Die Ironie dieser Geschichte liegt darin, daß moderne Wissenschaftler sich gern auf Galilei berufen, dabei aber vielfach genauso engstirnig sind, wie es dessen Kollegen waren, als das Weltbild, auf das sie sich geeinigt hatten, in Frage gestellt wurde. Wenn man heutige Wissenschaftler auf Phänomene hinweist, die in ihrem auf Übereinkunft beruhenden Weltbild – dem Weltbild der »modernen« Naturwissenschaft – keinen Platz finden, dann sagen auch sie: »Das brauchen wir uns gar nicht anzusehen, denn wir wissen, daß es nicht sein kann.« Man wirft die Leute nicht mehr ins Gefängnis, wenn sie sich gegen die heutigen Autoritäten, die Priester der Wissenschaft, stellen, aber manch einer ist in der Psychiatrie verschwunden oder sonstwie mundtot gemacht worden, und das läuft auf dasselbe hinaus.
Wie dem auch sei, als Galilei die Menschen schließlich davon überzeugt hatte, daß Thomas von Aquins Erklärung der Bewegungen am Himmel falsch war, mußten sie eine neue Erklärung finden. Und siehe da, der berühmte Isaac Newton konnte mit einer aufwarten. Der Mond braucht keine Engel, die ihn um die Erde schieben, sagte er. Wäre er aber ganz auf sich gestellt, ohne Anschub und bremsende Reibung, so würde er sich in gerader Linie von der Erde weg ins All bewegen. Also muß es da eine Kraft geben, die ihn auf seiner Bahn um die Erde hält.
Sein Geniestreich bestand in der Überlegung, daß diese Kraft, die den Mond zur Erde hinzieht, die gleiche sein muß, die einen Apfel oder jeden anderen Gegenstand zur Erde hinzieht. Er nannte die Kraft gravity, »Schwerkraft«. Dann schloß er weiter, daß die Bahn der Planeten um die Sonne berechenbar sei, wenn auch sie durch diese Anziehungskraft, die Schwerkraft, in Sonnennähe gehalten werden. Engel als Planetenschieber? Brauchen wir nicht.
Mit der Entdeckung der Schwerkraft kam ein regelrechtes Fieber auf, weitere »Gesetze der Natur« zu entdecken. Es fiel auch auf, daß Newton bei der Erklärung der Planetenbewegungen ganz ohne Rückgriff auf Geist, Gefühl oder Seele ausgekommen war. Fortan suchte man nach Gesetzen, die alles Weitere, auch das menschliche Verhalten, ebenso erklären konnten.
Schließlich verloren die Menschen nicht nur den Glauben an planetenschiebende Engel, sondern den Glauben an Geister, Korrespondenzen, Resonanzen überhaupt. Und da man an dergleichen nicht mehr glaubte, sah man es auch nicht mehr.
Aus »Wie oben, so auch unten« wurde »Oben ist oben und unten ist unten, und für immer seien sie getrennt«. Und da es bei all dem um Herrschaft ging und das »oben« dabei nur störend wirken konnte, wurde aller Glaube an Höheres schließlich zum »Aberglauben« erklärt. Und Du weißt ja, was »Aberglaube« im heutigen Sprachgebrauch bedeutet: Unsinn.
Newton selbst betrachtete seine Erklärung der Planetenbewegungen eher als Nebensache und widmete sich anschließend bis zu seinem Lebensende der Alchimie – das wird in den Lehrbüchern nicht gerade häufig erwähnt. Er hielt die Alchimie für soviel wichtiger als seine Gravitationstheorie, daß er keines seiner alchimistischen Werke veröffentlichte; er fand, sie seien zu gefährlich für die Öffentlichkeit (das heißt die lesende Öffentlichkeit, und das waren damals nicht sehr viele). Der Veröffentlichung seines Werkes über die Schwerkraft stimmte er dagegen zu, da er es für weniger bedeutend und weniger gefährlich hielt.
Interessanterweise entstand ungefähr in dieser Zeit auch der Begriff des Wahnsinns: Wahnsinn ist das Sehen von Entsprechungen, die nach allgemeiner Auffassung nicht existieren. Wer wahnsinnig ist, hat »den Verstand verloren«, und dieser treibt sich dann irgendwo außerhalb herum, reicht über die Grenze des Körpers hinaus bis zu den Dingen hin, so daß keine Trennung mehr besteht. In anderen Kulturen gab und gibt es einen sehr sinnvollen Platz für das, was wir Wahnsinn nennen. Seltsames Verhalten, »Halluzinationen«, werden häufig als ein Zeichen der sich entwickelnden spirituellen und schamanischen Kraft betrachtet. Aber in der Zeit, von der wir gerade sprechen, ging es nur darum, sich eine bequeme Deutung unkonventioneller Verhaltensweisen zurechtzulegen, damit man Visionäre oder Stimmen hörende Menschen einsperren konnte – diejenigen also, deren Erfahrung nicht in die neue pragmatische und herrschaftsorientierte Philosophie hineinpaßte. Auch Newton sagen einige Wissenschaftshistoriker nach, er sei gegen Ende seines Lebens wahnsinnig geworden oder seine Nerven hätten versagt. Und warum meinen sie das? Weil ihm das Studium der Alchimie wichtiger als alles andere war.
• In diesem Brief, Vanessa, ging es mir darum zu zeigen, wie eine Handvoll Europäer, jeder für sich und doch gemeinsam, ein Denken vorantrieben, das Geist, Bewußtsein und Gefühl aus dem Universum verbannte. Das ist nun unser Universum geworden, die moderne Welt. Die Verbannung des Geistes aus der Welt hatte nur zum geringsten Teil direkte wissenschaftliche Beobachtung zur Grundlage. Die Kirche war in dieser Zeit immer noch fast allmächtig – nach wie vor konnte man für ketzerische Ansichten auf der Folterbank oder dem Scheiterhaufen landen. Die Naturwissenschaftler waren fein heraus, denn sie bestritten Geist und Seele ja nicht, sondern hatten ihnen lediglich einen Platz außerhalb der Natur zugewiesen und konnten sich jetzt über diese entseelte Natur hermachen, ohne den Zorn der Kirche fürchten zu müssen.
Kaum zu glauben, wie die radikalen Ideen einiger weniger ganze Kulturen verändern können, wie diese Ideen das widerspiegeln und aussprechen, was untergründig eigentlich schon in Gang ist und dann auch in das Denken der breiten Masse einfließt. Natürlich ließe sich diese Geschichte viel komplexer erzählen, mit mehr Darstellern und Nebenhandlungen. Aber ich habe Dir die wichtigsten Handlungsstränge dargestellt. Und wenn wir sie verknüpfen beziehungsweise in ihrer Verknüpfung sehen, haben wir die Saat der modernen Welt.
Descartes, Galilei und Newton waren hervorragende Köpfe. Versteh mich also nicht falsch: Ich sage nicht, sie wären Dummköpfe gewesen oder hätten aus schlechten Motiven heraus gehandelt. Mit ihrer Klarheit und Verstandeskraft räumten sie überholte Glaubenssätze beiseite, die von nichts als starrem Autoritätsdenken und der Weigerung hinzusehen getragen waren. So konnten sie einer autoritären Kirche, der alle echte Spiritualität längst verlorengegangen war, die Macht nach und nach entreißen.
Nur bahnten sie eben auch einen Weg, der dazu führte, daß die Welt als gänzlich von mechanischen Gesetzen wie dem der Schwerkraft beherrscht angesehen wurde. Die Sphären und Intelligenzen Thomas von Aquins brauchte man nicht mehr, weil Newtons Gesetze für die Erklärung der Planetenbewegungen ausreichten. Und mit diesen alten »vorwissenschaftlichen« Erklärungen erübrigten sich auch die Prinzipien des Sympathiezaubers, der Korrespondenzen zwischen Körper und Natur, des geistigen Heilens und so weiter. Man verwarf sie nicht, weil Newton oder irgendwer bewiesen hätte, daß sie nicht existieren, sondern weil sie in der neuen mechanischen Welt, von der die Wissenschaftler träumten, irgendwie störten.
In dem Jahrhundert nach Newton dehnte man den mechanistischen Gedanken auf sämtliche Bereiche des Lebens aus – Geschichte, Ökonomie, Politik, Gesellschaftstheorie, Psychologie, Biologie, Physik, Medizin, Architektur, Religion und so weiter. Die Menschen glaubten – oder hofften zumindest –, man werde früher oder später für alle Bereiche des menschlichen Lebens Gesetze ähnlich den newtonschen Gesetzen der Schwerkraft entdecken. Dieses Denken beherrscht uns auch heute noch weitgehend.
Das Universum war jetzt kein lebendiger, vollständiger Organismus mehr, sondern wurde ein lebloses Vakuum mit Klumpen lebloser Materie darin. In dem uns erfahrbaren Universum gab es nirgendwo Geist, und in dieser neuen und aufregenden, aber furchtbar verarmten Sicht der Welt bedurfte es auch keines Geistes mehr.
Dem Leiter eines großen deutschen kernphysikalischen Instituts habe ich einmal ein paar Befunde der Präkognitionsforschung geschildert (von denen ich Dir in einem späteren Brief noch erzählen werde). Ich hatte den Eindruck, daß diese Experimente besonders sauber durchgeführt worden waren und verläßliche Resultate erbracht hatten. Im Gespräch mit diesem Wissenschaftler fragte ich mich nun laut, welche Wege die Physik wohl gehen müsse, um auch solche Beobachtungen erfassen zu können. Er war ein freundlicher, netter Mann, der sich auch für Meditation