Durch die Verbrüderung sind Gunnar und Högni zu „Eidbrüdern“ Sigurds geworden („Þeir váru eiðsvarar Sigurðar“). Auch hier findet sich die gleiche Ausdrucksweise vom „Schwören“ („sveria“) der Brüderschaft und das dadurch entstehende Verhältnis wird durch „eiÞr“ gestiftet.
Der in mehreren Varianten überlieferte Beleg von der Blutsbrüderschaft Sigurds mit Gunnar und Högni ist trotz des Fehlens einer detaillierten Beschreibung einer der wertvollsten, die wir für diese Institution aus dem Nordgermanischen besitzen.
3. Gísla saga Súrssonar
Der ausführlichste und zugleich auch bei weitem aufschlußreichste Bericht über den Abschluß einer Blutsbrüderschaft zwischen heidnischen Isländern findet sich in der Gísla saga Súrssonar, einer Isländersaga, die wohl im 12. Jh. gestaltet wurde und deren erhaltene Fassung eine Neubearbeitung des 13. Jh. ist37. Die Stelle im 6. Kapitel, in welcher der Abschluß der Blutsbrüderschaft zwischen den Habichtstalern auf dem Valseyrarthing beschrieben wird, wurde von Finnur JÓNSSON als der locus classicus für diesen eigentümlichen Brauch bezeichnet38.
Die Habichtstaler (Gísli, Þorgrímr, Þorkell und Vésteinn) benehmen sich auf dem Thing höchst übermütig. Während die anderen an den Verhandlungen teilnehmen, sitzen sie in der Hütte und trinken Bier. Es entsteht bei den anderen ein Gerede über ihren Übermut, und der weise Gest prophezeit, daß sie, „wenn der dritte Sommer kommt“, schon nicht mehr so einmütig sein werden wie jetzt. Die Habichtstaler erfahren von dieser Prophezeiung, und aus Trotz, um ihre Erfüllung zu verhindern, schließen sie Blutsbrüderschaft.
Gísli svarar: ‚Hér mun han mælt mál talat hafa; en vörumz
ver, at eigi verði hann sannspár; enda sé ek gott ráð til
Þessa, at vér bindum várt vinfengi með meirum fastmælum en
áðr, ok sverjumz í fóstbrœðralag fjórir.‘
En Þeim sýniz Þetta ráðligt. Ganga nú út í eyrarodda, ok
rísta Þar upp ór jörðu jarðarmen, svá at báðir endar váru
fastir í jörðu, ok settu Þar undir málaspjót, Þat er maðr
mátti taka hendi sinni til geirnagla. Þeir skyldu Þar fjórir
undir ganga, Þorgrímr, Gísli, Þorkell ok Vésteinn; ok nú
vekja Þeir sér blóð ok láta renna saman dreyra sinn i Þeiri
moldu, er upp var skorin undan jarðarmeninu, ok hrœra saman
allt, moldina ok blóðit. En síðan fellu Þeir allir á kné,
ok sverja Þann eið, at hverr skal annars hefna sem bróður
síns, ok nefna öll goðin í vitni.39
Unmittelbar nach dem Abschluß der Blutsbrüderschaft beginnen jedoch schon die Unstimmigkeiten, als Þorgrímr erklärt, daß er Vésteinn gegenüber keine Verpflichtungen haben wolle. So geht Gests Prophezeiung rascher in Erfüllung, als irgendjemand gedacht hätte.
Die Eingehung der Blutsbrüderschaft ist also kein bloßes Motiv, sondern ihr kommt eine zentrale Funktion im Rahmen der Gesamtkonzeption der Saga zu. In dieser Hinsicht steht die Gísla saga den nordischen Dichtungen von Sigurds Tod sehr nahe. Es wurde deshalb ein Einfluß der Nibelungendichtung, die „für den Aufbau der Saga bestimmend“ gewesen sei, in Betracht gezogen40; de VRIES weist darauf hin, daß „das Streitgespräch der Schwägerinnen Auðr und Asgerðr in der dyngja wie in der senna von Guðrún und
Brynhildr den Anlaß zu den tragischen Verwicklungen zwischen den durch Blutsbrüderschaft Verwandten“ bildet41. Doch müßte, falls hier wirklich ein literarischer Zusammenhang bestehen sollte, die Schilderung des Rituals, das die Saga gibt, dadurch nicht entwertet werden.
Die Gísla saga übertrifft alle anderen Belege durch die Ausführlichkeit, mit der im 6. Kapitel das Ritual der Verbrüderung beschrieben wird. Die Zeremonie des „ganga undir jarðarmen“ wird hier ganz eindeutig als ein Element des Verbrüderungsrituals ausgewiesen. Die Zeremonie wird sehr eingehend beschrieben: ein Rasenstreifen („jarðarmen“) wird aus der Erde geschnitten, jedoch so, daß beide Enden mit dem Boden verbunden bleiben („svá at báðir endar váru fastir í j
rðu“); unter diesen wird ein Runenspeer („málaspjót“) gestellt, der so lang ist, daß ein stehender Mann die Schaftnägel mit der Hand erreichen kann. Unter diesen Rasenstreifen treten die Beteiligten – im geschilderten Fall sind es vier Männer – und „wecken“ sich das Blut („vekja Þeir sér blóð“). Dieses lassen sie in die unter dem jarðarmen befindliche Erde fließen („láta renna saman dreyra sinn i Þeiri moldu, er upp var skorin undan jarðarmeninu“); darauf wird es mit der Erde vermengt („… ok hrœra saman allt, moldina ok blóðit“). Dann schwören sie kniend einen Eid („ok sverja Þann eið“), einander wie leibliche Brüder zu rächen („hverr skal annars hefna sem bróður síns“) und rufen dazu alle Götter als Zeugen an („nefna ll goðin í vitni“).Wie im Alten Sigurdlied lassen die sich Verbrüdernden auch hier ihr Blut aus dem Erdboden zusammenfließen; davon jedoch, daß die Vermischung in den Fußspuren der Beteiligten erfolgte, steht in der Gísla saga nichts. Ist das in ihr geschilderte Ritual von dem im Alten Sigurdlied erwähnten grundsätzlich verschieden?42 Dies ist eine der schwierigsten Fragen im Zusammenhang mit der Form des Rituals der germanischen Blutsbrüderschaft; von ihrer Beantwortung hängt ja die Gesamtvorstellung, die wir uns vom altnordischen fóstbrœðralag machen, weitgehend ab.
Auch die Absicht, mit der die Blutsbrüderschaft in diesem speziellen Fall geschlossen wird, wird in der Gísla saga eindeutig ausgesprochen: aus Trotz gegen ein prophezeites Schicksalsverhängnis („at eigi verði hann sannspár“) beschließen vier – teilweise sogar miteinander verwandte – Männer, ihre Freundschaft noch fester und enger zu machen als bisher („at vér bindum várt vinfengi með meirum fastmælum en áðr“); sie tun dies, indem sie Blutsbrüderschaft schließen.
Die einzige Konsequenz, die in der Gísla saga erwähnt wird, ist die gegenseitige Rachepflicht. Der eine ist verpflichtet, den anderen wie seinen Bruder zu rächen („hverr skal annars hefna sem bróður síns“).
Von ganz besonderer Bedeutung ist die Tatsache, daß diese Stelle zugleich mit einer detaillierten Beschreibung einer „echten“ Blutsbrüderschaft auch den Terminus erwähnt, mit dem im Altnordischen diese Institution bezeichnet wurde, nämlich „fóstbrœðralag“.
4. Saxo Grammaticus: Gesta Danorum
In den Gesta Danorum finden sich mehrere Erwähnungen „künstlicher“ Brüderschaften43, nur an einer einzigen Stelle wird jedoch expressis verbis gesagt, daß die Brüderschaft durch das Vermischen des Blutes begründet wurde. Dies ist vielleicht dadurch zu erklären, daß SAXO es bei der ersten Erwähnung der Institution für nötig erachtet hatte, etwas genauer darauf einzugehen (er unterstreicht ja auch besonders, daß es sich um einen Brauch vergangener Zeiten handelt), dies aber in allen weiteren Fällen verständlicherweise nicht mehr nötig war. Vermutlich ist bei einigen der in anderen Büchern seiner Gesta Danorum erwähnten Brüderschaften jedoch keine Verbrüderung durch Blutmischung gemeint, sondern es können „Eidbrüderschaften“ oder „Schwurbruderschaften“ ohne Blutritual gemeint sein.44
Im 1. Buch der Gesta Danorum wird erzählt, wie der jugendliche Hadding, nachdem er seine Pflegemutter verloren hat, Odin begegnet. Odin bedauert ihn ob seiner Einsamkeit und stiftet zwischen Hadding und einem Wikinger namens Liser Blutsbrüderschaft:
Spoliatum nutrice Hadingum grandævus forte quidam, altero orbus oculo, solitarium