz nehmen. Während sie nun über verschiedene Dinge miteinander redeten, fuhr der böse Geist in den Knaben, warf ihn in die Glut und nahm ihm schnell das Leben. Der unglückliche, seines Kindes beraubte Vater erkannte nun, wen er aufgenommen und wen der Bischof vertrieben hatte.
Petrus. Wie sollen wir denn das erklären, daß der Erbfeind die Kühnheit hatte, jemanden zu töten und noch dazu in dem Hause eines Mannes, der ihn für einen Fremdling ansah und ihn aus Gastfreundschaft bei sich aufnahm?
Gregorius. Vieles, Petrus, scheint gut zu sein und ist es nicht, weil es nicht in guter Absicht geschieht; deshalb sagt auch die ewige Wahrheit im Evangelium: „Ist dein Auge schalkhaft, so wird dein ganzer Leib finster sein.”34 Denn wenn die Absicht, die vorausgeht, unrecht ist, so ist böse jedes Werk, das nachfolgt, mag es auch aussehen wie ein gutes Werk. Ich glaube nämlich, daß der Mann, der scheinbar Gastfreundschaft übte und dabei seines Kindes beraubt wurde, nicht an dem Werke der Barmherzigkeit seine Freude hatte, sondern an der üblen Nachrede gegen den Bischof; denn die Strafe, die nachfolgte, tat kund, daß die vorhergehende gastliche Aufnahme nicht ohne Schuld war. Denn es gibt Leute, die deswegen sich guter Werke befleißen, um den Glanz der Tätigkeit anderer zu verdunkeln; sie freuen sich nicht über das Gute, das sie tun, sondern über das Lob, das sie dafür ernten und womit sie andere in Schatten stellen. Darum glaube ich, daß der Mann, der den bösen Geist als