Stoner McTavish - Grauer Zauber. Sarah Dreher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sarah Dreher
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Ужасы и Мистика
Год издания: 0
isbn: 9783867548823
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immer mal.« Sie hob ihren Koffer aufs Bett. »Wenigstens brauche ich hier draußen nicht darüber nachzudenken, was ich dagegen tun soll.«

      Das Licht der untergehenden Sonne fiel auf ihre sonnengebräunten Arme und sanften Hände und vergoldete die Spitzen ihrer Wimpern. Stoner verliebte sich in diesem Moment noch einmal von neuem. Sie nahm sie in die Arme. Auf Gwens Haut lag der salzige, verbrannte Geruch des Sommers. »Oh Himmel«, sagte sie rau, »ich liebe dich.«

      Gwen hielt sie ganz fest. »Egal, was passiert, mich wirst du nicht mehr los, höchstens indem du mich wegschickst.«

      »Was ungeheuer wahrscheinlich ist.«

      Gwen fuhr mit den Händen unter Stoners Hemd und ihren nackten Rücken hinauf. »Du bist angespannt. Stimmt irgendwas nicht?«

      »Ich fühl mich ein bisschen seltsam. Vielleicht ist es die Höhe.«

      Die Berührung von Gwens Händen, das Gefühl ihrer Arme erweckte einige schlafende Bedürfnisse wieder zum Leben. Sie streckte die Hand aus, um Gwens Gesicht zu streicheln.

      Ein Energiestoß übertrug sich zwischen ihnen.

      »He!«, sagte Gwen. »Was war das?«

      »Wahrscheinlich statische Elektrizität.«

      Gwen schüttelte den Kopf. »Statische Elektrizität fühlt sich anders an.«

      »Ehrlich gesagt, es erinnert mich an das Gefühl, das ich bekomme, wenn ich plötzlich hochschaue und dich sehe.«

      Gwens Augen wurden ganz dunkel. »Das ist eins der nettesten Dinge, die mir je ein Mensch gesagt hat.«

      Stoner spielte mit Gwens Gürtelschnalle. »Na ja«, sagte sie verlegen, »es stimmt eben.«

      Sie fühlte, wie Gwen ihr Haar berührte. »Lass uns was futtern gehen und dann ganz schnell hierher zurückkommen.«

      »Also ehrlich«, lachte Stoner. »Du bist schamlos.«

      Gwen fing an, Hemden aus ihrem Koffer zu ziehen und sie in die Schubladen der Kommode zu stopfen. »Ich hoffe nur«, sagte sie, »wir können ein bisschen Spaß haben, ohne die gesamte Navajo-Nation davon in Kenntnis zu setzen.«

       Kapitel 3

      Irgendetwas hatte sie mit seinem Ruf geweckt. Sie starrte in die Dunkelheit und lauschte. Noch nie hatte sie eine solche Stille gehört, eine so samtige, absolute Stille. Eigentlich sollten kleine Geräusche zu vernehmen sein – das Scharren von Nachtgeschöpfen, das leise Knacken von Holz, während die Hütte abkühlte, das flatternde Keuchen eines erlöschenden Holzscheits im Kamin.

      Aber da war nichts. Nur Gwens tiefes, langsames Atmen im Schlaf.

      Allmählich konnte sie die verschiedenen Dunkelheiten auseinanderhalten. Undurchdringlich dort, wo das Dach am höchsten war, indigofarben jenseits des Fensters. Die Dunkelheit der Dinge und die Dunkelheit der Räume.

      Der Ruf wiederholte sich. Keine Stimme, aber das Gefühl großer Dringlichkeit.

      Vorsichtig setzte sie sich auf und glitt aus dem Bett.

      Gwen murmelte etwas, gerade jenseits der Grenze zum Erwachen.

      »Ich bin draußen vor der Tür«, flüsterte Stoner, »mach dir keine Sorgen.«

      Sie schlüpfte aus der Baracke und schloss lautlos die Tür hinter sich.

      Der Himmel war übersät mit Sternen, kalte Nadelöhre von Licht in der endlosen Schwärze. Im Westen ruhte das Sternbild der Jungfrau über den San Francisco Mountains. Ein daumennagelgroßer Mondsplitter, blass wie eine Honigmelone, hing zwischen den Tewa-Gipfeln. Der Boden unter ihren Füßen hatte die Hitze des Tages verloren. Der Sonnenaufgang war noch Stunden entfernt.

      Der Energieknoten in ihrer Magengrube schien zu pochen, zu wachsen, im Rhythmus ihres Herzschlags zu pulsieren. Die Stille vibrierte wie eine gezupfte Gitarrensaite.

      Zwischen den Felsen am Fuß der Long Mesa nahm sie plötzlich eine Bewegung wahr. Ein Schatten oder der Schatten eines Schattens. Er bewegte sich, hielt inne, schlich langsam auf sie zu.

      Das Wesen wurde vom Mondlicht erfasst und glänzte silbrig.

      Gegen ihren Willen entfuhr ihr ein Laut, ein scharfes Einatmen. Das Wesen erstarrte. Seine Augen waren flach und rund wie Geldstücke.

      Sie starrten einander lange an.

      Etwas übertrug sich zwischen ihnen. Ein Wissen um etwas. Sie konnte es nicht deuten.

      Das Tier brach die Verbindung zuerst. Ein Kojote, schemenhaft gegen die graue Erde. Er sprang in langen Sätzen davon, ohne Eile. Sein silbernes Fell floss dahin wie Wasser. Er hielt einmal inne, sah zurück und verschwand in der Nacht.

      Hinter ihr quietschte die Tür. »Stoner?« Gwen spähte um den Türrahmen herum.

      »Ich habe etwas gesehen«, sagte Stoner. »Einen Kojoten, glaube ich.«

      »Ich sehe ihn nicht.«

      »Er ist weg. Er hat mich angesehen.«

      »Wunderbar«, sagte Gwen und erschauderte leicht. »Wir haben keine fünf Grad, und du gehst raus, um mit der Natur Zwiesprache zu halten.«

      »Mir ist nicht kalt.«

      »Glaub mir einfach. Es ist kalt.« Sie berührte Stoners Schulter. »Komm zurück ins Bett.«

      »Er hat mich angesehen, Gwen. So als ob er mich kennt.«

      »Von mir aus könnt ihr bei Bier und Brezeln zusammengesessen haben. Komm zurück ins Bett.« Sie schaute hinunter. »Wo sind deine Schuhe? Hast du eine Vorstellung davon, was hier draußen alles rumkrabbeln könnte?«

      »Nein. Du?«

      »Ich will es lieber gar nicht wissen. Mach schon, Stoner. In genau diesem Moment könnte alles Mögliche an deinem Bein hochklettern.«

      Stoner lachte. »Hier draußen ist nichts.«

      »Und hinter was war der Kojote dann her?«

      »Ich glaube«, sagte sie langsam, »dass er hinter mir her war.«

      »Stoner Mc Tavish, wenn du mir hier jetzt ausrastest, nehme ich das nächste Flugzeug zurück nach Boston.«

      Sie folgte Gwen in die Baracke und setzte sich auf die Bettkante. »Bist du jemals irgendwohin gegangen und hattest das Gefühl, du wärst da schon mal gewesen, aber warst es nicht?«

      »Ja«, sagte Gwen, warf ein paar Holzstücke in den Kamin und streute kerosingetränkte Sägespäne aus einer Maxwell-Kaffeedose darüber. »Es heißt Déjà-vu und wird je nach Standpunkt entweder als völlig normales Phänomen angesehen oder als Symptom einer beginnenden Psychose.«

      »So was habe ich gerade da draußen gefühlt. Aber es war mehr als das. Es war, als ob etwas versuchte, mir etwas in Erinnerung zu rufen.«

      »Es ist eine weitverbreitetes Erscheinung, Stoner«, beharrte Gwen. Sie entzündete ein Streichholz und warf es in den Kamin. Ein Auflodern orangefarbenen Lichts erhellte ihr Gesicht. »So weitverbreitet, dass es im Wörterbuch steht.«

      »Ich weiß nicht …«

      »Sieh mal, das hier ist ein seltsamer Ort. Wir könnten ebenso gut auf dem Mond sein. Du bist durcheinander, das ist alles.« Sie legte sich ins Bett und zog Stoner zu sich herunter. »Schlaf ein bisschen. Ehe wir uns versehen, wird die Dämmerung da sein, und irgendetwas sagt mir, dass der Morgen hier wie mit einem Donnerschlag heraufzieht.«

      Stoner kuschelte sich an sie. »Ich habe einfach ein komisches Gefühl.«

      »Du bist Steinbock«, murmelte Gwen. »Alles fühlt sich komisch an für einen Steinbock.«

      Hoch oben auf der Long Mesa beobachtete der Kojote die Fenster der Baracke und wartete auf den Tag.

      ***