„Schutzraum“ zur Zeit der Türkeneinfälle: die Turška jama bei Jesenice
Solche Märchen finden sich auch in der offiziellen Geschichtsschreibung des ausgehenden Mittelalters. Meist wurden sie von Adeligen in Auftrag gegeben, um die Biografie des eigenen Stammbaums zu „pimpen“. Erst im 20. Jahrhundert haben Historiker durch mühsame Faktenchecks herausgefiltert, was tatsächlich passiert ist. Übrig bleiben – bei der Bedrohung wurde ebenfalls gerne übertrieben – immerhin noch fünf Türkeneinfälle in Kärnten und in der heute slowenischen Region Krain zwischen 1473 und 1483. Es handelte sich dabei um keine Eroberungsfeldzüge im klassischen Sinn, sondern um Überfälle mit einem, wie man es im 21. Jahrhundert nennen würde, terroristischen Hintergrund. Das Osmanische Reich hatte sich damals gerade Teile des Balkans einverleibt und verbreitete, um seine Position langfristig zu festigen, mit kleineren Raubzügen über die Grenzen hinaus bewusst Furcht und Schrecken.
Die Taktik ging auf. Ihr brutales Vorgehen und ihre Geländegängigkeit brachten den türkischen Reiterscharen rasch den Beinamen „Renner und Brenner“ ein. Was ihnen an Vorräten oder Wertgegenständen in die Hände „fiel“, wurde geplündert. Wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde niedergemetzelt oder versklavt. Die Mehrheit der Bevölkerung war den Osmanen – und da lügen die Sagen nicht – hilflos ausgeliefert. Der Adel hatte sich hinter den Mauern seiner mächtigen Burgen verschanzt, die von den mit Speeren, Säbeln und Bogen bewaffneten Räubern nicht angegriffen wurden. Befestigte Gotteshäuser, sogenannte Wehrkirchen, boten nur zum Teil Schutz. Manchmal gingen sie ebenfalls in Flammen auf.
Weil Not erfinderisch macht, begannen die Bauern mit dem Bau eigener „Schutzräume“. Man wählte dafür Höhlen, die in der Nähe der Dörfer, jedoch immer abseits bekannter Wege lagen. Ihre Spur hat sich im Lauf der Jahrhunderte verloren – mit ein paar Ausnahmen wie dem „Schutzraum“ im 725 Meter hohen Tabor, einer Anhöhe östlich des Faaker Sees. Grundbesitzer Hansi Mikl führt uns zu dem Versteck. Der Landwirt und Touristiker hat sich intensiv mit der Geschichte der Gegend auseinandergesetzt. Lange vor den Türkeneinfällen sollen in der Höhle der Überlieferung nach „weiße weise Frauen“ gelebt haben, denen Mikl attestiert, dass sie zu Recht einen guten Ruf hatten: „Sie waren heidnische Priesterinnen, die für die einfachen Menschen sorgten, indem sie zum Beispiel den Lauf der Gestirne deuteten oder Kranken mit ihrem Wissen um die heilende Kraft der Kräuter halfen. In der slowenischen Mundart wird der Ort deshalb bis heute Einziedlarca genannt: die Einsiedlerin.“
Die Turška jama von außen. Zu ihr führt ein Wanderweg.
Die nach Süden ausgerichtete Höhle beziehungsweise Halbhöhle (so werden Löcher dieser Art bezeichnet, die schon nach wenigen Metern enden) ist tatsächlich ein perfekter Platz – für die „Ordination“ einer Druidin ebenso wie für eine kleine Fluchtburg. Sogar eine Quelle sprudelt hier. Als die Türken im Sommer 1478 plündernd durch die Gegend zogen, flüchteten die Bewohner des nahen Dorfes Petschnitzen „mit ihrer besten Habe und dem Vieh“, wie es in verschiedenen Chroniken heißt, in den Unterschlupf. Die Höhle war damals zugemauert und mit einer Eisentür versehen. Den armen Menschen, die sich darin verschanzt hatten, half das leider wenig. Sie wurden von den Osmanen entdeckt und im wahrsten Sinn des Wortes „ausgeräuchert“.
In der Türkenhöhle im Tabor sprudelt eine Quelle. Die Mauer wurde abgetragen, man benutzte die Steine als Baumaterial.
Vom „Schutzraum“ sind nur bescheidene Reste erhalten geblieben. „Neben der natürlichen Erosion hat vor allem die Bautätigkeit meines Großvaters an den Felsen genagt“, gibt Mikl zu. Große Mengen des Konglomeratgesteins wurden in den 1920er-Jahren aus der Wand gesprengt, weil die Bauern der Umgebung preiswertes Baumaterial brauchten. Um zu erfahren, wie die Einziedlarca zur Zeit der Türkeneinfälle ausgesehen haben könnte, muss man von Petschnitzen zirka 30 Minuten mit dem Auto Richtung Süden fahren – durch den Karawankentunnel nach Slowenien. Südöstlich von Jesenice gibt es noch ein halbwegs unversehrtes Versteck aus der Zeit der Türkeneinfälle.
Auf Slowenisch nennt man es Turška jama (Türkenhöhle). Das Loch, ebenfalls eine Halbhöhle, liegt in 835 Meter Seehöhe und strategisch äußerst günstig. Aus den Öffnungen der Mauer, die hier weitgehend erhalten geblieben ist, kann man das ganze Tal bis zum Bleder See überblicken. Der einzige Zugang führt durch steiles Gelände und war ebenso gut wie einfach zu verteidigen. Hier soll sich die Bevölkerung im 15. Jahrhundert vor den osmanischen Plünderern erfolgreicher als am Faaker See versteckt haben. Heute ist die Turška jama durch einen befestigten Wanderweg erschlossen und eine kleine Touristenattraktion. 2016 wurden im hinteren Bereich der rund 18 Meter breiten Halbhöhle archäologische Grabungen durchgeführt. Ergebnisse konnten wir nicht in Erfahrung bringen.
Eine andere und im Alpen-Adria-Raum einzigartige Variante, um sich vor den Reiterhorden zu schützen, wählte man im Südkärntner Bad Eisenkappel. Bauern und Dorfbewohner errichteten – ohne Hilfe von Adel oder Kirche – eine spektakuläre Befestigungsanlage: An der engsten Stelle des Vellachtals riegelten sie den Zugang zu ihrem Ort mit Mauern und Wachtürmen ab. Im Endeffekt verfehlte die Türkenschanze genannte Talsperre allerdings ihren Zweck. 1473 griffen die „Renner und Brenner“ nicht von Norden an, wo der Ort durch das Bauwerk geschützt war, sondern von Süden. Bad Eisenkappel wurde in Schutt und Asche gelegt. Andere hätten einen so fatalen strategischen Irrtum unter den Teppich gekehrt, aber in dieser Gegend bekennt man sich dazu: Die auf den Felsen links und rechts der heutigen Bundesstraße erhalten gebliebenen Mauern und Türme der Türkenschanze stehen unter Denkmalschutz. Damit sie sichtbar bleiben, lässt die Marktgemeinde Bäume und Gestrüpp regelmäßig schneiden. Man überlegt sogar, die historische Anlage in der Nacht zu beleuchten.
Die Mauer der Türkenschanze verschloss einst das Vellachtal vor Bad Eisenkappel.
Im ausgehenden und angeblich finsteren Mittelalter war die öffentliche Hand nicht so bemüht. Bis auf Sondersteuern, die man dem Volk wegen der Bedrohung abpresste, blieb die Obrigkeit untätig. Militärisch stellten sich den Osmanen in all den Jahren nur rebellierende Kärntner Bauern entgegen, die genug von ihren Herren auf der einen und den türkischen Plünderern auf der anderen Seite hatten: 1478 mobilisierten die Aufständischen rund 3 000 Bewaffnete, die sich den über das Kanaltal erneut ins Land eindringenden Reiterhorden bei Goggau (heute Coccau) entgegenstellen sollten. Vor der Schlacht verließ die meisten Freiwilligen jedoch der Mut. Sie flüchteten. Die 600 unerschrockenen Bauern und Bergarbeiter, die geblieben waren, wurden wenige Stunden später von den Soldaten des Sultans überrannt.
Nur wenige Rebellen überlebten. Um sie „kümmerten“ sich später die heimischen Behörden. Der Bauer Peter Wunderlich, der den Aufstand angeführt hatte, wurde durch Vierteilen hingerichtet. Nach dem tragischen Helden sind heute Straßen in Klagenfurt und Spittal/Drau benannt.
AM RANDE
Das bis heute spektakuläre, aber natürlich längst nicht mehr blutrünstige Kufenstechen findet alljährlich im Rahmen des Kirchtags in Feistritz/Gail statt, der immer am Pfingstmontag gefeiert wird. www.burschenschaft-feistritz-gail.at
In Bad Eisenkappel empfehlen wir einen Besuch der beeindruckenden Obir-Tropfsteinhöhlen, die von Mitte April bis Mitte Oktober im Rahmen von Führungen besichtigt werden können.