Selbstorganisierte Teams führen. Siegfried Kaltenecker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Siegfried Kaltenecker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная деловая литература
Год издания: 0
isbn: 9783969105344
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eine der Projektmanagerinnen in einer Pause: »Dass wir bis heute nur Sch… gemacht haben?«

      Und die Moral von der Geschicht´? Der Mangel an Respekt für das Bisherige verhindert oft eine offene Auseinandersetzung mit der Zukunft. Das provokante Auftreten des Experten hielt die Interaktion auf der persönlichen Ebene – obwohl im Sinne der geplanten Diskussion zu Scrum zweifellos produktive Inhalte zu entdecken gewesen wären.

      Respekt hat indes nicht nur mit der Beziehungs- und Unternehmenskultur zu tun. Es geht auch darum, wie ich mit mir selbst umgehe: beispielsweise mit meiner Work-Life-Balance, mit meinen persönlichen Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, mit meinen emotionalen Bedürfnissen oder mit meinen persönlichen Beziehungen. Das ist ohne Frage leichter gesagt als getan. Wenn ich diese Dinge aber nicht auf meinem individuellen Radarschirm habe, werde ich weder respektvoll noch nachhaltig arbeiten können.

       2.2.4Mut

      Mein Verständnis von Mut inkludiert viele Dinge, die ich in selbstorganisierten Systemen für essenziell erachte. Mutig sein bedeutet für mich in erster Linie, ehrlich mit meinen Kolleginnen und Kollegen umzugehen – in persönlicher Hinsicht, aber ebenso wenn ich über meinen Arbeitsfortschritt berichte.

       Welche Ergebnisse habe ich bislang erzielt?

       Womit schlage ich mich gerade herum?

       Was behindert mein Weiterkommen?

       Wo brauche ich eure Hilfe?

      Statt eine Blackbox zu schaffen und mein eigenes Vorgehen geheim zu halten, tue ich mein Bestes, um alles so zugänglich wie möglich zu machen.

      Auch auf Teamebene braucht es Mut, um die gemeinsame Arbeit regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen – sei es nun der erbrachte Service, das entwickelte Produkt oder der eigene Arbeitsprozess. Darüber hinaus sollten Teams den Mut haben, sich bestimmten Messkriterien zu unterwerfen, um mehr über ihre aktuelle Performance zu lernen. Wie ich noch genauer in Kapitel 4 zeigen werde, schaffen selbstorganisierte Teams vor allem deswegen Transparenz, weil sie zu regelmäßigem Feedback ermutigen wollen.

      Die Fähigkeit, Feedback einzuholen, konstruktiv zu verarbeiten und auch professionell zu geben, ist eines der Herzstücke jedweder Selbstorganisation. Insbesondere das Geben von Feedback hängt vom Mut ab, uns wechselseitig beim Wort zu nehmen und Verbindlichkeit einzufordern. Wenn wir uns als Kolleginnen und Kollegen nicht offen sagen, was wir aneinander schätzen und wo wir uns Veränderung wünschen, wird sich auch nichts verbessern (wie ich in Abschnitt 6.2.3 zum kollegialen Feedback noch genauer zeigen werde). Das erfordert unsere Bereitschaft, Konflikte zu riskieren – und unsere Fähigkeit, diese auch zu lösen.

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      Abb. 2–3Begreifen, wie wir einen Unterschied machen können.

      Wie Abbildung 2–3 suggeriert, ist Verbesserung oft zum Greifen nahe. Wir brauchen allerdings den Mut, energisch zuzupacken. Manchmal ist indes das Gegenteil angesagt: nämlich der Mut, sich zurückzuhalten. Dass Vertrauen davon lebt, sich nicht überall einzumischen, scheint hinlänglich bekannt zu sein. Allerdings ist das im dynamischen Arbeitsalltag mitunter alles andere als leicht. Ältere Kollegen haben Mühe, jüngere Kolleginnen ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen; Fachexpertinnen können kaum zuschauen, wenn Kunden sich mit neuen Anwendungen abmühen; und Managerinnen müssen sich fast die Zunge abbeißen, um gut gemeinte Kommentare zurückzuhalten. Gerade in Sachen Management wird gerne übersehen, dass es eine gehörige Portion Mut braucht, um Führung als Teamsport zu ermöglichen. Schließlich ist dafür persönliche Zurückhaltung ebenso unumgänglich wie das Abgeben hierarchischer Autorität. Vor allem bei neuen, miteinander noch relativ unerfahrenen Teams braucht es ebenso viel Ermutigung wie Gelassenheit. Manager meinen nicht selten, es besser zu wissen. Selbst wenn das in manchen Aspekten so sein sollte, brauchen Teams den Freiraum, um ihre eigenen Erfahrungen machen zu können. Meiner Ansicht nach erfordert es eine besondere Form von Mut, die zuweilen durchaus absehbaren Fehler anderer auszuhalten und sich auch dort nicht einzumischen, wo man glaubt, schützen, beschleunigen oder vereinfachen zu können. Doch erst das Zulassen neuer Steuerungsformen und das gleichzeitige Auslassen gewohnter Führungsroutinen machen solche Erfahrungen und damit echtes Lernen möglich.

      Mir ist klar, dass die von mir gewählten Werte nicht völlig voneinander getrennt existieren. Ähnlich wie bei den noch folgenden Kernkompetenzen und Werkzeugen überlappen sie einander oder sind sogar voneinander abhängig:

       Man kann von Mut nicht sprechen, ohne dass es auch um die Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen geht.

       Man kann sich nicht selbst verpflichten ohne Respekt für den organisatorischen Kontext.

       Einfache Lösungen kann man nur dann entwickeln, wenn man dranbleibt und sich längerfristig commitet.

       Manche Dinge kann man nicht weglassen, ohne eine gewisse Überforderung zu riskieren.

      Zu guter Letzt ist es wichtig, dass diese Werte nicht bloß verkündet werden. Wie ich in Abschnitt 4.3 noch zeigen werde, macht es keinen Sinn, Werte zu proklamieren, ohne zu überprüfen, ob diese tatsächlich handlungsleitend sind. Da diese Werte die Kernkompetenzen und den Einsatz diverser Werkzeuge leiten sollen, ist Konsistenz ein bedeutsames Thema. Kurz gesagt müssen wir prüfen, ob unsere Unternehmenskultur Selbstorganisation unterstützt oder nicht. Was wird tatsächlich am meisten geschätzt? Nach welchen Kriterien werden Entscheidungen getroffen? Wie konsequent wird nach vereinbarten Richtlinien gehandelt? Wie sieht das Verhältnis von Freiraum und Kontrolle aus? Und Ähnliches mehr.

      Mit diesen offenen Fragen möchte ich die Aufmerksamkeit nun auf die zweite Ebene meines Modells verschieben – nämlich auf die vier Kernkompetenzen für eine erfolgreiche Führung selbstorganisierter Teams.

       Zusammenfassung

      Wie lässt sich die Führung selbstorganisierter Teams angemessen erfassen? Kapitel 2 entwirft ein einfaches Modell, das drei Führungsdimensionen verknüpft: Werte, Kernkompetenzen und Werkzeuge.

      Das Bild eines klassischen Schiffssteuerrads bringt diese drei Dimensionen zusammen: Die Nabe des Steuerrads bilden vier Werte, um die sich vier Kernkompetenzen gruppieren, die wiederum von einer Fülle unterschiedlicher Werkzeuge umringt sind. Letztere bilden gleichsam die Griffe des Steuerrads, durch die die Kernkompetenzen in der Praxis wirksam werden. In selbstorganisierten Teams wird dieses Steuerrad jedoch nicht mehr länger von einem privilegierten Kapitän, sondern von der gesamten Schiffsbesatzung bedient. Je nach Wetterlage werden immer wieder andere Leute zu Steuerfrauen und -männern. Schließlich lebt die effektive Führung eines Teams viel weniger von der formellen Position als von