Auch im Postamt wurden Akten zurückgelassen.
Auf der Strecke verkehrten Güter-, Personen- und ab 1895 auch Luxuszüge. Sie verfügten über Schlaf-, Speise- und Salonwagen und wurden hauptsächlich im Fernverkehr eingesetzt. Ohne umzusteigen konnte man mit ihnen von Wien-West nach Nizza und später nach Cannes reisen. Ab 1898 wurde die Verbindung einmal wöchentlich ab St. Petersburg geführt. Der Luxuszug quer durch Europa, in dem es ausschließlich Wagen erster Klasse gab, bekam den klingenden Namen „St. Petersburg – Wien–Nizza – Cannes Expreß“. Die Fahrzeit von der damaligen russischen Hauptstadt über Tarvis bis an die Côte d’Azur betrug 64 Stunden.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutete 1914 das Aus für die Luxuszüge und dennoch eine vorübergehende Aufwertung des Bahnhofs Tarvis. Weil Österreich den baldigen Kriegseintritt Italiens befürchtete, der im Mai 1915 tatsächlich erfolgen sollte, zog man tonnenweise Kohle und Wasser aus dem damaligen Grenzbahnhof Pontafel (heute Pontebba) ab. Bei einem Angriff sollte den Feinden so wenig wie möglich in die Hände fallen. „Von Tarvis wurden Dampfloks und Tender nur mehr mit der für die kurze Strecke notwendigen Kohle nach Pontafel geschickt, um dort randvoll beladen zu werden und so wieder zurückzufahren“, erklärt uns der Kärntner ÖBB-Pressesprecher Christoph Posch in seiner „Privatfunktion“ als begeisterter und belesener Eisenbahnhistoriker.
Die Flasche dürfte erst nach der Schließung ihren Weg auf den Schreibtisch im Wachzimmer gefunden haben.
Keine Fensterscheibe ist mehr heil.
Verschlossen, aber leer: die Arrestzelle
Die Natur erobert die Bahnsteige zurück.
Nach dem Ersten Weltkrieg zogen die Siegermächte Österreichs Grenzen neu. Das Kanaltal sprach man Italien zu, aus Tarvis wurde Tarvisio und aus dem Bahnhof Tarvisio Centrale. Bis zur Schließung im Jahr 2000 wickelte man nun hier den Grenzverkehr ab. Dazu gehörte neben Kontrollen und Zollformalitäten vor allem das Wechseln der Loks: Züge nach Italien bekamen italienische, Züge nach Österreich österreichische. An der Bar in der Halle standen deshalb – natürlich nur in den Pausen und offiziell bei einem „caffè“ – Eisenbahner aus beiden Ländern. Einen letzten Modernisierungsschub gab es 1969 mit dem Totalumbau des Bahnhofsgebäudes zu der Form, in der es jetzt verlassen herumsteht.
Warum die Schienen mittlerweile auf der anderen Talseite und dort hauptsächlich in Tunnels verlaufen, hat vor allem geologische Gründe: Auf die alte Pontebbana gingen immer wieder Murenabgänge oder Steinschläge nieder. Völlig „verkehrsfrei“ ist die frühere Bahntrasse aber nicht. Teile wurden zur „Ciclovia Alpe Adria“ ausgebaut, jenem Radweg also, der in Salzburg beginnt und in Grado endet. Die asphaltierte Strecke führt direkt am Lost Place Tarvisio Centrale vorbei. Von den verlassenen Gebäuden nehmen allerdings die wenigsten Radfahrer Notiz, die gen Süden strampeln. Wer den Weg kennt, freut sich schon auf die Küche von Lucia Mischkot. Die hervorragende Köchin betreibt im alten Bahnhof des 11 Kilometer entfernten Örtchens Ugovizza die beliebte „Trattoria Alla Vecchia Stazione“. Ein Musterbeispiel dafür, wie – im Unterschied zu Tarvis – eine gelungene Nachnutzung aussehen kann.
AM RANDE
Auf dem Hügel östlich des ehemaligen Bahnhofs thront unübersehbar das 1909 errichtete Denkmal für die in den napoleonischen Kriegen in Kärnten gefallenen Soldaten. Das Monument liegt an einem Wanderweg, der in seinem weiteren Verlauf auf Stegen und Treppen durch die malerische Slizza-Schlucht führt. Slizza ist der slowenische Name für den Fluss Gailitz, der sich hier tief ins Gestein gegraben hat.
Ausgangspunkt für die rund eineinhalbstündige Rundwanderung ist der Parkplatz in der Via Bamberga unterhalb des Bahnhofs Tarvisio Boscoverde (dem „Nachfolger“ von Tarvisio Centrale). Von dort folgt man dem Radweg nach Kranjska Gora – er verläuft hier ebenfalls entlang der alten Bahntrasse – zirka 200 Meter in nördlicher Richtung, bis eine Tafel links den Weg zum Kriegerdenkmal und zur Slizza-Schlucht weist.
Wichtig ist gutes Schuhwerk. Nach Niederschlägen sind die Holzstege noch rutschiger als sonst.
Die Trattoria Alla Vecchia Stazione befindet sich in Ugovizza direkt am Ciclovia Alpe Adria, ist aber auch mit dem Auto erreichbar (Via Stazione). Küche von 12 bis 19 Uhr, Mittwoch Ruhetag.
LOST PLACE
➜ Der verlassene Bahnhof Tarvisio Centrale liegt zwischen der Staatsgrenze und Tarvis direkt an den Staatsstraße SS13 beziehungsweise, wenn man mit dem Fahrrad kommt, unmittelbar an der Ciclovia Alpe Adria. Das Betreten des Gebäudes ist verboten. Einblicke sind aber von den nicht abgesperrten ehemaligen Bahnsteigen möglich, die sich auf der Ostseite des Areals befinden.
➜ Weitere Informationen über den Radweg: www.alpe-adria-radweg.com
CAVE DEL PREDIL
U-BAHN IN DEN KRIEG
Tief unter dem Predilpass verbindet ein fünf Kilometer langer Stollen Italien und Slowenien. Gebaut und als geheime unterirdische Verkehrsverbindung genutzt haben ihn aber einst Österreicher.
Neubauten sucht man in Cave del Predil vergeblich. Das Straßenbild prägen Industrieruinen und Wohnhäuser, die unübersehbar in die Jahre gekommen sind. Viele stehen leer. Noch mehr stehen zum Verkauf. Der Ort im Val del Rio del Lago (ursprünglich: Seebachtal) südlich von Tarvis ist, höflich formuliert, das Gegenteil von urban. Und doch hat es in Cave del Predil einst eine Art U-Bahn gegeben.
Wie Aufstieg und Fall des Dorfes hat dieser Umstand mit dem Bergbau zu tun, der nachweislich seit dem 14. Jahrhundert in der Gegend betrieben wurde. Bis das Gebiet zusammen mit dem Kanaltal 1918 Italien zugesprochen wurde, hieß die Siedlung Raibl. Unbestätigten Überlieferungen zufolge hat man sie nach einem der ersten hier tätigen Mineraliensucher, einem gewissen Herrn Rabl, benannt. Tatsache ist, dass er und seine „Nachfolger“ in den Stollen, die sie ins Gestein trieben, haufenweise fündig wurden. Raibl zählte rasch zu den bedeutendsten Bleibergwerken im gesamten Alpenraum.
Unterwegs in alten Stollen
Maschinenraum in der Tiefe des Bergwerks
1905 nahm man ein ehrgeiziges Projekt in Angriff. Zur Entwässerung der tiefsten