Die Zisser Einwohner, von denen nicht wenige bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die Eigenständigkeit ihrer Ortschaft betonten, waren seit Einrichtung der Dahlener Grundherrschaft ein Teil von dieser. Schon in den erhalten gebliebenen Erbbüchern vom Beginn des 15. Jahrhunderts werden sie in einer Reihe mit den Dahlenern als fronabhängige Steuerzahler aufgeführt. Der Name Zissen erinnert an den Gaunamen Nizizi, welcher westlich an den Gau der Daleminzier grenzte. Obwohl Zissen erst 1308 erstmalig urkundlich erwähnt wird, ist es, wie schon darauf hingewiesen wurde, vermutlich älter. In der benannten in Latein verfassten Urkunde (Fol. 1848) wird Zissen als „villa Zciscyn apud oppidum Dolen sita“, das heißt: „Dorf Zissen, bei der Stadt Dahlen gelegen“, bezeichnet. In einer weiteren Urkunde (Fol. 3517) vom 10. Februar 1359 heißt es: „Zcyssin in deme Dorf, das da legt vor Dolen“. Daraus kann man schließen, Zissen war zu jener Zeit immer noch ein selbstständiger Ort. Das von Prof. Dr. sc. Lothar Parade im Buch „Dahlener Heide – Kulturgeschichtliche Streifzüge“ genannte Jahr 1213 der Ersterwähnung von „Zizzin“ konnte allerdings trotz umfangreicher Recherchen durch keine andere Quelle bestätigt werden und muss daher fraglich bleiben7.
Im Stadtbuch von 1429 wird Zissen erstmals als zur Stadt Dahlen gehörig bezeichnet. Dies ist allerdings nicht sicher, denn einer handschriftlichen Karte aus dem Jahr 1621 von B. Zimmermann kann man entnehmen, dass Zissen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer noch selbstständig gewesen sein könnte. Auf dieser Karte, welche die Dahlener Gegend darstellt, ist Zissen noch eindeutig als eigenständige Gemeinde zu erkennen. Ein paar Jahrzehnte später, in einer Steuermatrikel des sächsischen Finanzarchivs von 1683 (Fol. 2440), werden das Städtlein Dahlen-Zissen und das Dorf Schmannewitz aufgeführt. An Hand der erhalten gebliebenen sogenannten Stadtbücher (Erbbücher) kann man diesen Übergang allerdings nicht erkennen. Sowohl in dem Buch von 1610 als auch in der Ausgabe von 1777 sind die Zisser Bauern immer extra aufgeführt.
Das Flurbuch vom „Städtchen Dahlen und Zissen 1775“ bringt uns auch nicht entscheidend weiter. Hierin steht: „Zum Städtlein Dahlen gehöret das an selbigem anliegende Dorf Zissen. Ob nun wohl solches von Alters her als ein separates Dorf mag seyn betrachtet worden“. Ferner steht geschrieben, dass es bis „dato seinen besonderen Richter und Schöppen (Schöffen) hat“. Das heißt also, dass man 1775 zwar eingemeindet war, aber immer noch eine eigene niedere Gerichtsbarkeit ausübte. Selbst in den Jahren 1834/35 traten die Zisser Bauern als selbstständige Verhandlungspartner wegen der Hutungsablösung8 gegenüber dem Grundherren auf.
Auf eine Anfrage, die Vertreter der Stadt Dahlen um 1910 an die Verwaltung des königlichen Staatsarchivs betreffs Klärung dieses Sachverhaltes richteten, kam die Antwort, „daß sich über die Einverleibung Zissens in Dahlen nichts hat auffinden, noch überhaupt genauer ermitteln lassen, wann diese Vereinigung stattgefunden hat“.
Dahlen wird zur Stadt
Gehen wir noch einmal zurück in die Zeit des Hochmittelalters, des 11. und 12. Jahrhunderts. In dieser Epoche fanden die Kreuzzüge nach dem Orient statt. Was aber ursprünglich nur als eine militärische Aktion angelegt war, brachte durch den Kontakt mit der zu jener Zeit wirtschaftlich und kulturell wesentlich höher entwickelten orientalischen Kultur für das bis dahin weitgehend isolierte Westeuropa einen enormen Innovationsschub. Das 12. und die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts war aber auch eine Zeit, in der in Mitteleuropa besonders günstiges Klima herrschte. Hierdurch wiederum sankt der Arbeitsaufwand in der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Ertragssteigerung. Die bäuerlichen Wirtschaften, die bisher nur für den Eigenbedarf und für den Feudalherrn produzierten, begannen nun Güter für den Markt herzustellen. Es bildeten sich zunehmend Handwerke heraus und der Handel blühte auf. Die wenigen schon vorhandenen Städte wurden größer. Aus zahlreichen ländlichen Zentren, die bis dahin reinen administrativen oder militärischen Charakter hatten, bildeten sich Städte. Die Stadt als Mittelpunkt von Handel und Gewerbe wurde von dieser Zeit an zu einem wesentlichen Element der mittelalterlichen Wirtschaft. Somit ist es kein Zufall, dass genau in diese Epoche die Stadtwerdung von Dahlen, aber auch zahlreicher anderer Orte in der näheren und weiteren Umgebung Sachsens und des gesamten deutschen Reiches fällt.
Über die Verleihung des Stadt- bzw. Marktrechts für die Stadt Dahlen existiert offensichtlich keine Urkunde. Es ist auch nicht anzunehmen, dass man eine solche Urkunde von Dahlen noch entdeckt, da über Vorgänge wie Verleihung eines Stadtrechts im Mittelalter meist keine Urkunden ausgestellt wurden. Außerdem muss man in Betracht ziehen, dass die bis heute erhaltenen Urkunden oft nur zufällig erhalten wurden. Ein sehr großer Teil der alten Dokumente sind nach heutigem Recht obendrein als Fälschungen zu betrachten, da sie oft im Nachhinein angefertigt wurden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Das soll aber nicht heißen, dass der Inhalt solcher Schriftsätze grundsätzlich falsch ist.
Die früheste Urkunde, in welcher Dahlen erstmalig als Stadt bezeichnet wird, ist auf das Jahr 1210 datiert. Dabei handelt es sich um einen Vertrag zwischen dem Markgrafen Dietrich von Meißen (1197–1221) und dem Bischof Engelhardt (1206–1242) von Naumburg. Darin wurden Territorialstreitigkeiten geregelt. Das Original befindet sich im Naumburger Domstift. In dieser Urkunde steht unter anderem:
Die Urkunde der frühesten Benennung von Dahlen als Stadt aus dem Jahr 1210
„Compositio facta inter Dominum Theodoricum, Marchionem Misniae, et Engelhardum Episcopum Nuenburgensum, super quibusdam bonis, sitis i ueta Albiam. In nomine sandae et individuae trinitatis. Theodorius Deigralia Marchio Misnensis. Port mortem di lecti consang ninei Nostri, Cunradi, Marchionis Orientalis talis inter Dominum Nostrum Engelhardum, Nuernburgusem Episcopum, et nos compositio facta est, Anod Dominus Episcopus Nobis concenit medietatem omnium utilitatum in Doleyen. Villam Malsin habebit Episcopus, villas wolframmstorf et Dideritestorf habebimus Nos de mann Episcopi, si ad Ecclesiam pertinent, sin autem (non) tenebimus inre proprietatis. Parochiam in Doleyen, Curiam et pomerium, habebit Episcopus. Medietatem monetae in Strelen et Adcocatiam super Civitatem Strelen tenebimus de mann Episcop…”
Das heißt: „Vertrag zwischen dem Herrn Dietrich, Markgraf von Meißen, und Engelhardt, Bischof von Naumburg, über einige Besitzungen in der Nähe der Elbe. Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit. Dietrich, von Gottes Gnaden Markgraf von Meißen, nach dem Tode unseres lieben Verwandten Conrad (= der Vorgänger Dietrichs als Markgraf von Meißen = der Verfasser), Markgrafen der Osterlande (im Osten liegendes Land) wurde zwischen unserem Bischof Engelhardt von Naumburg und Uns festgelegt, dass uns der Bischof die Hälfte aller Nutzungen in „Doleyen” einräumt. Das Dorf Malsen (gehört heute zu Lampertswalde) erhält der Bischof. Die Dörfer Wolfersdorf und Dittersdorf werden wir als Lehen des Bischofs erhalten, wenn sie zur Kirche gehören. Wenn sie nicht zur Kirche gehören, werden sie uns zu eigen übertragen. Der Pfarrsprengel in Dahlen aber, das Rathaus und das Stadtgebiet (!) sowie der Hof und der Baumgarten9 gehören dem Bischof.“ Damit wird das Patronatsrecht des Naumburger Bischofs über Dahlen bestätigt.
Weiterer Inhalt des Vertrages sind Rechte an anderen Besitzungen sowie die Nutzung der Münzstätte Strehla. Hierbei sollte der landschaftliche Besitz von Strehla und Dahlen zwischen Markgraf und Bischof geteilt werden. Während Dahlen nun ein selbstständiges Kirchsprengel10 war, gehörte der Ort aber immer noch zum Gerichtsbezirk des Burgwartes Strehla.
Man kann es somit als erwiesen betrachten, dass Dahlen