Meine Geparden sind auf dem Weg. Vahid Monjezi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vahid Monjezi
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783954885893
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      Yalda: „Ich höre immer dein Schreien … Was hast du schlimmes getan?“

      Mariwan: „Nix.“

      Yalda: „Warum schlägt er dich dann?“

      Mariwan: „Ich weiß nicht.“

      Yalda: „Hast du große Schmerzen?“

      Mariwan: „Geht schon.“

      Yalda: „Was ist mit deinen Augen passiert?“

      Ich fasste an die Stelle, die sie mir zeigte. An meinen Augenbrauen war ein großer Bluterguss entstanden, so groß wie eine Murmel. Wahrscheinlich durch die Gürtelschnalle.

      Sie fragte wieder: „Dein Vater ist ein schlechter Mensch, stimmt‘s?“

      Mariwan: „Ich weiß nicht.“

      Sie nahm meine Hand und lächelte mich an: „Meine Mutti ist Krankenschwester. Sie sagte, du sollst zu uns rein kommen, damit sie sich die Wunde ansehen kann.“

      Ich drehte meinen Kopf leicht nach oben, um sie besser sehen zu können.

      Ihre langen Haare lagen über ihren Schultern. Sie hatte eine gelbe Bluse an mit kleinen rosa Blümchen. Wenn sie redete, sah ich das strahlende Leben in ihrem Gesicht.

      Sie zog an meiner Hand: „Komm schon!“

      Ich ging mit Yalda in das Haus. Dort wartete ihre Mutter auf uns. Eine nette Frau Anfang vierzig.

      Geduldig reinigte sie meine Wunde. Yalda saß neben uns und schaute neugierig zu.

      Ein sanftes gelbes Licht füllte das Zimmer.

      Eine Schallplatte drehte sich und es erklang eine wunderschöne alte Melodie.

      Yaldas Mutter öffnete eine kleine grüne Flasche und ich roch den beißenden Geruch von Jod.

      Sie nahm einen Wattebausch, gab etwas von der Flüssigkeit darauf und näherte sich damit meinem Gesicht.

      Yaldas Mutter: „Es brennt ein bisschen, aber es hilft.“

      Uns gegenüber stand ein Schrank mit mehreren Büchern und einigen Bildern. Auf einem der Bilder lachte Yaldas Mutter neben einem Mann, der einen Schnauzbart trug.

      Yalda schaute interessiert zu als ihre Mutter meine Stirn verband.

      Yalda: „Wie niedlich.“

      Ich fragte: „Wer ist das auf dem Bild?“

      Ihr Lächeln war verschwunden, sie flüsterte: „Mein Papa.“

      Mariwan: „Warum habe ich ihn noch nie gesehen?“

      Yalda: „Er ist tot. Bei der Revolution(6) haben die ihn umgebracht.“

      Mariwan: „Was hat er getan?“

      Yalda: „Nix … Er hatte nur Bücher gelesen.“

      Mariwan: „Wer hat ihn getötet?“

      Sie schaute zu ihrer Mutter, ich denke Yalda wusste es auch nicht.

      Ihre Mutter befestigte den Verband auf meinem Kopf, holte tief Luft und sagte:

      „Die Wahnsinnigen.“

      Yaldas Mutter warf einen Blick auf das Bild und strich mir sanft über das Haar: „Ist es dir nicht zu straff?“

      Mariwan: „Nein, ist schon o.k.“

      Yalda ging zu dem Schrank und holte ein Foto. Sie zeigte es mir: „Schau mal. Das ist mein Bruder Siawash. Er ist Student.“

      Ich hatte ihn früher öfter in unserem Viertel gesehen. Er war etwa 20 Jahre alt, ziemlich schlank und hatte eine Brille. Er trug meistens eine grüne Soldatenjacke.

      Yalda: „Niemand auf dieser Welt ist so lieb wie Siawash. - Stimmt’s Mama?“

      Yaldas Mutter: „Weil er dich immer mit ins Kino nimmt, deshalb, du Schlingel.“

      Yalda: „Nein, nicht nur deswegen. Er erzählt mir immer schöne Märchen. … Er kennt so viele Geschichten … Uff … Das Märchen vom kleinen schwarzen Fisch oder das vom Zauberer von Pos.“

      Yaldas Mutter: „Nicht Pos, Oz!“

      Yalda: „Ja, der! … und die Märchen von Ali Baba und den vielen Räubern. … Oh, der kennt so viele Geschichten.“

      Yaldas Mutter lachte.

      Ich fragte: „Wann kommt er nach Hause?“

      Yalda: „Er kommt jetzt nicht, er ist an der Front. … Er kommt erst nächsten Monat wieder und bringt mir aus dem Feld leere Patronen mit … Wir wollen damit Vasen basteln.“

      Mariwan: „Wie, aus leeren Patronen?!“

      Yalda: „Na klar. … Die muss man gut waschen, richtig gut waschen, dass sie nicht mehr nach dem schwarzen Pulver riechen. Dann müssen sie gut geputzt werden, dass sie glänzen. Wir binden sie alle mit Draht zusammen, dass sie nicht wieder fliehen können. Mein Bruder weiß wie das geht.“

      Mariwan: „Was muss er an der Front machen?“

      Yalda: „Er kämpft mit Saddam(7) … und sammelt leere Patronen.“

      Mariwan: „Warum muss er kämpfen?“

      Einen Moment schwieg sie, dann zuckte sie mit ihren Schultern und schaute zu ihrer Mutter.

      Yalda: „Mama, warum muss Siawash kämpfen?“

      Yaldas Mutter: „Unser Land ist angegriffen worden, der Irak bombardiert jeden Tag unsere Städte. … Siawash ist wie viele andere Männer auch in den Krieg gegangen, um unser Land gegen die Feinde zu verteidigen.“

      Yalda: „Warum hat Saddam Iran angegriffen?“

      Yaldas Mutter: „Weil er ein Wahnsinniger ist.“

      Yalda: „Mama, wie viele Wahnsinnige gibt es auf der Welt?“

      Yaldas Mutter: „Zu viele, mein Schatz.“

      Yalda: „Wie viele sind zu viele?“

      Yaldas Mutter: „Zu viele sind mehr als wir zählen können.“

      Yalda: „Mama, was bedeutet das. … Heißt das, dass die Wahnsinnigen nie alle werden?“

      Ich sah Yaldas Mutter sehr traurig. Vielleicht dachte sie an ihren Sohn.

      Ich sagte mit Stolz: „Wenn ich groß bin, geh‘ ich auch zum Krieg und bringe Siawash mit nach Hause.“

      Sie lächelte: „Ich hoffe, dass bis dahin dieser Krieg zu Ende ist.“

      Yaldas Mutter räumte das Verbandsmaterial zurück in die Schachtel, nahm das Foto von Siawash in die Hand und schaute ihn nachdenklich an. Sie atmete sehr tief, ging mit dem Bild zum Schrank und stellte es neben das Foto ihres Mannes.

      Mariwan: „Krieg ist etwas Schlechtes, oder?“

      Sie drehte sich zu mir um und hielt einen Moment inne.

      Yaldas Mutter: „Der Krieg vernichtet alles, alles. Die