2.2.1 Was uns Menschen ausmacht
Entwicklungsgeschichtlich können wir feststellen, dass sich das Hirn im Lauf der Evolution den immer neuen Herausforderungen und komplexeren Lebensweisen auch anatomisch angepasst hat: Wie wir aus der modernen Hirnforschung wissen, besteht es aus unterschiedlich alten Abschnitten. Das menschliche Gehirn enthält alle Strukturen vom Reptilienhirn über das Säugetiergehirn bis hin zu jenen Merkmalen, die den Entwicklungssprung zum Menschen mit seiner Fähigkeit, zu reflektieren und sich selbst zu hinterfragen, kennzeichnen.
Eine weitere Besonderheit ist sicherlich die Sprachfertigkeit der Menschen, die dazu beigetragen hat, dass sich differenzierte Sprachen herausgebildet haben und wir trotz deren Unterschieden in der Lage sind, uns zu verständigen. Wir bilden soziale Gemeinschaften, spezialisieren unsere Fähigkeiten, und dank unserer Fantasie sind wir in der Lage, weit über die Grenzen des Möglichen hinaus zu denken und sogar das Unmögliche möglich zu machen. Die entscheidenden Punkte sind unser Bewusstsein »außerhalb der engen Determiniertheit des instinktiven Handelns« sowie die Distanzierung zur Natur, zu der wir außerdem selbst gehören. Wir sind in der Lage, durch unseren Geist eine beobachtende Distanz zu uns selbst herzustellen, uns also selbst zu beobachten, zu analysieren und unser Tun zu reflektieren.
2.3 Kleiner Grundkurs der menschlichen Anatomie und Physiologie
Solange es uns gut geht und wir uns wohlfühlen, machen wir uns selten Gedanken über unseren Körper, aber auch nicht über unsere Psyche und Seele. Erst wenn Beschwerden auftauchen und unser Wohlgefühl gestört wird, beginnen wir zu erahnen, dass das alles gar nicht so selbstverständlich ist, wie wir es normalerweise voraussetzen.
Die gesamte Natur mit ihrer Vielzahl an unterschiedlichen Organismen und Lebensformen ist ein Wunderwerk der Fülle und Vielfalt. Dass dabei alles sinnvoll aufeinander abgestimmt ist und unendlich viele Regelsysteme ineinandergreifen, ist uns selten bewusst. Genauso ist es bei den einzelnen Individuen sowie bei uns Menschen. Ein erwachsener Mensch besteht aus ca. 100 Billionen einzelnen Zellen. 100 Billionen – das ist eine eins mit 14 Nullen dahinter. Würden wir all die winzigen Zellen, die im Durchschnitt nur 1/40 Millimeter groß sind, hintereinander aufreihen, ergäbe dies eine Wegstrecke von 2,5 Millionen Kilometern. Fast alle Zellen unseres Körpers unterliegen einem ständigen Erneuerungsprozess, der je nach Funktion und Gewebeart unterschiedlich schnell abläuft. Jede Sekunde sterben ca. 50 Millionen Zellen und werden durch neue ersetzt. Die Zellen unserer Magenschleimhaut werden zum Beispiel ca. 1 Woche alt, Dünndarmzellen 1–2 Tage, die roten Blutkörperchen 120 Tage und Knochenzellen 10–30 Jahre. Dass all unsere Zellen sinnvolle, praktisch fehlerfreie Strukturen bilden und dieser ständige Erneuerungsprozess von uns unbemerkt und reibungslos abläuft, grenzt an ein Wunder.
Während der Embryonalzeit bilden sich die unterschiedlichen Zellarten aus den Stammzellen, differenzieren sich und tun sich dann zu sinnvollen Zellverbänden zusammen, aus denen die einzelnen Organe entstehen. Damit unsere Organsysteme sinnvoll arbeiten können, ist also eine reibungslose Funktion der einzelnen Zellen notwendig.
2.3.1 Die Zelle – der Grundbaustein aller Lebewesen
Alle Lebewesen sind aus mindestens einer Zelle aufgebaut. Höher entwickelte Lebensformen bestehen aus einer Vielzahl von Zellen. Hinsichtlich ihrer Grundstruktur und ihres Aufbaus ähneln sich die meisten Zellen.
Je höher entwickelt ein Lebewesen ist, desto mehr unterschiedliche Zelltypen finden wir, die sich auf bestimmte Aufgaben spezialisiert haben. Der menschliche Körper ist aus mehreren Hundert Zellarten zusammengesetzt. Gleichartige Zellen mit gleichen Aufgaben arbeiten oft als komplexe Strukturen zusammen, die wir als »Gewebe« bezeichnen. Um nun die höchst vielschichtigen Aufgaben im menschlichen Körper zu erfüllen, wirken unterschiedliche Gewebearten zusammen und bilden Einheiten, die wir »Organe« nennen. Einzelne Organe wiederum organisieren sich weiter zu Organsystemen. Nase, Rachen, Luftröhre und die Lunge mit den Bronchien ergeben zum Beispiel das Atmungssystem. Hochkomplexe lebendige Systeme wie der Mensch sind nur lebensfähig dank dieses intelligenten und sozialen Zusammenwirkens der einzelnen Zellen. Für ihre Arbeit benötigen unsere Zellen neben Sauerstoff, den wir über die Atmung zu uns nehmen, drei grundlegende Stoffe: Kohlenhydrate/Zucker, Fette und Proteine/Eiweiße. Mithilfe von Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen, Enzymen und Botenstoffen ist der Körper in der Lage, all die wichtigen Lebensprozesse zu steuern.
Aufbau der Zelle
Zellkern (Nukleus): Er enthält das Chromatingerüst, das die Erbinformation in Form von DNA beinhaltet, und kontrolliert somit die Struktur und Funktion der Zelle.
Nukleolus: Er ist der Bildungs- und Sammelort der RNS.
Zytoplasma: Flüssige, gelartige Substanz innerhalb der Zellmembran; hier finden sich unterschiedlichste Stoffe wie Ionen, Nährstoffe und Enzyme. Außerdem laufen hier zahlreiche Stoffwechselreaktionen ab.
Mitochondrien: Die Kraftwerke der Zellen; sie dienen der Energiegewinnung.
Endoplasmatisches Retikulum: Gangsystem durch die gesamte Zelle, das eine Erweiterung der Kernmembran darstellt. Die Grundsubstanz ist das glatte Endoplasmatische Retikulum, das für die Fettsäureproduktion, Speicherung von Kalzium und Entgiftung der Zelle zuständig ist. Durch Anlagerung von Ribosomen entsteht das raue Endoplasmatische Retikulum, zu dessen Aufgaben die Protein-Biosynthese zählt.
Ribosomen: Sie erfüllen eine der wichtigsten Funktionen der Zelle – die Protein-Biosynthese – und liegen verstärkt auf der Kernmembran und dem rauen Endoplasmatischen Retikulum.
Golgi-Apparat: Hier werden die vom rauen Endoplasmatischen Retikulum produzierten Proteine und Fette modifiziert, sortiert und durch Vesikel (in der Zelle gelegene Bläschen) in der Zelle verteilt oder ausgeschleust.
Zellmembran: Besteht aus einer Doppelmembran und schließt die Zelle nach außen ab; die Bestandteile sind Proteine und Fette.
Lysosom: Enthält Enzyme, die Fremdstoffe und körpereigene Stoffe abbauen.
Peroxisom: Spielt eine wichtige Rolle bei der Verstoffwechselung von zellulären Abfall- und Zwischenprodukten und ermöglicht die Entgiftung von reaktiven Sauerstoffverbindungen.
2.3.2 Die Symbiose mit den Bakterien
Zusätzlich zu unseren eigenen ca. 50–100 Billionen Zellen lebt jeder von uns in Symbiose mit einer Vielzahl von Bakterien. Dabei übersteigt die Menge der Bakterienzellen bei Weitem die Anzahl unserer eigenen Körperzellen. Grob geschätzt haben die Bakterien ungefähr 150-mal mehr Gene, als wir selbst an menschlichen Genen haben. Der Mensch ist im Prinzip ein Ökosystem; es beheimatet viele verschiedene Bakterien mit unterschiedlichen Aufgaben im Gesamtsystem: Sie spalten unverdauliches Essen auf, bauen Gifte und Medikamente ab, trainieren das Immunsystem und produzieren eine Reihe von unverzichtbaren Stoffen. Dabei hat jeder Mensch seine ureigene Sammlung von Bakterien. Theoretisch wäre es möglich, einen sehr individuellen bakteriellen Fingerabdruck zu nehmen.
Nun stellt sich die Frage, woraus sich dann eigentlich unser »Ich« bildet, wenn wir erst durch so viele körperfremde Zellen als eigenständiger Gesamtorganismus lebensfähig werden und ohne diese Symbiose sofort sterben würden. Hier zeigt sich die unermessliche Intelligenz der Natur und biologischer Systeme: Erst durch Kooperation entsteht die Grundlage für höhere Lebensformen. Gäbe es diese Zusammenschlüsse nicht, die wir überall in der Natur finden, hätte sich das Leben nicht über ein paar primitive Formen hinaus entwickeln können. Wenn wir von der Intelligenz der einzelnen Zellen sprechen, so wie es der Zellbiologe Dr. Bruce Lipton tut, können wir den Menschen und sein »Ich« auch als den intelligenten Zusammenschluss von 50 Billionen einzelnen individuellen Lebensformen betrachten: Die Individuen haben sich zu einem sinnvollen größeren Ganzen zusammengeschlossen.
2.3.3 Die Forschungen von Dr. Bruce Lipton
Der Zellbiologe Bruce Lipton hat bereits vor Jahren das Dogma infrage gestellt, wir würden von unseren Genen bestimmt. Aufgrund