Gutscheine
Im Gegensatz zu sehr viel Zeit hat Khaled wie die meisten seiner Freunde wenig Geld. Doch er ist dankbar für die Leistungen, die er vom Staat bekommt und für die er nichts tun muss bzw. tun darf und stellt fest, dass man in seinem Land Libyen nur für Arbeit Geld bekommt.
Khaled erzählt mir weiter, dass er 170 Euro für Essen und Kleidung und andere persönliche Dinge bekommt und dass er inzwischen 3.000 Euro an seinen Rechtsanwalt gezahlt hat. Diese hat er sich illegal erarbeitet bzw. zum Teil von seinem Onkel, der in Leipzig eine Pension hat, bekommen.
Seit 2011 gibt es in Freiberg für Lebensmittel und Kleidung keine Gutscheine mehr, das heißt, die Asylbewerber können jetzt selbst entscheiden, wo sie einkaufen gehen bzw. was sie mit ihrem Geld machen. Bis dahin waren sie gezwungen, ihre Gutscheine in bestimmten Supermärkten für Grundnahrungsmittel einzulösen. Zuvor war es noch üblich, dass Händler in das Heim kamen und für überteuerte Preise ihre Produkte verkauften. Ich habe mir einmal eine Liste mit Waren des täglichen Bedarfs und den entsprechenden Preisen zeigen lassen und konnte kaum glauben, wie viel mehr als im Supermarkt die Heimbewohner dafür bezahlen mussten. Vor einiger Zeit brachte das MDR-Nachrichtenmagazin „Exakt“ einen Bericht zu dem Thema „Heimbetreiber kassiert offenbar bei Asylbewerbern ab“.
Die Zuschauer erfuhren, was ich von früheren Methoden der Ausländerbehörde in Freiberg längst wusste, dass diese Taktik im Landkreis Leipzig noch gang und gäbe ist. Das Magazin deckte auf, dass der Betreiber eines Asylbewerberheims versucht, gleich doppelt an seiner Kundschaft zu verdienen. Die Recherchen ergaben, „dass der Betreiber des Heims in Threna mehrere Läden besitzt, in denen die Asylbewerber für einfache Grundnahrungsmittel horrende Preise zahlen müssen. Alternativen gibt es nicht, denn die Läden sind nach einem Beschluss des Kreistags die einzige Einkaufsmöglichkeit für die Asylbewerber von gleich drei Heimen im Leipziger Umland.“ Man kann sich ausrechnen, wie viel den Asylbewerbern bei diesem Verteuerungsfaktor von 50 Prozent bei ihnen zur Verfügung stehenden 130 Euro tatsächlich für die eigene Versorgung übrigbleibt. Für mich ist es unverständlich, warum gerade bei den Hilfsbedürftigsten wie den Asylbewerbern die Sucht der Geschäftsleute an einer Bereicherung am größten ist. Vermutlich deshalb, weil ihre Hilf- und Wehrlosigkeit ebenfalls am größten ist. So ergab ein Test eines MDR-Reporters, dass der Einkauf von vergleichbaren Lebensmitteln in einem nahegelegenen Discounter um die Hälfte billiger ausfallen würde. Was soll man von der Antwort der Behörde auf die MDR-Anfrage halten? Der logische Zusammenhang der Begründung für die Vorgehensweise bleibt mir jedenfalls verschlossen.
Khaled kam vor zwei Jahren aus Libyen nach Deutschland und er sagte mir, dass er wie viele andere gekommen ist, weil es in seinem Land keine Freiheit, Demokratie und schlechte Lebensverhältnisse gibt. Aber hier in Deutschland würde er jetzt wie in einem Gefängnis leben, er darf nicht arbeiten, seinen Kreis nur mit einem Urlaubsschein verlassen, den er aber erst beantragen muss, und er darf auch keine Ausbildung machen. Seine einzige Chance ist die Teilnahme an einem Deutschkurs, der aber noch lange keine Garantie für eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland ist. Er will aber trotzdem Deutsch lernen, weil er weiß, dass das sehr wichtig für ihn ist. Ich frage ihn, ob er seine Freundin, die in Wiesbaden lebt, noch hat. „Ja, natürlich“, antwortet er, „und ich will sie auch irgendwann heiraten. Doch ich muss erst lernen, das ist das Wichtigste.“ Leider kommt er sehr unregelmäßig zum Unterricht, bis ich ihn eines Tages beim Italiener an der Ecke treffe und er mir andeutet, dass er zurzeit große gesundheitliche Probleme hat, über die er jetzt aber nicht sprechen könne. Tage später erfahre ich von seiner anstehenden Operation, die aufgrund einer Lungenerkrankung notwendig ist.
Fluchtgründe
Sergej ist aus Russland und seit 21 Monaten in Deutschland. Seitdem lebt er mit dem Status einer Duldung im Asylbewerberheim in Freiberg. Im vorigen Jahr hat er am BSZ die Abschlussprüfung in der Vorbereitungsklasse mit berufsbildenden Aspekten mit der Note „Eins“ bestanden. Er ist sehr intelligent, sprachgewandt und vielseitig interessiert. Eines Tages hat er mir seine Geschichte erzählt.
Er lernte vier Jahre an einem Kolleg in Moskau, um später Informatik studieren zu können. Weil er sich dort mit dem Lehrkörper anlegte, musste er das Bildungsinstitut vorzeitig verlassen, so dass er keinen Abschluss besitzt. Sergej ist ein Mensch, der alles hinterfragt und Missstände aufdecken will. Das wurde ihm zum Verhängnis, als er in seiner Heimatstadt eine Kundgebung organisierte, die sich gegen den korrupten Bürgermeister richtete. Die Polizei verhaftete ihn und er musste zwei Tage im Gefängnis verbringen. Von dort aus gelang ihm die Flucht nach Deutschland, wo er seitdem als Untergetauchter lebt. Doch er hat bisher keine Chance, hier ein normales Leben zu führen, da bis heute sein Asylverfahren läuft. Mit seinem Heimatland und mit seiner Familie hat er abgeschlossen.
Er lebt allein in Deutschland, hat also keine Verwandten hier, die ihm helfen könnten, so dass er auf die Unterstützung fremder Menschen angewiesen ist. Zwei seiner Bezugspersonen sind Herr Z. vom Jugendmigrationsdienst der AWO in Chemnitz und Herr L. vom Café INKA in Freiberg. Da er oft Langeweile hat, besucht er uns manchmal in der Schule und wir laden ihn zu Veranstaltungen außerhalb des Unterrichts ein. Sergej ist ein sehr sparsamer Mensch, der langfristig plant und genau weiß, was er will. Als er noch für den Einkauf von Lebensmitteln Gutscheine bekam, fragte er mich, ob ich für einen Teil davon für meinen Bedarf einkaufen würde. Ich tat ihm den Gefallen, weil ich keinen Nachteil, aber er den Vorteil hatte, zu Bargeld zu kommen, das er u. a. für die Bezahlung seines Passes sparen will. Der Wert eines Gutscheines betrug pro Tag 4,45 Euro, die Sergej aufgrund seiner haushälterischen Lebensweise für sich nicht in Anspruch nehmen muss.
Wenn er sich mit mir unterhält, will er immer auf eventuelle Grammatik- oder Aussprachefehler hingewiesen werden. Ja, er macht mich sogar manchmal auf einen Schreibfehler an der Tafel aufmerksam.
Im November vorigen Jahres erkrankte Sergej an einer schweren Lungenentzündung, so dass er einige Zeit im Krankenhaus verbringen musste. Dort besuchte ich ihn, wo er uns die Odyssee seines Krankheitsverlaufs erzählte. Nach den Weihnachtsferien bekam ich wie alle DaZ-Lehrer in Sachsen vom Ausländerbeauftragten des Freistaates eine Doppel-CD von Sebastian Krumbiegel von den Prinzen mit dem Titel „Ängste und Träume“ geschenkt. Auf dem Cover schreibt der Sänger: „Alle, die in unserem Land ‚Ausländer raus!‘ schreien, wissen nicht, wovon sie reden. Wir sollten den Menschen, die zu uns kommen, zuhören. Sie haben ihre persönlichen Geschichten und machen hier Erfahrungen, aus denen auch wir etwas lernen können.“
Jugendmigrationsdienst
Wöchentlich einmal habe ich Kontakt mit Herrn Mohammad Z., der als Eingliederungsberater des Jugendmigrationsdienstes (JMD) der Arbeiterwohlfahrt Chemnitz die jungen Migranten in Freiberg betreut. Mit ihm arbeite ich seit zwei Jahren eng zusammen und wir haben in dieser Zeit ein sehr gutes Verhältnis aufgebaut. Herr Z. stammt aus Afghanistan und lebt mit seiner Familie seit vielen Jahren in Deutschland. Als engagierter Angestellter des JMD unterstützt er vor allem neu zugewanderte Jugendliche und Erwachsene bei der sprachlichen, schulischen, beruflichen und sozialen Eingliederung. Unsere Zusammenarbeit erstreckt sich hauptsächlich auf die Organisation von Veranstaltungen mit den Migranten nach dem Unterricht. Dazu gehören Kino- und Museumsbesuche, Sportnachmittage und Ausflüge in die nähere Umgebung.
Bei einem unserer Treffen in seinem Büro sagte mir Herr Z., dass die Jugendlichen, die er betreut, nur positiv über mich sprechen. Sie seien sehr dankbar für meine Hilfen bei der Bewältigung der bürokratischen Hürden ihrer Eingliederung, bei ihrer Wohnungssuche, Fahrten zur Ausländerbehörde und vieles mehr. Dafür wolle er mir ausdrücklich Dank sagen. Er machte mich verlegen, aber ich freute mich natürlich über seine Äußerungen und fühlte mich in meiner Arbeit