Im April 1987 kam es in Halifax in Nova Scotia zu einem ungewöhnlichen Naturereignis, als Chögyam Trungpa Rinpoche, der große Lehrer des tibetischen Buddhismus, dort starb. Für ein paar Tage vor und nach seinem Tod trieben riesige Eisblöcke, richtige kleine Eisberge, in den Hafen von Halifax. Sie legten den gesamten Schiffsverkehr lahm, und das will bei der Größe des Hafens – Halifax besitzt den zweitgrößten natürlichen Hafen der Welt – einiges besagen. Dergleichen war seit Menschengedenken noch nie beobachtet worden und ist auch in den Jahren seither nie wieder beobachtet worden. Warum erschienen die Eisberge in dem Augenblick, in dem ein großer Lehrer starb, der sich mit beinahe übermenschlichem Einsatz um die Ansiedlung des Buddhismus im Westen, insbesondere in Nova Scotia, bemüht hatte? Bloßer Zufall? Oder bedeutsame Koinzidenz?
Bis vor ein paar Jahrzehnten haben Wissenschaftler an der Vorstellung festgehalten (sie verlieh ihnen einen gewissen Abglanz des Göttlichen), daß alles, jedes noch so kleine Ereignis, im Prinzip vorhersagbar sei. Sie dachten die erfolgreiche Anwendung der newtonschen Gesetze auf die Planetenbewegungen weiter und meinten, man werde früher oder später alles vorausberechnen können. Sogar heute geben sich viele Wissenschaftler noch dieser Illusion oder Arroganz hin. »Noch wissen wir es nicht …«, raunen sie und betonen das »noch«.
In den letzten zwanzig Jahren haben einige Wissenschaftler jedoch hochkomplexe Systeme wie etwa das Wettergeschehen untersucht und festgestellt, daß solche Systeme prinzipiell, das heißt auch theoretisch, in ihrem Verhalten nicht vorhersehbar sind. Ein so kompliziertes System wie das weltweite Wettergeschehen ist so empfindlich, daß eine winzige Veränderung hier woanders zu einem gewaltigen Wetterumschwung führen kann. Der Entdecker dieses Prinzips spricht hier vom »Schmetterlingseffekt«, um anzudeuten, daß etwas so Bedeutungsloses wie der Flügelschlag eines Schmetterlings in Südamerika einen Orkan über dem Nordatlantik auslösen kann. Natürlich ist das nur ein Bild, das man nicht zu wörtlich nehmen darf, denn zu viele Einflußgrößen spielen hier eine Rolle; aber das Prinzip gilt: Ein sehr kleines Ereignis kann von gewaltigem Einfluß auf ein großes System sein, und dadurch ist dieses System unberechenbar, sogar theoretisch.
Die reale Welt, in der wir leben, folgt einfach nicht den geradlinigen Ursache-Wirkung-Gesetzen, die Wissenschaftler für sie vorsehen. Zu viele Faktoren sind an jeder realen Situation beteiligt, und eine winzige Veränderung irgendwo kann an einer ganz anderen Stelle dramatische Auswirkungen haben.
Betrachten wir zum Beispiel die folgenden Worte José Matsuwas, eines Heilers vom Stamm der Huichol. Bei seinem zweiten Besuch in Kalifornien sagte er:
Letztes Mal, als ich in eurem Land war, haben wir eine Zeremonie gemacht. Ich habe mit meinem Herzen gesungen. Und nach der Zeremonie hat es mächtig geregnet. Ja, wir haben die ganze Nacht gefeiert und uns morgens am Meer gereinigt; dann zogen Wolken auf und ein paar Stunden später goß es in Strömen. Ihr hättet mir früher sagen sollen, daß ihr solche Schwierigkeiten habt. Dann wäre ich früher gekommen und hätte eine Zeremonie gemacht, um die Lage zu ändern.
• Widersprechen solche Aussagen den Gesetzen der Naturwissenschaft? Nein! Und zwar deshalb nicht, weil sie einen bestimmten Augenblick betreffen, ein Jetzt. Die Meteorologen können für einen bestimmten Tag ein paar Anhaltspunkte zum Wetter geben und ungefähr sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es regnen wird, aber wann genau es zu regnen anfängt, wissen sie nicht. Und wenn ein leichtes Flattern in Brasilien sich auf das Wetter über dem Atlantik auswirken kann, ist nicht einzusehen, weshalb ein Ritual, das aus der Erfahrung von Generationen erwächst, nicht in der Lage sein sollte, in Kalifornien Regen fallen zu lassen.
Um die Fülle jedes Augenblicks erleben zu können, müssen wir unsere Erfahrung dieses Augenblicks fühlen. Und da wir diesen Augenblick in unserem Körper erleben, müssen wir zusehen, daß wir Körper und Geist verbinden. Sobald wir den Fluß unserer von Augenblick zu Augenblick sich ändernden Erfahrung wieder spüren, werden wir eine Reichhaltigkeit und Tiefe entdecken, die generationenlang verschüttet war. Wir müssen nur aufhören, unsere Erfahrung in die dünne, gerade Röhre der objektiven Zeit zu pressen, dann werden wir die ganze Breite unserer pulsierenden und vielschichtigen Erfahrung wieder empfinden. Wir werden sehen, daß die reale, gelebte Zeit ihre Rhythmen und Qualitäten und sogar Diskontinuitäten oder Lücken hat. In diesen Lücken der Jetztheit können die Dinge – auf eine fast unheimliche Weise – zusammenfallen oder uns zufallen. Das ist die tiefere Bedeutung dessen, was wir gern »Zu-Fall« nennen, was aber treffender als Koinzidenz bezeichnet ist, weil wir es als bedeutsam empfinden. Wenn wir auf solche Koinzidenzen achten, können sie uns wachrütteln.
Jeder Augenblick unseres Lebens ist eine Koinzidenz, wörtlich ein »Zusammen-Fallen«. In jedem Augenblick fallen die Dinge zusammen, aber die Wissenschaft wird uns nie sagen können, welche Dinge eben jetzt zusammenfallen werden. Und nur jetzt können Resonanzempfindungen, Götter, Dralas Zugang finden.
Was eine Lücke in Deiner Erfahrung entstehen läßt, indem es Dich anhält und zum gegenwärtigen Augenblick zurückholt, kann Dir das Herz öffnen, so daß Du das Lied der Dralas hörst und fühlst. Und dieses Lied folgt häufig der Melodie der bedeutsamen Koinzidenz. Ich werde Dir in einem späteren Brief noch mehr über die bedeutsame Koinzidenz schreiben; einstweilen möchte ich vorschlagen, daß Du in den nächsten Tagen bei Deinen üblichen Beschäftigungen auf Koinzidenzen zu achten versuchst. Du wirst vielleicht überrascht sein, was da alles durch die Lücken in der linearen Zeit aufscheint. Manchmal kann eine Koinzidenz das ganze Leben verändern. Manchmal läßt sie Dich lächeln. Und oftmals hilft sie Dir bei einer anstehenden Entscheidung. Immer jedoch bringen Koinzidenzen Bedeutung und Fülle in Dein Leben, wenn Du sie nicht einfach als »Zufall« abtust. Koinzidenz hilft Dir nämlich, die Verbindung zur lebendigen Welt wiederherzustellen.
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