Memory House. Rachel Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rachel Hauck
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783961401604
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Trauergottesdienst.“

      „Mein Beileid“, hörte er den Coach nur noch sagen und dann war es wieder still in der Leitung.

      Bruno nahm an, dass der Coach Tyvis noch einmal hatte anpreisen wollen, indem er beispielsweise damit prahlte, wie der Junge sich nachts zwischen zwei und vier noch ehrenamtlich in einem Kinderheim engagierte.

      Er steckte sein Handy wieder ein und stand jetzt nur ein paar Meter von der irgendwie vertrauten Fremden entfernt. Noch einmal ließ er sich zu einem Blick in ihre Richtung hinreißen, und diesmal wusste er plötzlich, wer sie war.

      „Beck?“, flüsterte er. „Beck Holiday?“

      Sie wandte sich ihm zu. „Ja?“

      „Wow, ich glaub’s ja nicht.“ Er ging zu ihr hin und sagte leise: „Wie lange ist das jetzt her? Achtzehn, neunzehn Jahre?“ Ihr ausdrucksloser Blick hätte ihn beinah abgeschreckt, aber er sagte dann trotzdem: „Du bist gekommen. Traurig, das mit Miss Everleigh, oder? Hat meine Mutter dich schon angesprochen?“

      Als er sie jetzt aus der Nähe sah, verliebte er sich sofort wieder ein bisschen. Genau wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er war acht gewesen und mit seinem Fahrrad die Memory Lane hinauf- und hinuntergefahren, während sie mit ihrem Vater in Miss Everleighs Vorgarten einen Drachen hatte steigen lassen.

      Und dann wieder mit neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn und vierzehn. Jeden Sommer hatte er sich ein bisschen mehr in sie verknallt. Und dann kam der 11. September und er hatte sie nie wiedergesehen.

      In einer dunkelblauen Stoffhose mit passender Jacke und einer engen weißen Bluse darunter strahlte sie unter ihrer mittlerweile erwachsenen Schönheit auch etwas Herbes, fast Hartes aus.

      „Ihre Mutter? Nein. Ich habe mich erst im letzten Moment entschlossen zu kommen.“ Dann schaute sie wieder in den Gottesdienstraum, wo die Gemeinde gerade zum letzten Mal den Refrain sang.

       „So I’ll cherish the old rugged cross.“

      „Kannst du begreifen, dass sie nicht mehr da ist?“ Er stand neben ihr, ahmte ihre abwehrende Haltung, die verschränkten Arme nach und war gleichzeitig amüsiert und verärgert darüber, dass sein Puls schneller wurde. War er denn immer noch ein bisschen wie ein Teenager? „Als Pastor Oliver angefangen hat zu sprechen, sind bei mir unglaublich viele Erinnerungen wieder hochgekommen“, sagte er und sah sie an. „Erinnerst du dich, als …“

      Ihr durchdringender Blick sorgte dafür, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben. „Tut mir leid, aber wer sind Sie?“, fragte sie.

      Da ließ er die Arme sinken, brachte ein kleines Lächeln zustande und antwortete: „Okay, ich hab’s kapiert. Wir haben uns aus den Augen verloren, aber du hast mir ja auch nicht geschrieben. Moment mal …“ Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Ich habe dir eine E-Mail geschrieben, direkt nach dem 11. September, aber du hast nicht geantwortet. Und dann habe ich dir noch mal geschrieben, als mein Vater gestorben ist.“

      Sie schaute ihn finster an und ihre Miene wurde noch härter. „Hören Sie, wer auch immer Sie sind, ich kenne Sie nicht und ich erinnere mich auch nicht an Sie.“

      Jetzt war er an der Reihe, finster zu schauen. „Aber du bist doch Beck Holiday, oder? Die Tochter von Dale und Miranda Holiday, die ihre Sommerferien immer bei Miss Everleigh verbracht haben? Die in der Ferien-Bibelschule im Garten neben mir gesessen hat? Die mit mir auf dem Fahrrad die Memory Lane hoch- und runtergefahren ist? Die Miss Everleighs Haus Memory House genannt hat?“

      Sie zögerte kurz, nickte dann aber, den Blick wieder geradeaus in den Gottesdienstraum gerichtet. „Ich glaube, die Frau da vorn möchte etwas von Ihnen“, sagte sie dann, und als er in die entsprechende Richtung schaute, winkte ihn seine Mutter nach vorn. Was wollte sie? Aber was auch immer es sein mochte, es konnte jedenfalls nicht so faszinierend sein wie dieser Austausch mit Beck. Bruno sah sie noch einen Moment länger an, bevor er wieder zurück zu seinem Platz ging.

      „Die Leute erzählen jetzt von Erlebnissen, die sie mit Miss Everleigh gehabt haben“, flüsterte seine Mutter. „Du solltest auch etwas sagen.“

      „Nein danke. Ich bin eher der Typ hinter den Kulissen.“

      „Mit wem hast du denn da gerade gesprochen?“

      „Mit Beck Holiday.“

      Da bekam seine Mutter ganz große Augen und schaute an ihm vorbei nach hinten. „Meine Güte, von den Holidays habe ich seit 2001 niemanden mehr gesehen. Schrecklich, das mit Dale. Ist sie das da?“

      „Starr sie nicht so an.“

      Seine Mutter zog eine Augenbraue hoch und stupste Bruno an. „Die hat sich aber gut gemacht.“

      Pastor Oliver ging mit dem Mikrofon im Raum umher, während Dutzende von Trauergästen aufzeigten, weil sie etwas sagen wollten.

      „Trilby, ich weiß, dass du etwas zu erzählen hast“, sagte der Pastor und übergab das Mikro an Trilby Thomas.

      „Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen“, sagte sie und wischte sich die Augen. „Mein Mann und ich waren ungefähr zehn Jahre verheiratet, als wir irgendwann gemerkt haben, dass wir nur noch stritten, und zwar über alles. Ich habe damals gedacht, dass unsere Ehe mit einer Scheidung enden würde. An einem Abend nach einem besonders schlimmen Streit habe ich mich ins Auto gesetzt und bin einfach in der Gegend herumgefahren, aber schon nach kurzer Zeit fand ich mich in der Memory Road wieder, bei Miss Everleighs Haus. Es goss in Strömen, aber sie muss die Scheinwerfer meines Wagens gesehen haben, denn sie kam mit einem Schirm angerannt und lud mich auf einen Tee ein. Es war, als hätte sie gewusst, dass ich komme. Sie hat mir zugehört, als ich ihr schluchzend erzählt habe, was los war, betete dann mit mir, und hat mich danach wieder nach Hause geschickt mit den Worten: ,So, und jetzt denk daran, dass du kein kleines Schulmädchen mehr bist, sondern eine erwachsene Frau, also benimm dich auch so. Finde eine Lösung und sei nicht so egoistisch.‘“ Viele Köpfe nickten und es war leises Lachen zu hören. „Wie ich sehe, bin ich nicht die Einzige, die diesen Rat bekommen hat. Ich bin also nach Hause gefahren und habe das Problem mit meinem Mann gelöst. Ich werde ewig für ihren Rat, ihre Stärke und ihre Gebete dankbar sein.“

      Es war leiser Applaus zu hören, als Trilby sich wieder setzte und das Mikro an Scott Harrell weitergereicht wurde. Bruno drehte sich zu Beck um, die tatsächlich immer noch ein kleines Stückchen vor der Eingangstür stand.

      Und dann stand Pastor Oliver plötzlich neben ihm. „Bruno Endicott, warum erzählst du uns nicht auch etwas über Miss Everleigh? Sie war doch deine Nachbarin und Adoptivoma.“

      Seine Mutter stupste ihn an als Zeichen, dass er aufstehen solle, und dann drückte ihm der Pastor auch schon das Mikro in die Hand.

      „Also …“, sagte er und schaute in den überfüllten Raum. „Wie Pastor Oliver schon ganz richtig festgestellt hat, war Miss Everleigh unsere Nachbarin und meine Adoptivoma.“ Er warf einen schnellen Bick zu Beck. An ihrer Haltung war nichts weicher geworden, und es waren bei ihr auch sonst keine Gefühle für die Frau zu erkennen, der hier die letzte Ehre erwiesen wurde. „Ich habe viel Zeit bei ihr zu Hause verbracht, wenn meine Mutter arbeiten musste. Äh …“ Er holte Luft, sammelte sich, weil seine Gefühle über ihm zusammenschlugen, und versuchte, an eine Geschichte zu denken, die die Leute zum Lachen und nicht zum Weinen bringen würde. Doch alles, was er vor seinem inneren Auge sah, war das liebe, runzelige Gesicht von Miss Everleigh. „Bei ihr war man gut aufgehoben. Sie war warmherzig und voller Mitgefühl und sie machte die besten Chocolate Chip Cookies in der ganzen Stadt.“ Überall wurde zustimmend genickt. „In einem Jahr haben Beck Holiday und ich …“, er deutete nach hinten zur Tür und alle Köpfe drehten sich um, „… einmal fünf Packungen Eis am Stiel verdrückt, damit wir genug Eisstiele für die Ferien-Bibelschule zum Basteln hatten.“ Ihm kamen die Tränen und gleichzeitig musste er bei der Erinnerung schmunzeln. „Miss Everleigh hat über Jesus gesprochen als wäre er jetzt da. Lebendig.“ Er konnte das Beben in seiner Stimme nicht unterdrücken. „Ich war fünfzehn, als mein Vater starb, und als ich