Meine Geparden sind auf dem Weg. Vahid Monjezi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vahid Monjezi
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783954885893
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anderes übrigbleibt als zu kämpfen.“

      Kalmamad schraubte wieder an meinem Ohr und brachte mich so in die Gegenwart zurück.

      Kalmamad: „Wir sind jetzt gleich in eurem Viertel.“

      Mariwan: „Zur Hölle!“

      Kalmamad: „Haaa! Bist du mutig geworden?! Was ist passiert, du bettelst ja gar nicht mehr?!

      … Jetzt werden wir ja sehen, wenn du deinen Vater siehst. Da laufen deine Tränen von ganz allein.“

      Er lachte hämisch.

      Bei dem Lachen roch ich wieder diesen ekligen Atem, der mich fast zum Kotzen brachte.

      Mir fiel etwas ein. Ich musste mich locker halten. Locker, das die Gürtelschläge, wenn sie auf meinem Körper treffen, weniger schmerzen.

      Letzte Woche gab es ein öffentliches Auspeitschen am Eingang unserer Gasse. Ein Junge wurde beschuldigt, Alkohol getrunken zu haben.

      Er war vielleicht gerade 18 Jahre alt. Ein stattlicher und gutaussehender junger Mann, aber seine Augen strahlten tiefes Leid und Verzweiflung aus.

      Die Basiji* hatten ihn mit einem dicken Seil an einen Laternenmast gebunden und sein Hemd bis auf die Hüfte heruntergerissen. Wie immer kamen viele Schaulustige, dieses „Schauspiel“ zu verfolgen.

      Ein Mullah stellte sich auf ein Podest, schaute auf einen Zettel und redete durch ein Megaphon.

      Er begründete mit Auszügen aus der Scharia(8) die Verwerflichkeit des Alkoholtrinkens.

      Mullah: „Allah hat uns im Koran befohlen: ‚Schlagt die Ungläubigen. …‘ Was bedeutet das?! … Weiß das jemand von euch?! … Nein?! … Ich sage es euch! Es bedeutet, bekämpft die Alkoholtrinkerei und Verdorbenheit. Das ist genauso wichtig, wie auf dem Schlachtfeld zu kämpfen.

      Wir sind es dem Islam schuldig, diejenigen, die unsere islamischen Werte beschmutzen wollen, ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“

      Ein paar Leute schrien: „Allah o Akbar*!“

      Sie schleuderten ihre Arme mit den geballten Fäusten mehrmals in die Luft.

      Der Mullah schaute zufrieden in die Menge und drehte an seinem Rosenkranz. Er murmelte ein Gebet vor sich hin und mit seinem erhobenen Zeigefinger gab er das Zeichen an einen Mann mit einer Maske.

      Der Henker nahm seine Peitsche und strich mit auffallender Gestik die Lederriemen zurecht.

      Die Peitsche war etwas größer als des Vaters Gürtel. Aber, beide waren aus reinem Leder, aus Ochsenhaut. Der einzige Unterschied zur Peitsche waren die vielen kleinen Lederstreifen, die beim Schlagen tiefer in die Menschenhaut einschnitten.

      In dem Moment als der Henker die Peitsche hochnahm, schrie jemand:

      „Mach dich locker! Es schmerzt weniger.“

      Zwei Basiji, die neben dem Mullah standen, liefen eilig dorthin, wo die Stimme herkam.

      Sie suchten aber vergeblich zwischen den Leuten, denn der Rufende hatte sich in der Menge versteckt.

      Der Mullah schaute mit einem bösen Blick zum Henker und hob seinen Rosenkranz hoch.

      Der Henker ging einen Schritt zurück, holte aus, schwang seine Peitsche durch die Luft und rief:

      „Allah o Akbar“. Er schlug mit ganzer Kraft auf den nackten Rücken des Jungen.

      Man hörte einen erstickenden Schrei, denn der nächste Peitschenhieb umschlang den Hals des Jungen. Neben mir flüsterten zwei Leute miteinander.

      Der Erste: „Schau mal, wie grausam er den Jungen schlägt.“

      Der Zweite: „Das muss aber so sein, Bruder. Er muss ihn so stark schlagen, damit er es nie wieder vergisst.“

      Der Erste: „Ach, sag, hast du in deinem Leben nie Alkohol getrunken?“

      Der Zweite: „Allah vergib mir. Als ich jung war, habe ich ein paar Mal solches ‚Gift‘ gesoffen, aber na ja, ich habe es Allah gebeichtet und dem Mullah Achmad damals 1000 Toman(9) Opfer gegeben. Weißt du, wie viel Geld das damals war! Er hat mir vergeben.

      Das war’s schon und jetzt bin ich so rein und unschuldig wie ein Neugeborenes.“

      Der Erste: „Ja, ja, der Tod ist gerecht, aber nur für die Nachbarn. Sag an, wenn sie dich damals, als du noch nicht rein und unschuldig warst, festgenommen und ausgepeitscht hätten, würdest du heute auch noch so klug reden?!“

      Der Zweite: „Vergangenheit ist vergangen. Es war einmal in dieser gottlosen Zeit. Damals konnte jeder machen, was er wollte und es fragte niemand nach. In der verdammten Schah-Zeit gab es keine religiöse Beurteilung. Niemand achtete auf Allahs Regeln. Die Ungläubigen hatten für uns westliche Gesetze mitgebracht und wollten uns zum Narren machen. Aber Gott sei Dank, nach der islamischen Revolution ging alles wieder nach der islamischen Scharia. … Genau wie 1400 Jahre vorher, Inschallah.“

      Achtzigmal schwang sich die blutverschmierte Peitsche durch die Luft und sauste auf den Körper.

      Von dem Jungen hörte man keinen Laut mehr. Er kniete fast bewusstlos an dem Laternenmast, aber der Henker schlug weiter zu.

      Die Blutlache verteilte sich rund um ihn und gab der Laterne eine dunkelrote Farbe.

      Nach der Vollstreckung des Urteils kamen die zwei Basiji, banden das Seil auf, ergriffen den jungen Mann unter den Armen und schleiften ihn über die Straße.

      Der Mullah hob seine Hände Segen empfangend zum Himmel, betete und dankte Allah für diese Gelegenheit, sein Gesetz umzusetzen. Jemand aus der Menge schrie das Salawat(10).

      Die Leute gaben Ehrerbietung an den Propheten Mohammed und seine Kinder.

      „Ich muss mich locker halten.“

      Ich war sicher, wenn ich jetzt zu Hause abgeliefert würde, setzte das eine ordentliche Tracht Prügel. Die Version mit der Pflaumenklauerei, mit der mich Kalmamad verpetzen würde, gab dem Vater einen guten Grund, seine ganze Wut an mir auszulassen.

      Mariwan: „Kalmamad, wenn du mich freilässt, gebe ich dir meine Sparbüchse.“

      Kalmamad: „Sparbüchse?! … Wie viel ist drin?“

      Mariwan: „10 oder 12 Toman, denk ich.“

      Kalmamad: „Hm, das ist viel zu wenig.“

      Mariwan: „Es ist aber der zweifache oder sogar der dreifache Preis deiner Pflaumen.“

      Das war natürlich ein ganz blöder Spruch und der hätte mir nicht rausrutschen dürfen.

      Kalmamad: „Haaa! Jetzt ist es raus. Also doch. Jetzt hast du es zugegeben. Ihr habt doch meine Pflaumen geklaut.“

      Verdammt, wie dumm. Das war natürlich – Salz in die offene Wunde gestreut. Er zog kräftiger an meinen Ohren.

      Mariwan: „Auahh, ziehe nicht so! Auahh … Ich arbeite für dich den ganzen Sommer lang, gratis.

      Jetzt lass mich los.“

      Kalmamad: „Haaah, spürst du deinen Vater schon? Wir kommen eurem Haus immer näher.

      Mariwan: „Lass mich los! Ich mach alles, was du willst. Ich kehre deinen Garten oder füttere deinen Hund.“

      Kalmamad: „Es gibt nur eine Möglichkeit für mich, dich loszulassen. Die Namen deiner Freunde. … Wer waren die?!“

      Mariwan: „Ich