Steine brennen nicht. Klaus D. Biedermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus D. Biedermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783937883526
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die mächtigen Sauerstoffproduzenten, großen Agrarflächen weichen.

      Die Erde wehrte sich wie ein erwachender Riese durch verheerende Beben apokalyptischen Ausmaßes gegen die Ausbeutung. Durch die Entnahme der riesigen Ölvorkommen und anderer Bodenschätze waren gigantische Hohlräume im Erdinneren entstanden, was zu Verschiebungen der Erdplatten führte. Jahrelange Atombombenversuche unter dem Meeresspiegel und im Erdinneren hatten zusätzlich dazu beigetragen.

      Das alles hatte die Verschiebung der Erdachse um mehr als 20 Grad zur Folge. Dies wiederum zog weltweite Folgekatastrophen wie Orkane, Feuersbrünste, Überschwemmungen und Erdrutsche nach sich.

      Die Mächtigen hatten diesen Planeten wie eine tote Masse behandelt, mit der man ungestraft machen konnte, was man wollte, und nicht wie einen lebendigen Organismus, so wie es die Naturvölker beispielsweise taten. Man hätte von ihnen lernen können. Jetzt erhielt man seine Lektion.

      Mit Hilfe von Selbstmordkommandos war es schließlich gelungen, viele der neu entwickelten Bomben fast zeitgleich im damaligen China, Russland, in Europa, Asien und den USA in deren Nervenzentren zu zünden. Die Aktion wurde nicht zu dem Erfolg, den man sich gewünscht hatte, denn sie kostete wesentlich mehr Menschenleben, als beabsichtigt war. Die wichtigen Zentren waren zerstört.

      Mit Bomben aber wurde noch nie Gerechtigkeit geschaffen, was man hätte wissen können, aber wohl übersehen hatte. Die Erde hatte nun Zeit, sich zu erholen, und die Überlebenden teilten und ordneten mit einem Ewigen Vertrag eine neue Welt, in der es jedem möglich sein sollte, nach seinen Vorstellungen in Frieden zu leben.

      Kapitel 1

      700 Jahre später, an einem Julimorgen des Jahres 2866, schickte die Sonne ihre ersten Strahlen fast waagerecht in den Wald von Elaine. Tau glitzerte, wie Diamanten an fein gewobenen Spinnennetzen aufgezogen, geheimnisvoll durch zarte Nebelschleier. Noch verschlafen zwitscherten die ersten Singvögel des großen Waldes, dessen älteste Bäume seit mehr als tausend Jahren hier wurzelten. Manche von ihnen waren hoch und stark wie Wehrtürme und so dicht belaubt, dass die Sonne nur in den Mittagsstunden bis zur Erde reichte. Riesige Farne, dichtes Unterholz und knorrige Baumhöhlen boten manchem Leben Schutz. Hin und wieder machten die Bäume einer Lichtung Platz, auf der ein kleiner See träumte - manchmal hinter hohem Schilf versteckt, auch ein idealer Platz für die Kinderstube der Wasservögel. Jetzt zogen sich die Wesen der Nacht zurück, manche satt von reichem Beutezug. Auch einige Baumelfen und Erdkobolde, verspätete Heimkehrer eines sommerlichen Waldfestes, huschten im Licht des anbrechenden Tages in ihre Behausungen.

      Effel brauchte seine ganze Aufmerksamkeit, um nicht über eine der zahlreichen Wurzeln oder über Äste zu stolpern. Deswegen hatte er auch keinen Blick für die zierlichen Elfen in ihren Spinnwebkleidern oder die Kobolde mit ihren lustigen Kopfbedeckungen. Er hatte nämlich die Fähigkeit, sie zu sehen.

      Die Nacht hatte er in einer mächtigen, hohlen Eiche verbracht. Das trockene Laub, das der Wind in ihrem Inneren gesammelt hatte, bot ihm ein weiches und warmes Ruhelager. Er war allerdings so müde gewesen, dass er auch auf unbequemerer Bettstatt geschlafen hätte, und er liebte es, in freier Natur zu übernachten. In der ersten Nacht seiner Reise hatte er, kaum dass er sich niedergelegt hatte, wie in tiefer Ohnmacht geschlafen und sehr lebhaft geträumt. So brauchte er jetzt etwas Zeit, in die Wirklichkeit zurückzufinden.

      »Kein Wunder«, dachte er. Es war auch viel geschehen in den letzten Wochen seit Verkündung der schlimmen Nachrichten. Er musste Vorbereitungen treffen und dann hatte er seinen Rucksack mit allem Nötigen gepackt. Der Abschied von seiner Familie und seinen Freunden hatte sich lange hingezogen. Soko, dem Schmied, war sogar das Feuer fast ausgegangen, was ihm selten passiert war. Alle Dorfbewohner hatten sich auf dem Platz versammelt, um ihm Lebewohl zu sagen.

      Und dann, zum Schluss, Saskia.

      Er war noch eine Weile auf dem weichen Lager der Baumhöhle liegen geblieben und hatte der Dämmerung zugeschaut, die dort draußen einen neuen Tag ankündigte. Neben ihm trottete ein großer, struppiger Hund, der seinem Herrchen, wie es ja öfter vorkommt, ein wenig ähnlich sah.

      Sam, ein Wolfshund, hatte noch gestern das Vielfache der Wegstrecke zurückgelegt, denn die Wildspuren waren einfach zu verlockend gewesen. Die Freude, mit von der Partie zu sein, hatte dem treuen Begleiter unsichtbare Flügel verliehen. Jetzt aber sagte ihm sein sicherer Instinkt, dass es sinnvoll sein würde, sich die Kräfte einzuteilen.

      Sein ganzes Leben lang, jedenfalls soweit er sich erinnern konnte, hatte Effel auf eine solche Gelegenheit gewartet: Unterwegs zu sein und Abenteuer zu erleben. Sein Großvater hatte mehr als einmal zu ihm gesagt: »Ein Mann muss hinaus in die Welt um seinen Horizont zu erweitern. Er sollte wissen, wie andere Menschen leben und woran sie glauben. Vor allem, woran sie glauben. Fast alle Kriege vergangener Zeiten waren nämlich Glaubenskriege oder basierten auf Vorurteilen. Am besten ist, man lebt einige Zeit in der Fremde, dann wird man andere Menschen viel eher respektieren. Denn was man kennt und schätzen gelernt hat, wird man nicht bekämpfen wollen. Vorurteile sind immer auch ein Zeichen für einen Mangel an Vernunft.«

      Er erzählte gerne und oft von seinen langen Reisen und konnte beschreiben wie kein anderer. Mit einer ruhigen, sonoren Stimme nahm er seine Zuhörer mit in fremde Welten, sodass sie nachher das Gefühl hatten, selbst dort gewesen zu sein. Er schloss aber stets mit dem Hinweis, dass es nicht ausreiche, seine Geschichten zu hören, sondern dass es wichtig sei, eigene Erfahrungen zu machen.

      Vor zwei Monaten hatte Effel seinen 29sten Geburtstag gefeiert. Jetzt war er unterwegs, aber von solch einer Mission hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht geträumt. Er spürte die Verantwortung auf seinen breiten Schultern. Andererseits liebte er Herausforderungen und Optimismus war eine seiner Stärken.

      Die beiden kamen aus dem Wald heraus. Die Sonne wärmte schon die taufrische Erde, denn Wolken feinen Dampfes standen in den Furchen der Felder, dort wo die Ernte noch niedrig stand. Hier musste es in der letzten Nacht geregnet haben. Zur Linken dehnte sich das Ackerland über mehrere Hügelketten aus. Der Wald erstreckte sich nun zur rechten Seite. Der Weg, auf dem sie liefen, diente wohl auch Fuhrwerken, denn tiefe Spurrillen zeugten von schwer beladenen Wagen. Die Regenwolken hatten sich verzogen und es versprach, ein wunderbarer Tag zu werden.

      Auf einem umgestürzten Baum nahe beim Weg gönnte sich Effel eine kleine Pause. Sam ließ sich neben ihn in das noch feuchte Gras plumpsen. Hechelnd blickte er nach oben und schien zu fragen: »Ist es noch weit?« Effel konnte seinem Hund diese stumme Frage nicht beantworten. Seinem Rucksack entnahm er ein Paket, das ihm Saskia eingesteckt hatte. Er musste lächeln, als er merkte, wie liebevoll es verschnürt war.

      »Typisch Saskia«, sagte er zu Sam. Dann wickelte er zwei dick mit Wurst belegte Brote aus.

      »Schau mein Alter, an dich hat sie auch gedacht, hier nimm.«

      Er hielt seinem Hund ein ansehnliches Stück vor die Nase, das dieser vorsichtig nahm und ohne einmal zu kauen verschlang. Während Effel frühstückte, musste er an das denken, was ihm Mindevol, der Dorfälteste von Seringat, beim Abschied gesagt hatte.

      »Niemand kann wissen, wie lange deine Reise dauern wird. Wir alle hoffen, dass du das Ziel erreichst und tust, was zu tun ist. So viel hängt davon ab. Wir sind mit unseren Gedanken bei dir und als Symbol dafür, werden wir das Feuer im Dorfhaus nicht ausgehen lassen. Du wirst sicher manche Schwierigkeit bekommen, aber du wirst auch Helfer haben. Andere Menschen, Tiere und Wesen, die du noch nicht kennst. Vertraue deinen Träumen und deiner Intuition. Beachte auch die kleinen Zeichen. Vielleicht können gerade sie dir helfen, die Mission zu einem guten Ende zu bringen. Besinne dich stets auf das, was du gelernt hast, sei aber auch offen für Neues. Hier durftest du Fehler machen und das war sogar wichtig, denn du hast aus ihnen gelernt. Dort draußen werden dir nicht viele Fehler verziehen werden.«

      In Mindevols anschließender Umarmung hatten Wärme und Kraft gelegen. Der Dorfälteste hätte weder einen weißen Bart noch weiße Haare haben müssen, seine Weisheit leuchtete aus den braunen Augen. Es tat Effel gut, sich daran zu erinnern. Während er fertig aß, schleckte der durstige Sam den restlichen Tau von den Gräsern. Die Sonne stieg allmählich in einen wolkenlosen Himmel.