Steine brennen nicht. Klaus D. Biedermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus D. Biedermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783937883526
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      In einem anderen Teil der Welt, mehrere tausend Meilen weiter östlich, erwachte Nikita Ferrer aus einem kurzen Schlaf. Seitdem man die Wachpillen an jedem Straßenkiosk kaufen konnte, schlief sie manchmal nur noch zwei bis drei Stunden, meist traumlos. Wenn sie einmal träumte, war das so intensiv, dass sie nach dem Aufwachen eine Zeitlang brauchte, um in die Realität zurückzukehren. Es war meist der gleiche Traum und sie konnte absolut nichts damit anfangen.

      Mit dem Aussprechen des Wortes »Frühstück« setzte sie eine leise und genau aufeinander abgestimmte Küchenmaschinerie in Gang. Jetzt hatte sie Zeit, sich frisch und für einen langen Arbeitstag fit zu machen. Sie räkelte sich und genoss noch für einen kurzen Augenblick die Wärme ihres Bettes. Vor 19 Uhr würde sie wieder nicht aus dem Bunker kommen, wie sie insgeheim die Firma nannte. Sie hatte sich schon oft gefragt, wie die Menschen es früher wohl geschafft hatten, all diese zeitraubenden Verrichtungen wie die Zubereitung eines Frühstücks oder die einer anderen Mahlzeit zu erledigen. Dann noch zu arbeiten und Zeit für Hobbys zu haben, erschien ihr nahezu unmöglich. Kein Wunder, dass es damals soweit kommen musste. Inzwischen schrieb man das Jahr 2866, jetzt war alles in Ordnung und sie war stolz darauf. Vieles, allem voran ihre Stadt, musste damals wieder aufgebaut werden. Und es wurde schöner als je zuvor.

      Nikitas Welt hatte sich technisch so weit entwickelt, dass das Leben äußerst angenehm war. Es war praktisch für alles gesorgt. Den Haushalt und vieles mehr erledigten Computer und geschickte Roboter.

      Die Forschung hatte neben den inzwischen genetisch perfekten Lebensmitteln auch die synthetische Nahrung weiterentwickelt, die schon früher in der Raumfahrt Verwendung gefunden hatte.

      Jeder Mensch hatte von Geburt an einen kleinen Chip im Körper, der genauestens berechnete, was gerade an Nährstoffen benötigt wurde. Die Mahlzeiten wurden in computergesteuerten Küchen zubereitet. Der Chip konnte sogar noch mehr.

      Über ihn, ein Mini-Genlabor, war man mit der nächsten Klinik verbunden. Ständig wurden alle Körperdaten überprüft und man wurde informiert, wenn etwas nicht stimmte. Inzwischen waren auch die meisten Organe austauschbar, wenn sie verbraucht waren - und zwar aus der eigenen Organbank.

      Die Geburtenkontrolle, die durch die enorm erhöhte Lebenserwartung nötig geworden war, wurde strikt eingehalten. Die Kleidung, die die Menschen in diesem Teil der Erde trugen, war meist synthetisch. Im Laufe der letzten Jahrhunderte hatten sich die Allergien so weit verbreitet, dass jeder peinlich darauf achtete, weder mit Staub noch anderem Schmutz in Berührung zu kommen.

      Die politische Landschaft war übersichtlich geworden. Es gab eine Senatsregierung, die von einem Präsidenten angeführt wurde. Als Modell hierfür hatte die Staatsform des antiken Roms gedient. Der Präsident wurde alle drei Jahre direkt vom Senat ernannt und er bestimmte dann seinen Stellvertreter. Die Senatoren wurden vom Volk gewählt. Das Staatsoberhaupt, das seit acht Jahren diesen Teil Welt regierte, hieß Dean Wizemann.

      Kirchliche Institutionen gab es schon lange nicht mehr. Sie waren durch die letzten Glaubenskriege aufgerieben und ihre Priester in den Untergrund getrieben worden.

      Zur anderen Hälfte der Welt bestand kein Kontakt, so wie es damals durch den Ewigen Vertrag besiegelt worden war. Im Bewusstsein der Menschen hier existierte eine andere Welt, wenn überhaupt, nur noch am Rande. Man kümmerte sich einfach nicht darum, wohl auch, weil sie so weit entfernt war.

      Nikita hatte zu Beginn ihres Studiums einige Vorlesungen in Geschichte besucht. Daher wusste sie etwas mehr über diese längst vergangenen Zeiten und den Ewigen Vertrag, wenn es ihr auch schwer fiel nachzuvollziehen, wie es dazu kommen konnte. Fasziniert hatte sie die logistische Meisterleistung der Menschen der damaligen Zeit. Durch die Teilung der Erde war eine unvorstellbare Umsiedelungsaktion nötig geworden.

      Immerhin hatte man nur ein Jahr Zeit sich zu entscheiden, in welchem Teil der Welt man leben wollte. Diese Entscheidung war nicht mehr rückgängig zu machen. Es hatte zwar immer Völkerwanderungen gegeben, aber diese war sicherlich die größte gewesen. Nikita war wirklich froh, in ihrer Zeit zu leben.

      Nach einer heißen Dusche kleidete sie sich an, wie meist ganz in Schwarz, und setzte sich an den kleinen Tisch in der Küche.

      Während sie ihren heißen Kaffee trank, schweiften ihre Gedanken noch einmal zum gestrigen Abend, den sie im Kreis von Kollegen in Tonys Bar verbracht hatte. Die Gespräche hatten sich wieder einmal ausschließlich um die Firma gedreht, was kein Wunder war, denn Tonys Bar lag fast um die Ecke.

      Dr. Will Manders, ein Kollege aus einer anderen Abteilung, spekulierte auf den frei gewordenen Posten eines Abteilungsleiters und gab den ganzen Abend über damit an, warum er für diesen Job die beste Wahl sei. Sein Fleiß und seine Forschungsergebnisse konnten an oberster Stelle einfach nicht übersehen werden, meinte er selbstsicher. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er vor allem wegen ihr so angegeben hatte. Das war wahrscheinlich etwas, was sich nie ändern würde, dachte sie bei sich. Selbst intelligente Männer mussten wohl einer ebenbürtigen Frau zeigen, dass sie besser waren. Komisch fand sie, dass diese Männer scheinbar nicht merkten, dass sie sich gerade dadurch kleiner machten, als sie waren.

      Dabei war Will eigentlich ein ganz netter Kerl, der auch noch gut aussah. Erst vor zwei Tagen hatte ihre beste Freundin, Chalsea Cromway, sie wieder einmal auf Will angesprochen: »Nick«, hatte sie gesagt, »ich verstehe dich einfach nicht, wie du ohne Kerl leben kannst. Immer nur arbeiten kann doch nicht gesund sein. Schau dich an, du bist jung, du siehst gut aus und die Männer fliegen auf dich. Will ganz besonders, das sieht ein Blinder im Dunkeln. Vergiss Jan endlich! Eure Trennung ist über ein Jahr her und besonders gut behandelt hat er dich vorher auch nicht immer, wenn du mich fragst.«

      »Ich frage dich aber nicht«, hatte Nikita schnippisch geantwortet, denn sie mochte es nicht, an einem wunden Punkt berührt zu werden und die Trennung von Jan, ihrer Studentenliebe, war ein wunder Punkt. Sie wusste selbst, dass sie ihren Teil dazu beigetragen hatte. Oft genug hatte Jan sich beschwert, dass sie zu wenig Zeit miteinander verbrachten, seitdem sie bei BOSST arbeitete. Jan schien zu übersehen, dass sie keine Studentin mehr war, sondern einen Beruf hatte, der besonders zu Beginn ihre Zeit mehr beanspruchte, als ihr selbst oft lieb war. Wenn sie dann abends geschafft war von der Arbeit, traf sie sich manchmal dennoch mit ihm, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte.

      Dass diese Abende nicht das sein konnten, was sich beide wünschten, war ihr im Nachhinein auch klar geworden. Insgeheim warf sie ihm außerdem vor, nicht an einer Karriere zu arbeiten, so wie sie es tat. Ihm schien die Assistentenstelle als Arzt in der städtischen Klinik zu genügen.

      Nikita gehörte mit 27 Jahren zu den jüngsten Bewohnern im Donald-Crusst-Tower, dem mit seinen 900 Metern höchsten Gebäude der Stadt. Normalerweise konnten es sich Leute ihres Alters nicht leisten, in diesem Gebäude, das den Namen des ersten Präsidenten der neuen Weltordnung trug, zu wohnen.

      Der Tower aber war Eigentum der Firma. Mitarbeitern, von denen man sich viel versprach, wurden hier Wohnungen zu äußerst günstigen Preisen vermietet. Es war also ein Privileg, hier zu wohnen. In den 20 unteren Stockwerken, wie auch in mehreren Etagen des mittleren Bereiches, hatten sich die teuersten Geschäfte der Stadt angesiedelt. Es gab außerdem Arztpraxen, Wellnesszentren, Fitnessparks, Cafés und Restaurants und viele Firmen hatten hier einen Geschäftssitz. Alleine die Tiefgaragen des Towers reichten 300 Meter unter die Erde.

      Nach dem Frühstück, das neben dem schwarzen Kaffe, ihrer Absage an alle Gesundheitsapostel, aus einem nährstoffreichen Brei und einer mit einer grünen Paste bestrichenen Scheibe Vollkornbrot bestand, setzte Nikita ihre neue Multifunktionsbrille auf und verließ ihr Apartment. Die Brille war das erste Projekt, an dem sie mitgearbeitet hatte, leider nicht am Design. Sie stand ihr nicht, wie sie fand, aber ihr Chef hatte wegen der vielen hilfreichen Funktionen darauf bestanden, dass sie sie trug. Wenn nicht dieser breite Steg am oberen Rand gewesen wäre, hätte sie ausgesehen wie eine ganz normale Sonnenbrille. Professor Rhin war besonders stolz auf seine neueste Entwicklung. Sie brachte dem Unternehmen schon jetzt viel Geld ein, was natürlich auch den anderen Forschungsprojekten zugute kam.

      Sie betrat die Parkbox neben ihrer Wohnung im 80. Stockwerk, orderte über ein Mikrofon ihren Wagen und wartete. Eine Minute später