Liebe Leserin, werter Leser, wenn Sie Obiges für sich bejahen können, dann schlagen Sie das Buch zu, Sie brauchen es nicht. Wenn Sie dagegen sagen: „Ja, das klingt wie ein lohnendes Ziel, eines, das bitteschön nicht in ferner Zukunft liegen soll, sondern das ich sofort ansteuern möchte“, dann machen wir weiter.
Bevor Veränderung stattfinden kann, bedarf es einer Analyse des Ist-Zustandes, und der sieht sehr häufig so aus: Viele von uns arbeiten mehr, als sie leben. Die meiste Zeit des Tages geht für Gelderwerb verloren. Wenn wir uns unsere Tage, Wochen, Jahre ansehen und ehrlich zu uns sind, kommen wir zu der Erkenntnis: Es war und ist immer derselbe Jammer. Zu viel Arbeit, zu wenig Leben. Viel Arbeit plus viel Leben ist zwar möglich, doch nur, wenn wir absolut das machen, was unser Ding ist, das, was uns tatsächlich Freude macht. Eine Tätigkeit, die wir, auch ohne Geld dafür zu bekommen, liebend gern machen würden. Noch sind die meisten von uns nicht so weit, wir tun immer noch Dinge, nur um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Wir leben nach dem Motto: Karriere oder Leben.
Ein Ist-Zustand, der für so viele von uns „normal“ ist: Schule, Job, Familie, Pension. Kinder großziehen, Kredite abbezahlen. Aufstehen, arbeiten, fernsehen. Wir sind eingespannt in die vielen Pflichten und Gewohnheiten unserer Tage. Wir nehmen sie ernst, pflichtbewusst und ohne nachzudenken erledigen wir roboterhaft das, was von uns erwartet wird oder wir uns selbst auferlegen. Jeder Tag gleicht dem anderen, ab und zu gibt es ein Highlight, doch im Großen und Ganzen sind unsere Tage vorgegeben. Aus Tagen werden Monate, aus Monaten Jahre, aus dem jungen Menschen einer im besten Alter und bald schon unterhält man sich mit anderen über Krankheiten und Pensionsanspruch. Unsere Zeit verrinnt, ohne Leben, subjektiv haben wir also gar nicht gelebt, wir werden alt an Jahren, ohne dass wir es bemerken. Die Tage, Wochen, Monate, Jahre, wo sind sie geblieben?
Wir leben oft so, als würden wir ewig leben. Sehen wir eine Gelegenheit, die uns im Leben voranbringen oder uns Freude bereiten könnte oder durch die wir Menschen kennen lernen könnten – was tun wir? Wir lassen die Gelegenheit vorüberziehen. Man muss ja nicht alles haben. Morgen ist auch ein Tag. Das nächste Mal. Es passt jetzt nicht so gut. Wer weiß, was da herauskommt. Es ist auch so ganz nett.
Zeigt sich eine Gelegenheit, die echtes Leben in unseren Alltag bringen könnte, die uns Neues in unser Dasein spülen und uns vielleicht sogar der Liebe näherbringen würde, sollte man vielleicht nicht automatisch den Kopf einziehen und auf „lieber nicht“ schalten. Solche Gelegenheiten kommen oft nie wieder, und wie man weiß, bedauert man seine Feigheit, seine Passivität oft sein Leben lang. Nichts ist unvergänglicher als das Bedauern, eine Gelegenheit zum Glück versäumt zu haben.
Ein Tag geht vorüber.
Noch ein Tag.
Viele Tage.
Ein Jahr.
Noch ein Jahr.
Wer zählt sie?
Und plötzlich – wie konnte das nur passieren? – wie konnte das nur passieren, sind wir alt. Oder zumindest sehen wir so aus. Es kommt der Tag, an dem wir Bilanz ziehen. Das kann ein runder Geburtstag sein oder der Tag, an dem wir erfahren, dass wir nicht mehr lange zu leben haben. Der Tag der Abrechnung, er steht uns allen bevor. Wir werden uns unser Leben ansehen und was wir daraus gemacht haben. Ob wir es bestmöglich genützt haben oder ob es keinen Unterschied gemacht hätte, ob wir hier auf Erden waren oder nicht. Fragen tun sich auf: Haben wir unser Leben so gelebt, wie wir es uns ersehnt haben? Haben wir die Reisen unternommen, die wir erträumt haben? Haben wir uns unseren Lebenstraum erfüllt oder dies zumindest versucht? Haben wir das gemacht, was wir eigentlich wollten, oder haben wir es nicht einmal gewagt, es zu probieren? War unser Leben für irgendwas oder irgendwen von Nutzen? Hat unser Handeln und Sein anderen geholfen? Waren wir für andere Menschen wichtig? Waren wir anderen nahe? Haben wir es genossen, hier zu sein? Waren es gute Jahre, voller Emotionen, Höhepunkte, Tränen der Freude oder nur des Leids? Hatte unser Leben Qualität?
Um nicht am Sterbebett unser (fehlendes, nicht genütztes) Leben bedauern zu müssen und um uns, eines fernen Tages, leichten Herzens von diesem Leben verabschieden zu können, ist es unermesslich wichtig, unsere Zeit, die noch vor uns liegt, mit echtem Leben zu füllen. Uns zu erfüllen. Das zu tun, was sich für uns persönlich wie echtes Leben anfühlt. Nicht die Zeit absitzen, sondern jeden Moment voll und ganz präsent sein und uns unseren Lebensträumen zuwenden. Den Mut haben, diese anzugehen, sie zu verwirklichen. Der „Erfolg“ ist völlig nebensächlich. Ob etwas gelingt, ob es gut war oder nicht, egal!
Es ist auch nicht entscheidend, „große“ Dinge zu tun. Viele haben keine hochtrabenden Träume, und es soll hier nicht darum gehen, solche künstlich herbeizureden. Wer sie hat, möge sie angehen, alle anderen sind davon befreit. Was zählt, ist, sich dem Leben zuzuwenden, das zu machen, was uns wichtig ist. Dem Grundgefühl zu folgen, das einem sagt, was zu tun ist, um Ja! sagen zu können zu dem Leben, das wir führen. Fachen wir an, was in uns lodert, und wagen wir es.
Frei werden von Lebensangst
Viele Menschen verbringen ihre Tage wie eine einzige Pflichterfüllung. Aufstehen, arbeiten, fernsehen, schlafen, aufstehen … immer wieder und immer wieder. Sie führen ein mehr oder weniger unscheinbares Leben, sie fallen ihrer Umgebung nicht weiter auf. Möglicherweise sind sie zufrieden mit ihrem Leben, möglicherweise auch nicht. Sie stellen keine großen Anforderungen und haben kaum Erwartungen. Sie leben konstant, die Tage gleiten dahin, sie leben im Rhythmus der Zeit. Winter, Frühling, Sommer, Herbst und dann wieder von vorne. Langsam werden sie alt und langsam dämmert es so manchen, dass es das vielleicht noch nicht gewesen sein kann. Da muss es doch mehr geben. Oder nicht? Andere wiederum leben im ständigen, quälenden Bewusstsein, dass sie ein sehr beschränktes, begrenztes Leben führen. Sie wissen, sie sollten etwas tun, um dem täglichen, monatlichen, jährlichen Einerlei zu entfliehen. Sie wissen: Ich bin zwar am Leben, aber lebendig bin ich nicht.
Viele Menschen, die ein sehr begrenztes Leben führen, tun dies aus der Angst heraus, dass sie ein echtes, ursprüngliches, wildes, ungezügeltes Leben überfordern würde. Als Kinder waren sie vielleicht noch wild, vielleicht aber haben sie dieses Gefühl der Wildheit auch nie kennen gelernt. Sie fühlen, da muss es mehr geben, wagen aber nicht, der Sache konkret auf den Zahn zu fühlen. Nun, wie kommt man dem ungelebten Teil seiner selbst auf die Spur? Zum Beispiel, indem man sich fragt: Was würde ich eigentlich gern tun, sein, machen, haben? Eigentlich ist das Zauberwort. Eigentlich bedeutet hier ein mögliches Leben, wenn es keine (eingebildeten, auferlegten oder selbsterschaffenen) Grenzen gäbe. Wie müsste das Leben sein, damit ich nicht nur zufrieden, sondern glücklich wäre? Wie müsste es sein, dass es wild und auch mal ekstatisch wäre statt lauwarm und schaumgebremst? Müssten sich die äußeren Umstände ändern und/oder die innere Einstellung?
Zugegeben, es ist wirklich keine leichte Übung, denn es können viele negativen Gefühle hochkommen, wenn man sich ehrlich eingesteht, wie man es denn eigentlich gerne hätte und wie das Leben tatsächlich aussieht. Soll und Haben sind oft meilenweit voneinander entfernt.
Wenn Sie jedoch den Mut aufbringen, sich einen Lebensentwurf zu skizzieren, der nicht nur lauwarm, sondern wirklich heiß ist, dann machen Sie sich klar, was Sie bisher an seiner Realisierung gehindert hat. Schnell werden altbekannte Argumente auftauchen, wie: Geld verdienen müssen, was würden denn mein Partner, meine Eltern, meine Kinder oder wer auch immer davon halten, wenn ich Schluss mache mit dem lauwarmen, dafür aber beständigen Leben, das ich führe? Der Umgebung würde so ein Lebens-Wandel vielleicht nicht gefallen, das stimmt. Es kann aber auch sein, dass Sie schon jetzt kaum mehr jemandem gefallen, wenn Sie stumpf, trübsinnig und ohne Lebenslust durch Ihre Tage stolpern. Vielleicht würde die neue Version Ihrer selbst auch das Leben der anderen verbessern?
Es gibt viele Gründe, warum so viele von uns ihr Leben so leben, als wäre es endlos, ewig gleich dahinplätschernd, ohne Höhen und Tiefen. Ein gewichtiger Grund, den wir uns kaum eingestehen wollen, ist die Lebensangst. Die Angst,