GOTT ALS THEMA DER PHILOSOPHIE
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Das Wort „Gott“ stammt aus dem religiösen Glauben und hat von dort seinen Inhalt. Die Religion gab zunächst in ihren Mythologien Antwort auf die Fragen: Woher kommen wir? Wie ist die Welt zu erklären? Im alten Griechenland begann man nach dem allgemeinen Ursprung (der „Arché“) in Begriffen zu fragen, die man aus der Anschauung der Natur oder des Denkens entnahm. Dies verband sich mit einer Religionskritik, die den Sinn hatte, über Gott oder das Göttliche Vernünftiges zu sagen. Grundlage für ein spannungsvolles Verhältnis zwischen Religion und Philosophie.
Wir wollen uns in dieser Vorlesungsreihe mit dem Thema Gott beschäftigen, das allerdings in philosophischer Hinsicht. Oder anders gesagt: Unter dem Blickwinkel der Philosophie wollen wir uns mit dem Thema beschäftigen, das mit dem Begriff Gott gegeben ist.
Gott ist allerdings kein Begriff aus der Philosophie. Er stammt aus dem Bereich der Religion. Haben beide Bereiche miteinander zu tun? Das ist die Frage derjenigen Disziplin, die ich Ihnen jetzt vorstellen werde, und der die folgenden Vorlesungen gewidmet sind, nämlich die philosophische Theologie.
Es gibt einen klassischen Text, in dem die Zuordnung dieser beiden Bereiche deutlich wird. Es sind die „Gottesbeweise“ des Thomas von Aquin. Dort wird philosophisch von Gründen, von Notwendigkeit, von Möglichkeit, von Aktualität, Potentialität gesprochen. Am Ende der Argumentationen stehen Begriffe wie der einer ersten Ursache oder eines höchsten Notwendigen, des unbewegt Bewegenden. Dann heißt es bei Thomas: “das nennen alle Gott”.
Ein religiös Gläubiger würde seinen Glauben nicht mit diesen Begriffen zum Ausdruck bringen. Was meint aber Thomas? Er meint, dass der Begriff Gott einen Inhalt hat, über den man rational nachdenken kann, und das mit bestimmten Ergebnissen. Es sind die Ergebnisse, die für die Philosophie interessant sind oder die direkt aus der Philosophie kommen. Der Begriff Gott muss in gewisser Weise nach dem Maßstab dieser Begriffe gedacht werden. Über Gott kann man dann noch sehr viel mehr sagen als es die Philosophie in diesen Begriffen tut.
Man wird aber nicht über Gott reden können, ohne dass der von der Philosophie dargelegte Inhalt Maßstab ist für ein korrektes Reden von Gott. Andernfalls würde man, so würde Thomas sagen, einen Gott verehren, der im Grunde ein Götze ist.
Wir haben also zwei Bereiche vor uns, die einander zugeordnet sind: Einerseits Philosophie, Rationalität, Vernunft, und andererseits Religion und religiöser Glaube.
Transzendenz
Mit der Religion beschäftigen sich sehr viele Disziplinen. Es gibt auch verschiedene Definitionen von Religion. Zu allererst müssen wir uns einen vorläufigen Begriff von Religion machen, um zu sehen, womit wir es zu tun haben. Religion hat es offenbar mit einem Bereich zu tun, der über unsere sinnliche, erfahrbare Welt hinausgeht. Man nennt dieses Darüber hinaus Transzendenz. Es ist ein Bereich, der über die sinnliche Erfahrung hinausgeht und der uns aber zugleich angeht, über den wir nicht einfach so hie und da mal spekulieren. Dieser Bereich betrifft uns, er geht uns persönlich an.
Die Vorstellung von diesem Bereich, der über das Sinnliche, Erfahrbare hinausreicht, wurde in den einzelnen Religionen verschieden gefüllt, z.B mit Göttergeschichten. Aber auch mit begrifflichen Aussagen über das Göttliche. Es war jedoch auch immer das Bewusstsein vorhanden, dass dieser Bereich anders ist, dass man über ihn eigentlich nicht so klar reden kann. Das führte dann dazu, dass in den Religionen auch immer ein Bewusstsein davon vorhanden war, dass Gott eigentlich nicht so ist wie unsere Vorstellungen es uns sagen.
In manchen Religionen ist die Unterscheidung sogar ganz radikal betont worden, etwa im Buddhismus, wo dieses Höchste, also das die Welt Überschreitende, Nichts genannt wird. Es ist dies nicht einfach nihilistisches Nichts, sondern es ist das Nichts in dem Sinne, dass das Gemeinte sich vollkommen unterscheidet von dem, was wir in unserer Erfahrung haben. Und eben dieses “ganz Andere” geht uns an. Mit dem haben wir zu tun.
Die Religion stellt sich dann konkret so dar, dass über diesen jenseitigen Bereich irgendwelche Aussagen gemacht werden, Aussagen, die durch Autoritäten vermittelt sind, etwa durch Religionsstifter. Durch sie wird eine neue Tradition gestiftet, und innerhalb einer solchen Tradition bewegen sich dann die gläubigen Menschen und nehmen die Aussagen, die diese Tradition vermittelt, an. Ein philosophisches Nachdenken bezieht sich auf diese Inhalte und versucht sie in einer bestimmten Weise zu begreifen.
Wenn man aber zu “begreifen” beginnt, dann hat dies eine ganz eigene Dynamik. Die Philosophie versucht nämlich auch selbst, die Welt und die Wirklichkeit zu begreifen, die über unsere erfahrbare Welt in gewisser Weise hinausgeht, über die bestimmten, eingeschränkten Bereiche nämlich, in denen wir uns normalerweise bewegen, auf die wir schauen, die wir erforschen.
In der Philosophie ist es der Blick auf das Ganze, auf das Ganze unserer Wirklichkeit. Man könnte einwenden: Wir haben das Ganze doch niemals vor uns. Was soll also dieser Ausgriff auf das Ganze?
Dies ist eine philosophische Frage, die die Philosophie auch philosophisch beantwortet. Sie argumentiert: Wenn wir sagen, wir sind doch immer eingeschränkt auf bestimmte Bereiche, die wir nicht überschreiten können, dann haben wir ein Bewusstsein der Grenze. Und wenn wir ein Bewusstsein der Grenze haben, haben wir auch ein Bewusstsein von dem, was diese Grenze überschreitet. Das gilt prinzipiell. Wir sind also prinzipiell über alle Grenzen, die wir irgendwie denken oder erfahren können in unserem Denken hinaus. Auf was hin?
Auf das Ganze überhaupt, auf das, was diese Wirklichkeit konstituiert in ihren grundlegenden Strukturen. Und das genau ist Philosophie: Der Blick auf das Ganze, auf die ganze Wirklichkeit. Die Philosophie versucht herauszuheben, was die Wirklichkeit innerlich trägt, sozusagen ihre allgemeinsten und grundlegenden Strukturen.
Man kann das mit dem berühmten Wort aus Goethes Faust der sagt, ihm gehe es darum, “dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält” ausdrücken. Dieses Bemühen trifft auf das Thema Gott, auf das Thema der Religion. Ich möchte Ihnen zeigen, wie sich dieses Verhältnis, die Zuordnung und auch in gewisser Weise die Einheit dieser beiden Bereiche ergeben hat. Es sind dies die Anfänge der Philosophie, genauer gesagt: die Anfänge der abendländischen Philosophie bei den Griechen.
Die griechische Antike
In der griechischen Antike erwuchs das philosophische Nachdenken in einer Reflexion über die Religion. Es war in einer Art von Reflexion, die auf das Philosophische hinweist. Das zeigte sich in der Weise, dass man sich sagte: Die verschiedenen Göttergeschichten, die der eine Ort so, der andere Ort anders erzählt, das eine griechische Volk so, das andere anders, diese verschiedenen Kulttraditionen, was haben sie und ihre Götter miteinander zu tun? Offenbar ist es doch ein göttlicher Bereich, der irgendwie zusammengehört. Homer in seinen bekannten Epen – dier Ilias und der Odyssee – zeigt uns eine Götterwelt, eine sehr bunte Götterwelt. Diese verschiedenen Götter, die natürlich aus verschiedenen Traditionen stammen, sollen aber vereint sein in einer Familie am Olymp. Der Göttervater ist Zeus. Dies ist ein Versuch, die Göttervielfalt irgendwie zu ordnen.
Ein anderer großer Dichter, etwas später als Homer, Hesiod, erzählt in seiner Theogonie die Göttergeschichte als einen Entstehungszusammenhang. Auch dies ist ein Versuch, Einheit in die Göttervielfalt zu bringen. Hesiod spricht von einem Anfang, der in der Leere besteht, dem Chaos. Das kommt von “chaskein”, Gähnen. Es ist der gähnende Abgrund, gleichsam das „Nichts“, aber irgendwie ein schöpferisches „Nichts“, aus dem dann die verschiedenen Götter entstehen.
Zunächst entstehen aus dem Chaos Eros, die Liebe, aber auch „Nacht“