Sie ist am liebsten am Wasser, an den Stränden. Wo sie rennt, sich schwingt, fliegt. Sie macht es ganz von selbst und hat die Kontrolle. Ist so beschaffen, dass sie fällt, wenn sie die Kontrolle verliert.
Es regnet dort, wo sie ihre Bergwanderung beginnen. Die kleinen Blätter der Krüppelbirken glitzern überall. Das Heidekraut ist durchgeweicht. Über den Höhenzügen in der Ferne liegt die Welt in blauen und grauen Schichten. Undurchdringlich und weit weg. Sie werden Gummistiefel tragen und im Rucksack Turnschuhe haben, denn Bergwanderstiefel können sie sich nicht leisten.
Als der Mann, der sie zum Wanderweg führen soll, ihr Schuhwerk sieht, meint er, sie hätten ein Problem. Entweder schweißnass in den Gummistiefeln oder in den Turnschuhen nass vom feuchten Heidekraut. Dünne Schlafsäcke und ein Zelt ohne Boden. Aber es ist schon zu spät. Sie müssen jetzt loswandern, meint der Vater.
Nachdem der Bergführer kehrtgemacht hat, ist die Mutter schuld an ihrer schlechten Ausrüstung. Sie hat auf Raten eine Nähmaschine gekauft und noch keinen roten Öre verdient. Und immer muss er bezahlen, sagt er. Er schimpft beim Aufstieg, solange er Atem hat. Keine antwortet. Er bindet Knoten in die Zipfel eines großen Taschentuchs. Das trägt er auf dem Kopf, wie ein Scheich. Ab und zu nimmt er es herunter und wringt Schweiß und Regen heraus. Nach und nach vergisst er das Schimpfen, aber jetzt redet er von allem möglichen anderen. Von wichtigen und unwichtigen Dingen. Wenn man ihm den Ton abdrehen könnte, hätte man Ruhe und könnte den Duft von Birken und feuchtem Heidekraut in sich aufnehmen, man könnte sich darüber freuen, dass die Wolkenschicht aufreißt und dass der Himmel über den Baumwipfeln ziemlich klar aussieht.
Als die erste Steigung hinter ihnen liegt, versucht er, nett zur Schwester zu sein, und gibt ihr Schokolade. Er reicht auch ihr ein Stück, aber sie nimmt es nicht an. Kann nichts essen, das er angerührt hat. Sie trinken aus einem Bach und ruhen sich ein bisschen aus. Wenn der Vater nicht da wäre und wenn ihr nicht so schlecht wäre, wäre es gar nicht so übel, denkt sie. Aber sie kann ja nichts machen, außer so zu tun, als wäre er gar nicht da.
Abends, als sie das Zelt aufbauen wollen, stellt sich heraus, dass die Hälfte der Heringe fehlt. Nun kann er gar nicht aufhören, die Mutter zu beschimpfen, weil sie nicht nachgesehen hat, ob alle da waren, und sie spürt plötzlich, wie ihr Kopf zerreißt. Ein lautes Gebrüll kommt heraus. Ein Geräusch, das sie noch nie gehört hat
Sie stürzt mit der Zeltstange in beiden Händen auf ihn los. Dann schlägt sie auf seinen Rücken ein, während sie unzusammenhängende Sätze brüllt, die genauso gut Chinesisch sein könnten. Als er sich umdreht, schlägt sie weiter, ohne darauf zu achten, wo sie trifft. Er bleibt stehen und hebt beide Arme vor sein Gesicht. Sie brüllt und brüllt, schlägt und schlägt. Bis sie hinter sich das verängstigte Weinen der Schwester hört.
Die Mutter nimmt ihr die Zeltstange ab und erteilt einen kurzen Befehl:
Sei still!
Die Mutter baut dann schließlich mit den wenigen Heringen das Zelt auf. Sie vertäut es an Gestrüpp und Steinen, wie es gerade kommt. Systematisch und ohne ein Wort zu sagen. Der Vater ist längst schon gegangen. Sein Rücken verschwand hinter einem Felsbrocken.
Sie schämt sich und freut sich zugleich darüber, dass sie ihn vertrieben hat. Die Schwester und sie sammeln Holz für das Feuer und die Mutter bringt es zum Brennen. Während sie darauf warten, dass das Suppenwasser kocht, dreht sich die Mutter um und mustert sie forschend.
Nimm dich in Acht, sonst wirste wie der, sagt sie leise.
Der Vater klebt Pflaster auf die dicken Blasen der Mutter und schimpft ein wenig, weil sie sich nicht früher gemeldet hat. Keine antwortet. Es gibt auch nichts, worauf sie antworten könnten. Hätte er die Blasen verhindern können? Hätte er die Mutter getragen? Hat irgendwer jemals erlebt, dass der Vater die Mutter getragen hätte, um ihr das Leben leichter zu machen? Jetzt will er alles leichter machen, indem er schimpft, weil sie sich Blasen gelaufen hat.
Er zeichnet mit Kopierstift Striche auf die Karte und greift zum Kompass. Er ist der Einzige, der mit dem Kompass umgehen kann. Vermutlich der Einzige auf der ganzen Welt. Trotzdem verirren sie sich.
Irgendwann finden sie den gekennzeichneten Wanderweg wieder und alles beruhigt sich. Oder wird ruhiger. Die kleine Schwester ist eine Heldin. Sie beklagt sich über nichts und lässt ihre Locken in Sonne und Wind tanzen und springen. Aber als sie einen Fluss erreichen, der laut Karte gar nicht da sein dürfte, weigert sie sich, ihn zu überqueren. Sie wagt auch nicht, sich vom Vater hinübertragen zu lassen. Wagt nicht, sich von der Mutter hinübertragen zu lassen. Sie will, dass die beiden Schwestern wieder nach Hause gehen.
Wir können auf dem Ufer hier weiterlaufen und kucken, ob der Fluss irgendwo schmaler wird, versucht sie die Kleine zu überreden.
Und so geschieht es. Die Eltern werden auf dem anderen Ufer warten. Der Vater trägt auch ihren Rucksack hinüber. Dann kämpfen sich die Mädchen eine Böschung am Flussufer hinauf. Der Farn wächst so hoch, dass sie ihre Schwester vor sich nicht sieht.
Sie haben Glück, hinter dem Hügelkamm flacht die Landschaft ab. Der Fluss stammt aus einem See, der über die Ufer getreten ist. Hier oben aber können sie die Stiefel ausziehen und durchwaten, ohne die Gefahr, von der Strömung erfasst zu werden. Sie kommen auf dem richtigen Flussufer wieder nach unten und werden schon erwartet. Sie wischt mit einem Moosbausch die Tragriemen ihres Rucksacks ab. Der Vater hat ihn ja mit seinem Leib berührt.
Er hält eine lange Rede darüber, dass es wichtig ist, nicht aufzugeben, sondern nach Lösungen zu suchen. Es ist wichtig, zusammenzuhalten und nicht den Mut zu verlieren. Wichtig, Rücksicht auf das schwächste Glied zu nehmen und sich nicht die Laune verderben zu lassen, heißt es.
Sie geht hinter einen Felsen und erbricht sich. Die Mutter fragt, ob ihr nicht gut sei, und sie antwortet, sie sei frisch wie ein Fisch. Um das zu beweisen, lacht sie laut. Der Berg äfft sie mit dumpfer Stimme nach.
Es wird sich herausstellen, dass sie fünf Tage brauchen, um die »Kjølen« genannte Bergkette zu durchqueren. Kjølen, also Kiel, ist der passende Name für ein gekentertes Boot. Der Nebel senkt sich über sie, als sie den höchsten Punkt erreicht haben. Der höchste Punkt ist auch der kälteste und feuchteste.
Am letzten Tag haben sie nichts mehr zu essen, nur ein wenig Haferflocken und einige Suppenwürfel. Das Zelt ist nass. Die Schlafsäcke sind nass, obwohl der Vater um den Schlafplatz Sickergruben anlegt, mit einem kleinen Spaten, den er bei der Heimwehr gestohlen hat.
Am fünften Tag brennt die Sonne und der Vater orientiert sich nach Karte und Kompass, er winkt und ruft wie ein Heerführer. Hänge hinab, Anhöhen hinauf. Durch Gestrüpp und Gesträuch durch Heide und Flüsse. Er ist siegessicher und sagt die ganze Zeit, jetzt seien es nur noch dreißig Kilometer oder so.
Sie fühlt sich total erschöpft und denkt, das sei, weil sie ihre Regel haben müsste, die nicht mehr kommt. Die Mutter dagegen blutet heftig. Aus dem Unterleib, aus den Blasen und aus Schrammen an beiden Ellbogen. Die Schwester hat Pflaster auf beiden Knien. Der Vater hat alle Mückenstiche abbekommen. Sein ganzes Gesicht ist geschwollen. Als er klagt, murmelt sie halblaut, das stehe ihm gut. Die Mutter hört sie und wirft ihr einen mahnenden Blick zu.
Die kleine Schwester hat gelernt, dass Quengeln nichts bringt, aber an den feuchtesten und kältesten Stellen macht sie doch einen Versuch. Die Mutter trägt sie einige Schritte, dann setzen sie sich hin, ein Stück von den anderen entfernt. Die Schwester weint leise und putzt sich die Nase mit den kastanienbraunen Korkenzieherlocken. Die Mutter drückt sie an sich, drückt sie an sich. Bis sie nicht mehr weinen kann und aus der Umarmung schlüpft.
Sie haben die nassen Sachen zum Trocknen über die Rucksäcke gehängt und setzen in der Unendlichkeit einen Fuß vor den anderen. Nicht einmal er sagt noch etwas. Aber er atmet. Atmet und atmet und geht