»Probleme, die wir vermeiden werden«, setzte der Alte noch hinzu.
Obwohl den Anwesenden im Raum mit einem Schlag klar wurde, dass durch eine Trennung von der Bank mehrere hundert Millionen an Investitionen verloren gingen, stimmten alle ohne Ausnahme zu. Nicht einmal die beiden Jungen wagten eine gegenteilige Bemerkung. Genaschenko wirkte zufrieden. Die Verbindung mit dieser Bank in Estland und ihrem selbstherrlichen Besitzer war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Alle wussten das, auch wenn er sich nie darüber geäußert hatte. Nun sah er die anderen missbilligend an.
»Man sieht, ihr hättet meinen Rat befolgen sollen, euer Geld dort abzuziehen oder – so wie ich – am besten gar keine Geschäfte, mit diesem Plut zu machen.«
Es war schlagartig totenstill im Sitzungszimmer. Das Wort, das der Alte verwendet hatte, bedeutete zwar nur so viel wie Gangster, aber es war in ihren Kreisen die Bezeichnung für jemanden, der die eigenen Leute betrog und deshalb als ehrlos galt.
Genaschenko wandte sich zum Gehen, drehte sich bei der Tür jedoch nochmals um.
»Wie dem auch sei«, sagte er in die Stille, »es ist nicht gut, wenn jemand wie dieser Sergej über unsere Aktivitäten Bescheid weiß. Er gehört nicht zum engeren Kreis. Sind wir uns in diesem Punkt einig …?«
»Natürlich«, sagte der am Fenster und alle nickten stumm.
»Wo ist Sergej jetzt?«
»Bei einem Treffen von internationalen Bankern in Wien, wegen der Maßnahmen für Griechenland.«
»Dann wisst ihr, was zu tun ist.«
Damit verließ er grußlos die Kirche.
2
Lena hatte das Verdeck des Cabrios aufgeklappt, die Heizung voll aufgedreht – da es trotz des Frühsommerwetters abends noch ziemlich kühl war – und hörte Phil Collins in voller Lautstärke. Immer wieder lehnte sie sich im Sitz weit zurück in den Fahrtwind und genoss die mediterrane Luft. Erst jetzt, seit sie mit Tom in Meran wohnte, wurde ihr bewusst, wie sehr ihr das südliche Klima in England gefehlt hatte.
Gleich nach dem College in London, ihr Vater arbeitete dort als Delegierter in der dänischen Handelsmission, hatte sie schon einmal vier Jahre in Italien verbracht und am Institut für Medienwissenschaften in Bologna an der ältesten Universität Italiens studiert. Damals sammelte sie auch ihre ersten Erfahrungen bei einem lokalen Fernsehsender und entwickelte ihr Interesse für die politische Berichterstattung.
Und jetzt bin ich wieder zurück, dachte sie, wobei ihr der Sohn ihrer alten Professorin einfiel, der in der Nähe von Bozen eine Berghütte besaß und darauf bestand, dass hier nicht Italien sei. Sie korrigierte sich, murmelte lachend: »Pardon, Südtirol natürlich …« und bog von der Schnellstraße in die Ausfahrt beim Meraner Pferderennplatz ein.
Sie fuhr ein Stück entlang der Passer, dem wilden Nebenfluss der Etsch, und nahm dann die Abzweigung über die Brücke Richtung Gratsch. Es war ihr üblicher Weg, wenn sie aus der Redaktion in Bozen kam. An Tagen, an denen sie Sendung hatte oder eine Produktion in der Endphase war, flitzte sie die Strecke oft zweimal hin und her.
Die Straße führte nach dem Vorort direkt hinauf in die Weinberge zur Kirche San Pietro und zu Toms Haus, das am Hügel darüber in einem kleinen Waldstück lag. Die letzten zehn Minuten durch die engen Spitzkehren zwischen den Weinbergen waren zu Lenas Lieblingsabschnitt geworden, den sie äußerst rasant nahm. Inzwischen gewöhnte sie sich auch an die Macken des alten heckgetriebenen Alfas und ging mit Vorliebe bis an seine Grenzen.
Tom hatte darauf bestanden, ihren geliebten Mini in London zu lassen. Er meinte, für einen Rechtslenker wären die engen italienischen Straßen viel zu unübersichtlich. Also adoptierte sie kurzerhand seinen dunkelroten Spider aus den Siebzigern mit dem weißen Stoffdach. Tom lächelte nur säuerlich, denn die beiden Oldtimer – er besaß noch einen dunkelgrauen 1964er Austin Healey – waren seine geliebten Babys, wagte aber dann doch keinen Protest. Nur manchmal, wenn er sie die Straße hochkommen sah, brummte er etwas vom frevelhaften Umgang mit dem alten Fahrzeug.
Lena hatte erst in der Woche zuvor ihr Motorrad aus dem Winterschlaf geholt und konnte kaum erwarten, es wieder zwischen die Beine zu bekommen.
In England wäre sie schon Anfang April bei den ersten Anzeichen des Frühlings unterwegs gewesen, aber durch die Übersiedlung und den neuen Job blieb es heuer länger eingepackt. Dementsprechend groß war ihre Ungeduld. Nur Tom war über die Verzögerung froh, da er Ängste ausstand, wenn er daran dachte, wie sie die Strecke durch die Weinberge mit der Maschine fahren würde.
Sie musste spontan schmunzeln, denn manchmal kam er ihr wirklich verschroben vor. Trotzdem war sie gleich sicher gewesen, dass es mit ihm funktionieren würde und hatte sich nicht getäuscht. Er nahm die Dinge wesentlich weniger ernst als sie, vergrub sich gerne in seiner Lektüre und strahlte eine Gelassenheit aus, die ihr guttat. Konfliktstoff gab es nur gelegentlich, wenn er etwas anders sah und auf seinem Standpunkt genauso beharrte wie sie.
Nach drei sehr intensiven Monaten und der großen inneren Umstellung von England nach Südtirol ging das Leben nun wieder den gewohnten Gang und Tom brütete über einem neuen Buch. Nachdem er sich als Journalist von dem aktuellen Geschäft zurückgezogen hatte, verbrachte er seine Zeit mit dem Schreiben von politischer Literatur und griff gerne Verschwörungstheorien auf, die er durchleuchtete. Wenn er dabei einer Sache auf die Spur kam, war er nur schwer ansprechbar. Für Lena passte das ausgezeichnet, denn sie brauchte den Freiraum für ihre Ideen und zu viel Beziehung engte sie ein.
Sie nahm die letzte Kehre, sah Tom auf der Terrasse stehen und drosselte das Tempo. Dann ließ sie den Alfa betont gemütlich im zweiten Gang zur Garage hinauftuckern und stellte ihn ab.
Das kleine Anwesen, das er von einem Onkel geerbt hatte, lag umgeben von hohen Bäumen mitten in den Weinbergen. Schon als er ihr die Fotos gezeigt hatte, verliebte sie sich spontan in den Platz und da beide die Nase von London voll hatten, fiel der Entschluss leicht, ganz hierher zu ziehen.
Die Gebäude am Grund, zwei alte ebenerdige Steinhäuser, waren früher ein Wohnhaus und eine Weinpresse mit angrenzendem Lager gewesen. Das Lager war bereits von Toms Onkel zur Garage umgebaut worden und das Presshaus beherbergte jetzt einen offenen Sitzbereich mit einem ausladenden Holztisch. Im Haupthaus, in dem es noch viel zu renovieren gab, bewohnten sie vorläufig die zentrale Küche und einen Schlafraum. Besonders hübsch fand Lena den kleinen quadratischen Turm, der das Wohngebäude seitlich überragte und den Tom als Arbeitsraum nutzte.
Als Lena von der Garage in den gepflasterten Innenhof kam, der zwischen den Häusern lag und zum Abhang hin in einem Vorbau endete, stieg ihr der Geruch von gebratenem Fleisch und Kräutern in die Nase.
»Du hast gekocht?«, fragte sie und bemerkte, dass sie ziemlich hungrig war. Der Tag war lang und der Happen zu Mittag in der Kantine des Senders winzig gewesen.
»Selbstverständlich! Nachdem du angerufen hast, habe ich mich sofort an den Herd gestellt …«, er hob die Augenbrauen und grinste, »und bei der Trattoria neben der Kirche angerufen, um zu bestellen.«
Er ging voraus in die Küche, um das Essen zu holen. Lena lachte und setzte sich an den Tisch in die letzte Abendsonne. Der offene Teil des Hofes lag geschützt zwischen den Häusern und gab den Blick auf Meran und die Rückseite der Ötztaler Alpen frei.
»Herrlich!« Lena schob den Teller in die Mitte des Tisches. Der Lammrücken in Kräuterkruste mit Zucchinigemüse und Bratkartoffeln war ein Gedicht gewesen. »Ich bringe keinen Bissen mehr hinunter.«
Tom räumte den Tisch ab und brachte noch Kaffee. Lena betrachtete ihn dabei von der Seite. Sie mochte seine bedächtige Art. In dem kurzen halben Jahr, das sie jetzt zusammen waren, fühlte sie sich einfach angekommen. Er brachte die fehlende Ruhe in ihr Leben.
Er fuhr sich durch die