Das Ja-Gehirn hingegen aktiviert andere Schaltkreise im Gehirn, die eher zu Rezeptivität [= Empfänglichkeit, A.d.Ü.] als zu Reaktivität führen. Wissenschaftler verwenden den Begriff „System sozialen Engagements“ [engl. „social engagement system“, A.d.Ü.], wenn sie sich auf die neuronalen Schaltkreise beziehen, die uns dabei helfen, uns aufrichtig mit anderen zu verbinden – und sogar mit unserer eigenen inneren Erfahrung. Als Folge der Rezeptivität und eines aktiven Systems sozialen Engagements sind wir weitaus besser dazu in der Lage, Herausforderungen auf eine starke, klare und flexible Art und Weise anzugehen. In diesem Gehirnmodus befinden wir uns in einem Zustand des inneren Gleichgewichts und der Harmonie, der es uns erlaubt, neue Informationen aufzunehmen, zu integrieren und von ihnen zu lernen.
Genau diese Einstellung eines Ja-Gehirns wünschen wir uns für unsere Kinder, sodass sie Hürden und neue Erfahrungen nicht als lähmende Hindernisse zu sehen lernen, sondern einfach als Herausforderungen, denen man sich stellen kann, die es zu überwinden und von denen es zu lernen gilt. Wenn Kinder aus der Mentalität eines Ja-Gehirns heraus agieren, sind sie flexibler, offener für Kompromisse und eher dazu bereit, etwas zu riskieren und zu erforschen. Sie sind neugieriger, fantasievoller und weniger darum besorgt, Fehler zu machen. Sie sind desgleichen weniger starr und stur, was sie beziehungsfähiger werden lässt, und anpassungsfähiger sowie resilienter, wenn es gilt, mit Missgeschicken umzugehen. Sie kennen sich selbst und handeln nach einem klaren inneren Kompass, der ihre Entscheidungen bestimmt, genauso wie ihre Art und Weise, andere zu behandeln. Von ihrem Ja-Gehirn geleitet, tun sie mehr, lernen sie mehr und verwirklichen sie mehr. Von einem Standpunkt emotionaler Ausgeglichenheit sagen sie „Ja“ zur Welt, heißen alles willkommen, was das Leben bietet – selbst wenn die Umstände ihnen nicht gefallen.
Unsere Eingangsbotschaft an Sie ist eine spannende: Sie verfügen über die Möglichkeit, dass Ihre Kinder diese Art von Flexibilität, Rezeptivität und Resilienz entwickeln können. Dies ist es, was wir mit geistiger Kraft meinen – Ihren Kindern einen starken Geist zu ermöglichen. Und zwar nicht, indem Sie sie dazu veranlassen, eine Vortragsreihe über Durchhaltevermögen und Neugier zu besuchen, oder indem Sie viele lange, intensive Gespräche unter vier Augen mit ihnen führen. Tatsächlich sind Ihre alltäglichen Interaktionen mit Ihren Kindern alles, was Sie brauchen. Indem Sie einfach die Prinzipien des Ja-Gehirns und die Strategien beachten, die wir Ihnen auf den folgenden Seiten zeigen, können Sie die Zeit, die Sie mit Ihren Kindern verbringen – auf der Fahrt zur Schule, beim Essen, Spielen oder sogar bei Konflikten –, dazu nutzen, um ihre Art und Weise zu beeinflussen, wie sie auf ihre Umgebung reagieren und mit den Menschen in ihrem Umkreis interagieren.
Das liegt daran, dass ein Ja-Gehirn mehr ist als eine bloße Denkweise oder eine Weltsicht. Das ist es mit Bestimmtheit. Und als solches gibt es Ihrem Kind eine innere Richtschnur an die Hand, die ihm oder ihr dabei hilft, den Herausforderungen des Lebens mit Sicherheit und Begeisterung zu begegnen. Es ist die Basis dafür, von innen heraus stark zu sein. Aber ein Ja-Gehirn ist zugleich ein neurologischer Zustand, der sich einstellt, wenn das Gehirn auf bestimmte Art und Weise aktiv ist. Indem Sie ein paar grundlegende Details über die Entwicklung des Gehirns verstehen, können Sie eine Umgebung schaffen, die Gelegenheiten bietet, die ein Ja-Gehirn bei Ihren Kindern unterstützen werden.
Wie wir weiter unten noch ausführen werden, wird ein Ja-Gehirn durch neuronale Aktivität gebildet, die eine besondere Region des Gehirns umfasst, die als präfrontaler Cortex bezeichnet wird, ein Bereich, der viele Regionen miteinander verbindet, für abstraktes Denken zuständig ist und Neugier, Resilienz, Mitgefühl, Einsicht, Aufgeschlossenheit, Problemlösen und sogar das moralische Verhalten begünstigt. Die Kinder können lernen, die Funktionen dieses Teils des Gehirns in zunehmendem Maße abzurufen und ihnen ihre Aufmerksamkeit zu schenken, während sie heranwachsen und sich entwickeln. Mit anderen Worten: Sie können Ihren Kindern vermitteln, wie sie diesen wichtigen neuronalen Bereich aufbauen können, der verschiedene positive Geisteszustände ermöglicht. Auf diese Weise können sie ihre Emotionen und ihren Körper besser regulieren, während sie zugleich besser wahrnehmen, was sie begeistert und antreibt und wie sie mehr im Einklang mit sich selbst sein können. Darum geht es, wenn wir über das Ja-Gehirn sprechen: ein neurologischer Zustand, der Kindern (und Erwachsenen) hilft, sich der Welt mit Offenheit, Resilienz, Empathie und Authentizität zu nähern.
Ein negatives Gehirn indes entsteht weniger aus dem sich vernetzenden präfrontalen Cortex als vielmehr aus einem weniger integrierten Teil des Gehirns, der die Aktivität niederer, primitiverer Hirnregionen umfasst. In diesem negativen Gehirnzustand reagieren wir auf eine Bedrohung oder bereiten uns auf einen bevorstehenden Angriff vor. Daher ist es äußerst reaktiv, defensiv eingestellt und darüber beunruhigt, dass es einen Fehler machen oder Neugier zu irgendeinem Problem führen könnte. Und dieser Zustand kann auch auf Konfrontationskurs gehen, indem er neues Wissen zurückdrängt und Input von anderen abwehrt. Angreifen und Abweisen sind zwei Arten, wie das negative Gehirn mit der Welt interagiert. Die Perspektive des negativen Gehirns auf die Welt ist von Starrsinn, Angst, Wettkampf und Bedrohung geprägt, was es weitaus weniger dazu befähigt, mit schwierigen Situationen umzugehen oder ein klares Verständnis seiner selbst oder der anderen zu erlangen.
Kinder, die sich der Welt in einem negativen Gehirnzustand nähern, sind ihren Lebensumständen und Gefühlen schutzlos ausgeliefert. Sie bleiben in ihren Emotionen stecken und sind nicht in der Lage, sie zu regulieren, sie beklagen sich über ihre Lebensverhältnisse, anstatt gesunde Wege zu finden, um etwas zu verändern. Sie machen sich Sorgen darüber, oftmals in einer obsessiven Art und Weise, etwas Neuem zu begegnen oder einen Fehler zu begehen, anstatt Entscheidungen im offenen und neugierigen Geist eines Ja-Gehirns zu treffen. Starrsinn regiert häufig den Tag im Zustand eines negativen Gehirns.
Erinnert Sie irgendetwas davon an Ihre Situation zu Hause? Wenn Sie Kinder haben, wird es dies wahrscheinlich tun. Die Wahrheit ist, dass wir alle in negative Gehirnzustände geraten – Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Von Zeit zu Zeit rigide und/oder reaktiv zu werden, ist etwas, das wir nicht gänzlich vermeiden können. Doch wir können es verstehen. Und dann können wir Wege ausfindig machen, um unseren Kindern zu helfen, rascher zu einem offenen Gehirnzustand zurückzukehren, wenn sie diesen verlassen haben. Und noch wichtiger: Wir können ihnen die Werkzeuge dazu an die Hand geben, es selbst zu tun. Kleine Kinder werden weitaus häufiger aus einem negativen Gehirnzustand heraus agieren als größere Kinder und Erwachsene. Ein scheinbar allgegenwärtiges negatives Gehirn ist typisch und entwicklungsgemäß für eine Dreijährige – beispielsweise wenn sie voller Wut weint, weil ihre Mundharmonika nass geworden ist, sogar dann, wenn sie selbst es war, die sie in das mit Wasser gefüllte Waschbecken geworfen hat! Aber mit der Zeit und im Laufe der Entwicklung können wir unsere Kinder dabei unterstützen, die Fähigkeit zu entwickeln, sich selbst zu regulieren, sich von Schwierigkeiten nicht unterkriegen zu lassen, ihre eigenen Erfahrungen zu verstehen und auf andere zu achten. Dann wird aus dem Nein mehr und mehr ein Ja.
Denken Sie jetzt einmal darüber nach, nur einen Augenblick lang. Wie würde sich das Leben bei Ihnen zu Hause verändern, wenn Ihre Kinder besser mit den Alltagssituationen – den Konflikten unter Geschwistern, dem Abstellen elektronischer Geräte, dem Befolgen von Regeln, dem Streit um Hausaufgaben, den Kämpfen ums Schlafengehen – zurechtkämen, und zwar mithilfe eines Ja-Gehirns, statt mit einem negativen Gehirn darauf zu reagieren? Was wäre anders,