So, das war‘s, Kalmamad blieb stur. Er wollte nur seine Rache und würde sich nicht mit weniger zufrieden geben. Es gab nur einen Weg, ich musste mich locker halten.
Es ist ein Scheißding, diese Peitsche. Wenn sie zum ersten Mal auf die Haut trifft, ist es wie ein Schock. So, als ob man einen Stromschlag bekommt oder jemand legt plötzlich ein Stück Eis auf den Rücken. Es dauert 2 Sekunden, dann wird die Stelle heiß. Es fühlt sich an wie tausend kleine Nadelstiche auf der Haut. Sie brennt und der Schmerz frisst sich ins Fleisch.
Was konnte ich noch tun? Ich hatte mir geschworen, dass ich dieses Mal, egal wie schmerzhaft es war, nicht schreien würde.
Wenn mich Yalda noch einmal heulen hörte, was sollte sie von mir denken?
Nein! Es wäre alles zu Ende. Das brächte mir noch größere Schmerzen als die Peitsche.
Ich dachte an meine Mutter. Sie sagte immer: „Gott liebt die Kinder und ihre Gebete werden schnell erhört.“
Da begann ich leise zu beten: „Oh, lieber Gott, hilf mir! Bitte, bitte hilf mir. Nur dieses Mal!
Rette mich vor der Hand meines Vaters … Oder wenn du mich nicht retten kannst, mach wenigstens irgendwas, dass es nicht so weh tut. … Du weißt doch, Yalda soll mein Weinen nicht hören. …
Großer Gott, wenn du mir hilfst, verspreche ich, ich werde mich revanchieren.
Gleich morgen gehe ich zum heiligen Imam Reza und opfere seinen Tauben ein Pfund Weizen.“
Wir hatten den Eingang zu unserer Gasse erreicht. Von Weitem hörte ich ein undeutliches Gemurmel. Wir sahen einige Leute, die verwirrt zu der Menschenmasse hinrannten.
Fast alle Einwohner unseres Viertels versammelten sich vor der Haustür von Yaldas Familie.
In dem Moment lief Adels Vater an uns vorbei, schaute kurz und blieb stehen.
Adels Vater: „Warum ziehst du den Jungen am Ohr, Kalmamad?!“
Kalmamad: „Hm, … Er hat Pflaumen geklaut.“
Adels Vater: „Ach, Kalmamad! … Unsere Jungs kämpfen und opfern sich für diese Kinder und du regst dich auf wegen ein paar Edelpflaumen?! … Schäm dich! … Lass ihn los, ich gebe dir das Geld für deine Pflaumen.“
Endlich verteidigte mich jemand. Ich schöpfte Hoffnung und mit ganzem Mut sagte ich:
„Ich habe auch gesagt, ich geb ihm meine Sparbüchse.“
Kalmamad zog wieder stärker an meinem Ohr: „Nein, ich muss ihn direkt in die Hände seines Vaters übergeben.“
Adels Vater: „Lass sein Ohr los! Was sollen die Leute von dir denken, Kalmamad, wenn sie dich so sehen.
Heute haben sie einen Märtyrer in dieses Viertel gebracht. … Hab’ wenigstens Respekt vor ihm.“
Adels Vater steckte einen Geldschein in Kalmamads Tasche. Kalmamad schaute kurz auf den Schein und mit Wut wieder auf mich. Er steckte das Geld ein und ließ widerwillig mein Ohr los.
Kalmamad: „Märtyrer?! … Wer?! … Wer ist tot?“
Ich hatte noch nicht richtig verstanden, was passiert war. Mein Ohr war immer noch heiß und pulsierte. Adels Vater zeigte auf Yaldas Haus.
Adels Vater: „Vor zwei Stunden brachten sie die Nachricht an seine Mutter. Der arme Mensch.
Er war noch sehr jung. … Siawash Irani … Gott gebe seiner Familie Kraft.“
Der Name Siawash ließ mich aufhorchen. Ich sah auf die Lippen von Adels Vater, die sich weiter bewegten, aber außer einem langen Pfeifton in meinem Ohr hörte ich nichts weiter.
Ich rannte zur Menschenmenge. Das vermeintliche Gemurmel der Leute verwandelte sich in ein Schluchzen und Weinen. Ein schwarzes Tuch hing an der Haustür und darauf war ein Bild von Siawash in schwarz-weiß. Die schwarz gekleideten Leute standen an der Seite der Eingangstür.
Sie sagten nichts, sie taten nichts, sie standen einfach nur dort und schauten sich traurig an.
Von innen hörte ich ein Gewirr aus Weinen, Koran Lesen und Klagen.
In meinem Kopf entstand das Lied vom Tod.
Ich ging zwischen den Menschen hindurch ins Haus.
Zuerst nahm ich den starken Geruch von Kaffee wahr, dann roch es nach Rosenwasser.
In diesem Durcheinander war ich das einzige Kind, das nach etwas suchte.
Die Nachbarfrauen saßen im Wohnzimmer und lasen Gebete aus dem Koran.
Ein dickes schwarzes Tuch bedeckte das Grammophon und all die Bücher.
Wie schnell änderte sich alles. Ich suchte im ganzen Haus nach ihr. Die fremden Leute schauten mich ernst an, als wollten sie mich mit ihrem Blick fragen: „Was hast du hier zu suchen?“
Vom Korridor aus ging ich weiter und erreichte den Garten hinter dem Haus.
Yalda saß in einer Ecke an einem abgeschiedenen Platz.
Wie traurig sie aussah in diesem schwarzen Kleid.
Ich setzte mich neben sie.
Ihre langen Wimpern waren noch nass.
Sie wollte nicht reden.
Sie schaute mich einen Augenblick an, dann vergrub sie das Gesicht in ihren Händen.
Mariwan: „Willst du allein sein?“
Yalda: „Die haben Siawash getötet!“
Mariwan: „Ich weiß.“
Yalda: „Mariwan! Du gehst nicht in den Krieg!“
Jetzt wusste ich, dass es auf dieser Welt Sachen gibt, die einen Menschen mehr verletzen als die Peitsche. Ich schaute in Yaldas verweinte Augen und hätte alles dafür gegeben, wenn Siawash noch am Leben wäre.
Die Frau des Mullah Khozeyme näherte sich uns.
Sie war eine der vielen weiblichen Basiji, die die Revolutionsgarde überall unterstützten.
Sie trug ein schwarzes Kopftuch, das so gebunden war, dass nur ihre lange Nase und ihre strengen Augen hervorschauten. Sie reichte Yalda ein langes schwarzes Kopftuch.
Khozeymes Frau: „Bedecke deine Haare, mein Kind. Du bist doch erwachsen geworden.
Es sollen keine Fremden deine Haare sehen.“
Dann sah sie mich mit einem bösen Blick an.
Khozeymes Frau: „Was machst du denn hier?! Geh zu den Männern!“
Mariwan: „Was hab ich getan? Ich sitze doch nur hier.“
Khozeymes Frau: „Das ist Sünde, wenn ein Mann bei einem Mädchen sitzt.“
Mariwan: „Warum Sünde? Yalda und ich sind Freunde.“
Khozeymes Frau: „Steh auf! Wie redest du überhaupt mit mir. ‚Wir sind Freunde‘ Ha!
Wie können Mädchen und Jungen Freunde sein?!”
Mariwan „Wir sind aber Freunde.“
Khozeymes Frau: „Jetzt raus mit dir, aber schnell. Hier gibt es keinen Platz für Männer.
Frauen und Männer müssen getrennt bleiben.