Aufgeklärtes Heidentum. Andreas Mang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Mang
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Эзотерика
Год издания: 0
isbn: 9783944180564
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diese beiden Vorstellungen noch gut zusammen und widersprechen sich auch in keiner Weise, so wie es Buddhismus und Shintoismus anscheinend in weiten Teilen tun. In der Antike nahm man allerdings noch häufig an religiösen Vereinen1 teil, zu denen auch die Mysterienkulte gehörten und die sich nach dem Zusammenbruch des griechischen Städtesystems bildeten [Kla95]. Die Gotteswelt des Isis-Kultes z. B. paßt überhaupt nicht mit dem römischen Pantheon zusammen, eine gedankliche Kombination ist hier kaum möglich. Aus politischen und ethischen Gründen, wobei die ethischen Gründe auch religiösen Ursprung haben konnten, schritt der römische Senat öfter gegen diesen ägyptischen Kult und andere ein, verbot sie sogar für kurze Zeiträume. Ihre Praktizierung und Ausbreitung verhindern konnte er nicht [Klo06].

      Auch wenn wir jetzt ein wenig dem Kapitel Was ist ein Gott? vorgreifen, die scheinbaren Widersprüche beim Folgen von Religionen mit inkompatiblen Pantheons lösen sich auf, weil im Heidentum in der Regel ganz andere Gottesvorstellungen als in den Monotheismen vorherrschen. Betrachtet man einen Gott als menschliche Beschreibung für etwas schwer Beschreibbares, das dahinter steht, stellt ein anderes Pantheon einfach eine andere Sichtweise auf das dahinterstehende dar. Die Römer nannten es interpretatio Romana = „römische Deutung“, wenn sie Götter aus anderen Kulturen mit ihren identifizierten.

      Die Eigenschaften und „Aufgabengebiete“ von Göttern verschiedener Pantheons sowie deren Beziehungen untereinander verhindern vielleicht, daß man sie in einem Ritual oder Gebet gleichzeitig ansprechen kann – bei verschiedenen Ritualen sich jedoch auf andere Pantheons zu beziehen, stellt für einen Heiden kein Problem dar, auch wenn er gewöhnlich zu einem Pantheon allein steht.

      Jede andere Religion außer der eigenen, die die absolute Wahrheit darstellen soll, für grundfalsch zu halten, ist eine Eigenschaft der abrahamitischen Monotheismen. Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann nennt dies Teil der „Mosaischen Unterscheidung“ und identifiziert ihr Auftreten mit dem Umbruch des Judentums vom Poly- oder Henotheismus zum Monotheismus, siehe [Ass03] oder [Ass07]. Ein allgemein bekanntes Indiz für diese These liefert das erste Gebot im Alten Testament. Dort ist nicht die Rede davon, daß es sich bei „Gott“ um einen verehrungswürdigen Gott handelte oder daß das Anbeten dieses Gottes eine positive Sache sei, dort wird einfach gesagt: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ (2. Mose 20,3). Andere Götter zu haben, sei falsch, beim eigenen Gott liege die Wahrheit, bei allen anderen die Unwahrheit, und das hat direkten Einfluß auf den Wahrheitsgehalt der mit dem Gott oder den Göttern verbundenen Religionen. Heutzutage sehen das zum Glück für andere viele Anhänger der abrahamitischen Religionen weitaus toleranter als in früheren Zeiten. Der Vatikan zum Beispiel bezeichnet die römisch-katholische Kirche (RKK) seit dem 2. Vatikanischen Konzil nicht mehr als alleinige und einzige Quelle der selbst antizipierten Wahrheit, sondern gesteht auch anderen Religionen Teile dieser Wahrheit zu, wenn auch nicht in dem Umfang, wie ihn die RKK besitze [Vat65]. Alle anderen Religionen außer der eigenen für falsch zu halten, schwingt zwar als Grundgedanke immer noch mit, als offensives Argument taucht dieser Gedanke aber meistens nur noch im Fundamentalismus auf.

      Man kann die Gebote allerdings auch als eine Sammlung von Werten und Tugenden sehen, an die man sich hält, wenn man den darin involvierten Gott verehrt. Sie sind dann keine Befehle Gottes, sondern die Verhaltensweisen der Gläubigen, die zur Gottesvorstellung passen. Wer einen monotheistischen Gott verehrt oder an ihn glaubt, hat selbstverständlich keine weiteren Götter, das ergäbe keinen Sinn. Die äußere Form der Gebote lautet dann nicht „du sollst folgendes“, sondern „wenn du an diesen Gott glaubst, dann tust oder unterläßt du folgendes“. Es geht also mehr um Ethik als um Justiz; dazu passen auch die fehlenden Strafmaße im Dekalog [Sch95].

      Selbstverständlich halten auch die Anhänger anderer Religionen als der abrahamitischen ihre eigenen religiösen Ansichten für wahr, sie lehnen die anderer Religionen aber nicht unbedingt kategorisch ab. Ein gutes Beispiel dafür sind die oben schon erwähnten Japaner, die zwei nach westlichen Maßstäben widersprüchliche Religionen haben.

      Viele religiöse Ansichten, insbesondere ethische und solche, die sich auf die Lebensführung beziehen, basieren auf der persönlichen Lebenseinstellung. Die Lebenseinstellung entwickelt sich aufgrund des gesellschaftlichen Umfeldes, der elterlichen Erziehung, persönlichen Erfahrungen und ebenso persönlichen Entscheidungen. Ich denke, es ist offensichtlich, daß eine solche Lebenseinstellung wegen der vielen involvierten Umweltfaktoren sich nicht allgemein naturwissenschaftlich herleiten läßt und ihr somit eine objektive Gültigkeit für alle Menschen abgeht. Eine solche Objektivität muß man aber annehmen beziehungsweise fordern, wenn man eine bestimmte Religion als die allein richtige für alle Menschen hält und propagiert.

      Als Beispiel für eine religiöse Ansicht, die stark mit der Lebenseinstellung korreliert, möchte ich den Umgang mit dem Schicksal nennen. Stoiker z. B. glauben an eine beinahe ultimative Schicksalsabhängigkeit, der man laut Seneca eigentlich nur durch den Freitod entgehen kann [Kla96]. Auch bei vielen Christen, Juden und Moslems kann man einen fortgeschrittenen Fatalismus erkennen, weil sie das Schicksal als Ergebnis der Handlungen und Wünsche eines allmächtigen und allwissenden Gottes halten, an dem man als Mensch keinen Anteil hat. Den Freitod als Alternative akzeptieren diese natürlich nicht.

      Eine gegensätzliche Position besteht darin, ein sich negativ anbahnendes Schicksal zu bekämpfen. Dies ist im germanischen Heidentum oft anzutreffen, weil hier die Götter genauso wie die Menschen im Schicksalsnetz gefangen sind und ebenfalls gegen ein sich schlecht entwickelndes Schicksal ankämpfen, selbst wenn der Kampf aussichtslos sein sollte. Ein gutes Beispiel dafür ist der Ragnarök-Mythos [Jor01]. Obwohl Odin weiß, daß er weder den drohenden Weltuntergang noch seinen Tod abwenden kann, rüstet er gegen dieses Schicksal und versucht, es zu verhindern. Dies kann man als Lehre nehmen, ein sich anbahnendes negatives Schicksal nicht hinzunehmen, sondern dagegen vorzugehen. Nur wenn man es bekämpft, hat man eine Chance, es abzuwenden. Auch im griechischen Heidentum, in dem die Götter im Gegensatz zum germanischen oft Schicksal für die Menschen spielen, sind sie nicht immer vor dem Schicksal selbst gefeit. Der Tod des Sarpedon, eines Sohnes des Zeus, im 16. Gesang der Ilias [Hom09] wird gerne so gedeutet.

      Ein weiterer Fehler, den viele Religiöse, insbesondere Monotheisten, machen, und der ebenso mit einer vorgeblichen Objektivität der eigenen religiösen Texte zusammenhängt, ist zu glauben, die eigene Religion würde erklären, wie die Welt im naturwissenschaftlichen Sinne funktioniert. Sei es nun, seine Schöpfungsgeschichte oder diverse Mythen für historische Tatsachenberichte oder die Evolution aus obskuren Glaubensdogmen heraus für falsch zu halten. Da gibt es Christen, die für die Welt ein Alter von 6000 Jahren annehmen, was zwar angesichts der geologischen, astronomischen und kosmologischen Kenntnisse unsinnig ist, sich so aber mittels des Alten Testamentes ausrechnen läßt, wie es der anglikanische Bischof Ussher getan hat [Uss50].

      Ich sage dagegen: Wer wissen will, wie der Kosmos funktioniert, soll Physik-, Chemie- oder Biologiebücher lesen. Wer eine bildhafte und poetische Beschreibung haben möchte, wie man in der Welt leben sollte, der lese einen Mythos. Und wer mit Leidenschaft spüren will, wie sich die im Mythos geschilderte Welt verhält, der feiere ein religiöses Ritual. Die Religion kann einem sagen, wie er in der Welt leben soll. Das ist etwas, was die Wissenschaft, speziell die Naturwissenschaft, nicht leisten kann. Das hat nichts mit fehlender Wahrheit zu tun, sondern mit Wahrheiten in Bereichen, die der Naturwissenschaft nicht so einfach oder auch gar nicht zugänglich sind, wie zum Beispiel Ethik oder Lebenseinstellungen.

      Ein weiteres gutes und bekanntes Beispiel dafür, welchen Schaden naturwissenschaftlich interpretierte Mythen anrichten können, ist die Ablehnung des heliozentrischen Weltbildes durch die römisch-katholische Kirche. Erst vor kurzem wurde Galileo Galilei diesbezüglich rehabilitiert. Dabei wurde das heliozentrische Weltbild schon im 3. Jhd. v. Chr. von Aristarchos von Samos aufgestellt [Sag82], der vermutlich auch die Möglichkeit des empirischen Nachweises durch stellare Parallaxe2 vorgeschlagen hat, welche allerdings zu klein ist, als daß man sie ohne Ferngläser und nur mit bloßen Auge feststellen könnte. Leider ist von Aristarchos nichts Schriftliches direkt erhalten, man kennt sein Werk nur durch Sekundärliteratur. Vermutungen über seine wissenschaftlichen Experimente, ob vorgeschlagen, geplant oder durchgeführt, sind daher sehr vage. Aristarchos mag auch sehr weit bis unendlich weit entfernte Sterne angenommen haben, was der fehlenden