Achtsamkeits - Yoga. Frank Boccio. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Boccio
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813532
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ist die Tradition des Yoga, wenn man an die Bedeutung des Begriffs im Sinne von „Einheit“ denkt, nie sonderlich einheitlich gewesen. Von Anfang an hat es unterschiedliche Schulen und Ansätze gegeben. Selbst Lehrer einer bestimmten Schule vertreten oft unterschiedliche Ansichten und Praktiken. Manchmal widersprechen sich die verschiedenen Lehren sogar. Wenn wir von Yoga sprechen, meinen wir deshalb eine ganze Reihe yogischer Pfade und Anschauungen – ja sogar Ziele, die auf den ersten Blick unterschiedlich erscheinen, obwohl alle davon sprechen, dass ihr Ziel die Befreiung sei. Und das ist auch gut so, denn es gibt ganz unterschiedliche Persönlichkeiten mit vielfältigen Neigungen und in verschiedenen Lebensabschnitten, die sich zur Yoga-Praxis hingezogen fühlen. Buddha selbst soll gesagt haben, dass es 84 000 Dharma-Tore gebe – Praktiken, die zur Befreiung führen.

      Trotz dieser inneren Vielfalt der Yoga-Tradition stimmen alle zumindest in einem Punkt überein: Die Welt ist nicht das, was sie zu sein scheint, und es gibt ein ganz reales Bedürfnis nach „Selbst-Transzendierung“, also danach, die begrenzte menschliche Persönlichkeit mit ihren einschränkenden gewohnheitsmäßigen Handlungsmustern zu überschreiten, um zu der Wahrheit der Wirklichkeit, so wie sie ist, zu erwachen. Es ist also nur der Weg, auf dem diese Transzendierung, dieses Erwachen erreicht und wie er beschrieben wird, der sich in den einzelnen Schulen und Traditionen unterscheidet.

      Innerhalb der weitläufigen Yoga-Tradition, die aus meiner Sicht auch die Lehren Buddhas, der Jainas (wie die Praktizierenden des Jainismus richtig genannt werden) und ihres Begründers, des Weisen Mahavira, sowie die verschiedenen yogischen Ansätze in der Kultur des Hinduismus umfassen, können wir diverse Hauptformen des Yoga erkennen, die sich verbreitet haben: bhakti-Yoga, karma-Yoga, jnana-Yoga, raja-Yoga, mantra-Yoga und tantra-Yoga. Außerdem zählen dazu auch hatha-Yoga, kundalini-Yoga und laya-Yoga, die alle sehr eng miteinander verwandt sind, auch wenn sie immer wieder als unterschiedliche Schulen bezeichnet werden. Alle drei sind vom Tantra-Yoga beeinflusst, von dem sie möglicherweise auch abstammen.

      Bhakti-Yoga wird häufig als Pfad der Verehrung bezeichnet, dessen Anhänger das Transzendent-Absolute in einer persönlichen Gottheit erkennen. Einige Praktizierende folgen dabei einem dualistischen Ansatz und betrachten das Göttliche als das Andere. Wieder andere versuchen, das Selbst mit dem Göttlichen zu vereinen, indem sie die Illusion einer unabhängigen Ich-Persönlichkeit solange auszulöschen versuchen, bis das Göttliche als die einzig existierende Wirklichkeit erkannt wird. Es wird behauptet, dass dies ein Pfad für eher emotional geprägte Menschen sei, dessen hauptsächliche Praxis aus kirtan besteht, der Rezitation von Gesängen, die das Göttliche verehren.

      Karma-Yoga ist der Yoga des Handelns, womit vor allem ein Tun gemeint ist, das einer bestimmten inneren Haltung entspringt – der Haltung der selbstlosen Hingabe –, die wiederum selbst eine geistige Handlung darstellt. („Karma“ bedeutet ganz einfach „Handlung“.) Zu handeln, seine Pflichten zu erfüllen, ohne dabei an einem Resultat festzuhalten, ist die Praxis eines Karma-Yogi. Dieses selbstlose Tun entspricht dem „nicht handelnden Handeln“ des Daoismus und wird von Krishna in der Bhagavad-Gita hoch gerühmt. In einem ganz wirklichen Sinne ist diese geistige „Haltung“ die grundlegende Asana-Praxis der Karma-Yogis.

      Jnana-Yoga ist der Yoga des Wissens, der fast schon zu einem Synonym für Vedanta geworden ist, jene nichtdualistische Hindu-Tradition, in der die Verwirklichung durch die Erkenntnis des Wirklichen gegenüber dem Unwirklichen gesucht wird. Der Geist wird eingesetzt, sagt man in dieser Richtung, um über den Geist hinauszugehen. Ein moderner Vertreter dieser Tradition ist der große Weise Ramana Maharishi, der seinen Schülerinnen und Schülern lehrt, sich beständig zu fragen: „Wer bin ich?“ Diese Technik ähnelt der Koan-Praxis des Rinzai-Zen.

      Raja-Yoga oder königlicher Yoga steht insbesondere für das Yoga-System Patanjalis. Ursprünglich unterschied man damit Patanjalis achtfachen Pfad, der die Meditation betont, vom relativ jüngeren Hatha-Yoga. Über diesen Yoga werde ich an anderer Stelle in diesem Buch mehr sagen.

      Mantra-Yoga nutzt die Kraft des Klangs, um das Bewusstsein zu beeinflussen. Die esoterische Bedeutung von mantra ist „das, was den Geist [vor sich selbst] schützt“, indem die Befreiung durch die Konzentration des Geistes auf eine kraftgeladene Silbe verwirklicht wird. In einem der heiligsten Texte dieser Schule werden sechzehn „Glieder“ der Praxis beschrieben, darunter Hingabe, Haltungen, Meditation und Samadhi. Tantra-Yoga war anfangs eine panindische Bewegung, die als Antwort auf die welt- und lebensverneindenden Tendenzen, die sich in den yogischen Praktiken des Hinduismus und Buddhismus entwickelt hatten, entstanden war. Denn trotz der nichtdualistischen Lehren Buddhas und der Upanischaden hatte die Gewohnheit des dualistischen Denkens zu einer Abwertung dieser Welt gegenüber dem Absoluten geführt. Tantrische Praktizierende fragen sich, warum es, da es in Wahrheit nur eine Wirklichkeit gibt, ein Kampf sein muss, sie zu erkennen? Wieso muss spirituelle Praxis immer in Begriffen des Kampfes formuliert werden? Wieso müssen wir uns von den Freuden des Körpers und der Welt abwenden, um das Absolute zu erkennen?

      Hatha-Yoga hat sich als unabhängige Schule aus dem tantrischen Ansatz entwickelt und konzentriert sich auf die Perfektionierung des Körpers, um das Glücksgefühl der transzendenten Erkenntnis vollständiger genießen zu können. Erleuchtung wird dabei als ein Ereignis aufgefasst, das den gesamten Körper betrifft, weshalb der Hatha-Yoga in seinen Praktiken das Ideal des Tantra ausdrückt: Aus der Fülle der Erkenntnis leben seine Praktizierenden in der Welt und ziehen sich nicht um der Erleuchtung willen aus ihr zurück. Obwohl die psychospirituellen Praktiken von pranayama (Atemkontrolle) und Asanas im Kontext der Erkenntnis des Absoluten gesehen werden müssen, vergessen manche Praktizierende ihr spirituelles Bestreben und verfallen einer ego-getriebenen Praxis. In den Augen mancher Wissenschaftler hat Hatha-Yoga einen schlechten Ruf, weil sich einige seiner Yogis in der Falle der Narzissmus verfangen haben. Leider ist ego-getriebene Praxis eine Falle, in die man nur allzu leicht gehen kann – besonders in unserer körperorientierten Gesellschaft. Der Wert des Hatha-Yoga sollten jedoch nicht unterschätzt werden.

      Viele Hathas

      Im Hatha-Yoga, der beliebtesten Form des Yoga im Westen, spielen die Haltungen, die im Denken vieler Menschen zu einem Synonym für Yoga geworden sind, eine wichtige Rolle. In der esoterischen Bedeutung von „Hatha“ steht ha für die Sonne und tha für den Mond. Hatha ist demnach ein Yoga, der die Kräfte von Sonne und Mond vereinigt – die männlichen und weiblichen Energien, die in uns allen existieren.

      Alle bekannten Yoga-Traditionen, die mit den Haltungen arbeiten, sind eine Form oder ein Stil des Hatha-Yoga. Iyengar-Yoga ist eine Form des Hatha-Yoga, die von der großen Persönlichkeit B. K. S. Iyengars geprägt ist. Power-Yoga, Ashtanga-Yoga, Kripalu-Yoga, Anusara-Yoga, Integraler Yoga, Yoga nach Sivananda und viele andere sind einfach nur unterschiedliche stilistische Ansätze innerhalb des Hatha-Yoga. Eine Form des Hatha-Yoga, die sich nach Buddhas Unterweisungen zur Achtsamkeit richtet, könnte ganz einfach Achtsamkeits-Yoga oder Buddha-Yoga genannt werden.

      Die Praktiken des Hatha-Yoga sind von großem Wert und wurden ausführlich beschrieben. Kurz gesagt wirken die Asanas auf allen Ebenen und in allen Systemen des Körpers; sie stärken ihn und bewirken zugleich eine größere Flexibilität und Leichtigkeit der Bewegung. Asana-Praxis kann den Körper entschlacken und reinigen, die Verdauung und Entsorgung unterstützen, den Hormonhaushalt ins Gleichgewicht bringen und die Nerven beruhigen. Wenn wir die Haltungen zusätzlich mit unserer konzentrierten Aufmerksamkeit verbinden, können tiefe emotionale und geistige Verhaltensweisen erkannt werden, und wir entwickeln Einsicht und Verwandlung unseres Selbst.

      Kapitel eins

      Buddhas Yoga

      Die Indus/Sarasvati-Zivilisation war im Nordwesten des Subkontinents angesiedelt, der das heutige Indien umfasst. Archäologische Funde weisen immer deutlicher darauf hin, dass sie sich bereits um 6500 v. u. Z. entfaltete und zwischen 3100 und 1900 ihre Blütezeit erlebte. Es handelte sich zweifellos um eine komplexe Kultur: Sie war technisch ausgereift, benutzte radgetriebene Karren und Boote, und sie kannte Maße,