Memory House. Rachel Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rachel Hauck
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783961401604
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im sechsten Monat sein. Weiß deine Mutter schon Bescheid?“

      „Nein, noch nicht. Mir ist gerade nicht besonders nach einem Vortrag.“

      „Komm schon, Beck, jetzt trau ihr doch mal was zu.“

      „Mama und ich haben uns nie besonders nahegestanden, Hogan, besonders nach Papas Tod. Wir haben nur nebeneinander her gelebt und dann kam Flynn und dann waren sie auch schon verheiratet und ich kann mich an nichts aus meiner Kindheit mehr erinnern.“

      Beck ging wieder zurück zu ihrem Stuhl, zog den Reißverschluss des Rucksacks auf, nahm Everleigh Callahans Testament heraus. Sie gab es ihm und fragte: „Was hältst du hiervon?“ Wenn sie das Gespräch in Gang hielt, dann würden ihre Tränen sicher wieder vergehen. „Ich habe ein Haus in Florida geerbt.“

      „Du hast ein Haus geerbt?“, fragte Hogan erstaunt und nahm ihr das Schreiben ab. „Ich wusste gar nicht, dass du Verwandtschaft in Florida hast.“

      „Das Haus ist auch gar nicht von Verwandten“, erklärte sie daraufhin. Ihre Mutter hatte an diesem Tag beim Frühstück mehr Einzelheiten verraten. „Papa hatte Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre einen Onkel, eine Tante und eine Cousine in Florida, die aber irgendwann nach New York gezogen sind. Jedenfalls lebte gegenüber von diesen Verwandten eine ältere Frau, die für die Familie wie eine Oma oder eine alte Tante war. Papa hat da als Kind ein paar Jahre lang mit seiner Familie Ferien gemacht, wahrscheinlich bis sein Onkel umgezogen ist. Mama konnte sich nicht mehr so genau erinnern. Als ich dann geboren wurde, wollten sie jedenfalls noch mal in dieses … Fernandina Beach reisen, damit ich auch so schöne Erinnerungen an Sommerferien sammeln konnte wie mein Vater. Anscheinend haben wir damals bei dieser alten Dame, Everleigh Callahan, gewohnt. Jetzt ist sie an Thanksgiving gestorben und hat mir ihr Haus vererbt.“

      Hogan blickte von dem Testament auf und sagte: „Dein Vater hat in einem Frühjahr mal versucht, ein paar von uns zu überreden, mit ihm zum Angeln da runterzufahren. Aber daraus ist nie etwas geworden.“ Er gab Beck das Dokument zurück und fragte: „Kannst du dich an den Ort erinnern?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Alle Erinnerungen, die mit meinem Vater zu tun haben, sind weg.“

      Das stimmte, und sie war es so sehr gewohnt, dass ihr oft gar nicht mehr bewusst war, was für eine tief greifende Bedeutung diese Worte hatten. Jede Erinnerung, die in Verbindung mit ihrem Vater stand, war vor achtzehn Jahren ausgelöscht worden.

      Als ihr Vater nach den Terroranschlägen vom 11. September tot aus den Trümmern des Nordturms geborgen worden war, war ihre Mutter wie erloschen gewesen und hatte voller Trauer und Angst versucht, ihre neue Lebenswirklichkeit zu begreifen. Dabei hatte sie nicht gemerkt, wie ihre Tochter halt- und ziellos hinter ihr her irrte.

      Beck hatte Trost bei ihrer Mutter gesucht, aber die war gar nicht anwesend gewesen. Ihr Licht leuchtete nicht mehr, und das war vielleicht der Grund, weshalb Beck als Vierzehnjährige Trost im Schatten der Nacht und Frieden im Vergessen gefunden hatte.

      Sie lebten in einer funktionierenden, aber emotional leeren Welt. Das zeigte sich darin, dass ihre Gespräche oberflächlich waren und sich eigentlich ausschließlich um praktische Dinge drehten.

       „Wie kommst du denn heute vom Training nach Hause?“

       „Ellies Mutter.“

       „Kannst du heute putzen? Ich muss Überstunden machen.“

       „Kann ich eine Taschengelderhöhung bekommen?“

       „Nein, ich brauche jeden Cent, damit ich das Haus halten kann.“

      Beck verbrachte viele Abende allein bei Popcorn und Diät-Cola als Abendessen, ohne etwas zu fühlen und ohne sich zu erinnern.

      „Du solltest hinfahren und es dir wenigstens anschauen“, riet Hogan ihr.

      „Das sagen meine Mutter und Flynn auch.“ Und Hunter.

      Flynns Liebe hatte zwar ihre Mutter wieder ins Leben zurückgeholt, aber nicht Beck. Das frischgebackene Paar hatte sich große Mühe gegeben, sie in ihr Märchen einzubeziehen, aber da war Beck schon fünfzehn gewesen, und ihre Schutzschilde waren undurchdringlich geworden.

      „Ich glaube, diese Testamentsgeschichte könnte dir neue Möglichkeiten eröffnen, und Beck, hey, Vinny Campanile hat Kontakte nach Nordflorida. Du könntest doch dort ein bisschen die Augen offen halten …“

      „Du hörst dich an wie Ingram. Außerdem bin ich sus-pen-diert, du erinnerst dich? Wenn ich dort hinfahre, dann privat.“

      „Gut, dann fährst du also.“

      „Aber was fange ich denn da unten an, solange ich dort bin?“

      „Was jeder in den Ferien macht. Du brauchst doch nicht schon im Voraus alles zu wissen.“

      „Doch, muss ich wohl, weil mir das Ganze sonst zu viel Angst macht.“ Papa ist auch in den Nordturm gerannt, ohne zu wissen …

      „Und das sagt das Mädel, das ohne zu zögern auf einen dunklen Hinterhof läuft. Komm, es ist doch dein Leben, Risiken einzugehen.“ Aber stimmte das wirklich? Dunkle Hinterhöfe waren eine andere Form des Unbekannten. Sie waren lediglich Hindernisse bei der Jagd nach Tätern oder bei der Rettung von Opfern. „Geh das Risiko ein, lass dich überraschen und schau, was das Leben, oder auch Gott, noch alles für dich bereithält. Versuche zu glauben. Vielleicht kommt ja dort …“

      „Ich habe meinen Teil an Überraschungen von Gott gehabt, Hogan – vielen Dank auch.“

      „… deine Erinnerung wieder zurück“, beendete er seinen Satz.

      Sie zuckte zusammen, ging zum Fenster und schaute hinunter auf die Straße, an der auf beiden Seiten Autos geparkt waren. Sie sprach so gut wie nie über den Verlust ihrer Erinnerungen. Der war inzwischen einfach ein Teil von ihr. Aber jetzt, da er davon angefangen hatte …

      „Das macht mir am meisten Angst, Hogan. Was ist das Schreckliche, das hinter der Amnesie lauert?“

      Es waren nämlich nicht sämtliche Erinnerungen an ihre Kindheit weg. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit dem Fahrrad in der Nachbarschaft herumgefahren war, wie sie bei Ellie Yarborough übernachtet hatte und wie sie in der fünften Klasse beim Krippenspiel mitgespielt hatte.

      Aber Heiligabende, Geburtstage, Ferien, bei denen ihr Vater dabei gewesen war, waren schwarze Löcher. Er war eine Figur aus einer Geschichte, die Mama alle Jubeljahre einmal erwähnte.

      „Überleg nicht lange, Beck. Fahr nach Florida, lass dir die Sonne auf den Pelz scheinen, atme, iss, denk nach und bete. Du kannst kein Baby austragen, wenn du dich nur von Kaffee und Donuts ernährst.“

      „Na, ab und zu esse ich ja auch einen Hot Dog“, erklärte Beck und kam wieder zurück zu ihrem Stuhl. „Machst du dir gar keine Sorgen, dass die Sonne von Florida die Eiskönigin vielleicht schmelzen könnte?“

      Hogan lachte. „Das wollen wir mal hoffen.“

      „Ich nehme den Hund mit.“

      „Gut. Der kann sicher auch ein bisschen Ruhe gebrauchen.“

      Beck stellte sich vor, wie sie auf ihr unbekanntes Haus in Florida zuging – nach Aussage von Joshua Christian ein altes viktorianisches Gebäude –, mit ihrem Koffer und einem zappeligen Beetle Boo. „Wahrscheinlich spukt es da.“

      Sie stellte sich vor, wie der Wind an den Dachtraufen entlang heulte und die Dielen unter ihren Füßen knarrten.

      „Was soll denn da spuken? Deine verloren gegangenen Erinnerungen?“ Hogan zog die Augenbrauen hoch und schaute dann auf seine Uhr.

      „W… was, wenn ich mich wieder erinnere? An meinen Vater?“ Beck nahm Hogans Wink auf und griff nach ihrer Jacke.

      „Wäre das nicht gut?“, fragte Hogan, während