»Perchafta, schon oft habe ich von den anderen Welten gehört und nun treffe ich dich hier. Da ich schon lange nicht mehr an Zufälle glaube, vermute ich, dass ich eine der Welten betreten soll und du mir dabei helfen kannst.«
Sein Bild wurde allmählich klarer.
»Nun, wie gesagt, es ist nur eine unserer vielen Aufgaben, aber da du mich so direkt danach fragst - ja, ich kann dir helfen, in eine andere Welt zu gelangen, bei der Erfüllung dieser Mission wirst du nicht daran vorbeikommen, schätze ich.«
Mit diesen Worten erhob sich Perchafta und war in Kopfhöhe mit Sam, der immer noch dalag und zuzuhören schien.
»Ganz so einfach, wie du es dir vielleicht vorstellst, wird es allerdings nicht, obwohl du den Schlüssel besitzt.«
»Ich soll den Schlüssel dazu haben? Treibst du Schabernack mit mir, Perchafta?« Sein Staunen stand ihm deutlich im Gesicht.
»Schabernack treibe ich nur mit meinesgleichen. Nein, Effel, dein Entschluss wird zum Schlüssel. Indem du dich zu etwas entschließt, egal zu was, öffnest du dir die erste Tür dorthin, so einfach ist das «, und leiser fügte er hinzu, »und auch so schwierig.«
Aus seiner Rocktasche zog Perchafta ein kleines, kunstvoll geschnitztes Pfeifchen hervor. Er stopfte es sorgfältig und steckte mit einem winzigen Schwefelholz den Tabak langsam in Brand. Nun sog er genießerisch an dem Mundstück. Ein süßer Duft stieg Effel in die Nase.
»Genau wie Malu«, dachte Effel, »sagt etwas und raucht dann erst mal ein Pfeifchen.« Als wenn Perchafta seine Gedanken gelesen hätte, deutete er auf die Tabakspfeife: »Es ist erstklassige Elfenarbeit, du findest nirgendwo eine bessere, das kannst du mir glauben.«
Die Schnitzerei war wirklich schön. Die Pfeife war aus Kirschholz gefertigt und das Mundstück aus Bernstein. Effels Gedanken kreisten um den Schlüssel, den er haben sollte, um seinen Entschluss.
»Nun, was überlegst du?« Perchafta sprach etwas undeutlich, weil er gleichzeitig rauchte. Aus dem Tonfall der Stimme glaubte Effel etwas Drängendes zu hören.
»Das weiß ich selbst nicht genau«, erwiderte er, »vielleicht wäre es gut, wenn ich mehr über diese Anderen Welten wüsste, bevor ich mich auf das Abenteuer einlasse.« Gleichzeitig wunderte sich Effel, wie schnell er es gelernt hatte, Perchaftas Stimme zu verstehen.
»Das weiß niemand, der diese Welten betritt, denn es gibt keine Karten davon, und wenn, könntest du nichts damit anfangen, denn eine Karte ist nie die Landschaft, die sie versucht darzustellen.
Außerdem können sich Landschaften verändern, Karten aber nicht. Dir bleibt also nichts anderes übrig, als selbst nachzusehen und dir dein eigenes Bild zu machen.«
Es war zum Verzweifeln, aus diesem Krull war anscheinend nicht viel herauszubekommen. Was Effel da noch nicht wusste war, dass die Krulls zu den weisesten Geschöpfen auf dieser Erde gehören. Solche Leute sagen nie viel und vor allem nicht das, was man von ihnen erwartet.
»Eines kann ich dir versichern«, fuhr Perchafta fort, »wenn du einmal eine dieser Welten betreten hast, wirst du immer wieder hineingehen wollen und teilweise lange dort bleiben, zumindest wird es dir so vorkommen. Für den guten Ausgang deiner Mission wirst du es tun müssen. Diese Welten, die ihr die »Anderen Welten« nennt, haben ihre eigenen Dimensionen.
Das Einzige, was ich für dich tun kann und darf, ist, dich auf dem Weg zu begleiten.«
»Wenn du mitgehst, ist es für mich bestimmt viel einfacher.« Effel war begeistert, er wäre nicht alleine und er hätte Hilfe. Das konnte er jetzt schon ahnen.
»Halt, nicht so stürmisch«, wurde er gleich gebremst, »meine Hilfe wird ausschließlich die Begleitung sein, anders, als du es erwartest, aber nicht ganz unwesentlich, wie du noch bemerken wirst.« Perchafta stopfte sein Pfeifchen mit einem winzigen Stein.
»Es genügt mir vollkommen, wenn du bei mir bist«, beeilte sich Effel zu versichern. Ein wenig peinlich war es ihm, dass er scheinbar nicht kapierte, was der Krull meinte.
»Gut, dann komme morgen wieder hierher, genau an diese Stelle.«
»Warum erst morgen und nicht sofort?« Effel fühlte sich nun sehr bereit.
»Wichtige Entscheidungen sollte man immer erst einmal überschlafen, Effel, schreibe dir das in dein Tagebuch, wenn du eines hast.« Dabei lachten seine Augen.
»Außerdem habe ich noch einige Besorgungen zu machen. Schlaf gut, denn es ist wichtig, dass du deine Reise ausgeruht antrittst.«
Perchafta war verschwunden, wie ein Blatt, das der Wind wegweht. Die Geräusche des Waldes wurden wieder deutlicher und die Konturen klarer.
Schlagartig wurde es Effel bewusst, wie lange die Begegnung mit Perchafta gedauert hatte, denn die Sonne schickte ihre letzten Strahlen für den heutigen Tag auf die Wipfel der Bäume.
»Komisch«, dachte er, »wo ist die Zeit bloß geblieben?«
Es würde jetzt bald dunkel werden. Deswegen war es an der Zeit, sich nach einer Bleibe für die Nacht umzuschauen. Ein Dorf war weit und breit nicht in der Nähe, das wusste er.
Gegessen hatte er heute auch noch nicht viel, das Abendessen würde wohl ausfallen. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn er fand ganz in der Nähe einen geeigneten Platz unter einer mächtigen Ulme. Im nahen Bach wusch er sich und trank von dem klaren Wasser. Er war müde und hatte schnell sein Nachtlager bereitet. Dazu rollte er sein Schlaffell, in das er hinein kriechen konnte, auf dem weichen Waldboden aus. Aus dem Rucksack nahm er die Daunenjacke, die ihm als Kopfpolster diente, streichelte Sam noch einmal und war bald eingeschlummert.
Von gut schlafen konnte in dieser Nacht keine Rede sein.
Effels Traum war sehr lebhaft. Er träumte von Krulls, die einen roten Teppich ausrollten, um ihn in eine mysteriöse Welt zu locken. Alle rauchten schrecklich stinkende Pfeifen, die nichts anderes bezwecken sollten, als Effel zu betäuben, ihm seinen klaren Verstand zu rauben, ihm das Gefühl für die Realität zu nehmen. Und andauernd flüsterte ihm jemand ins Ohr, er müsse nur Vertrauen haben, alles andere käme dann von selbst. Als er hinschaute, war es sein kleiner Sam, der das sagte. Gleichzeitig hörte er sich aussprechen: »He, Sam, was machst du in meinem Traum?«
Fast im gleichen Moment verwandelte sich Sam in Malu, den Gaukler, der auf eine große Trommel schlug. Aus der Trommel kamen große, bunte Schmetterlinge, die alle in Richtung Sonne flogen.
Dann sah er eine Brücke, die über einen tosenden Wildbach führte. Am anderen Ufer war ein Tisch mit den herrlichsten Speisen gedeckt, an dem Krulls, Kobolde und Feen ein Fest feierten. Effel wurde hungrig und wollte gerade hinübergehen, als er einen alten einäugigen Mann am Anfang der Brücke sitzen sah, der ihn zu sich her winkte:
»Die Brücke ist nur für den Rückweg, der Hinweg ist schwieriger «, raunte der Alte ihm zu.
Was für ein Fest dort gefeiert werde, fragte Effel im Traum.
»Sie feiern die Ankunft Effels«, war die Antwort.
»Aber ich bin Effel und ich bin hier«, rief er laut ... und erwachte davon.
Er hatte den Eindruck, der Wald halle nach von seinen letzten Traumworten. Effel schaute aus seinem warmen Schlaffell in einen werdenden Morgen. Neben sich spürte er Sam. Er streckte seine Hand aus und streichelte den Hund, der ihm daraufhin mit seiner rauen Zunge die Hand leckte.
Er hatte sein Nachtlager unweit der Stelle eingerichtet, an der er Perchafta gestern begegnet war. Nun standen neben ihm ein Krug mit Milch, noch warmes, duftendes Brot, ein Stück Käse und zwei dicke, rotbackige Äpfel. Zu hungrig, um sich lange darüber zu wundern, warum die Ameisen sich nicht schon darüber hergemacht hatten, griff er zu und genoss gleichzeitig noch die Wärme seiner Schlafstätte. Dann stand er auf, entledigte sich seiner Kleidung und ging zum Bach, um sich dort zu waschen. Er nahm seine große Trinkmuschel, füllte sie mehrmals mit dem kalten Wasser und goss es sich über seinen Körper.