Mit dem Mut einer Frau. Jane Pejsa. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jane Pejsa
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783865064493
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Landwirtschaft zu verdienen.

      In seinen Träumen beschäftigte sich Robert auch mit der Aussicht auf Heirat, da er sich in Agnes von Rohr aus Dannenwalde verliebt hatte. Die Rohrs, eine alte, aristokratische Familie aus Brandenburg, standen dem König weit näher, als es die Zedlitz jemals taten. Nach Roberts Vorstellung war Agnes die geborene Herrin eines großen Landsitzes. Eine Karriere in der preußischen Armee verlor für ihn daher schnell ihren Reiz.

      Als zweiter Sohn Karl Eduards würde Robert ohnehin nie Erbe von Schwentnig werden, wenngleich es das einzige wirkliche Zuhause war, das er je gekannt hatte. Trotzdem schrieb er seinem Vater von seinen Hoffnungen und Träumen und Karl Eduard stellte vertraulich und diskret einige Nachforschungen an.

      Sofort nach Beendigung seines Aufenthalts als Offizier in Frankreich machte sich Robert mit dem Zug auf nach Schwentnig, durch Franken und Thüringen, durch Landstriche, die seine kriegerischen Vorfahren zu Fuß oder auf Pferden durchquert hatten, bis nach Schlesien zum Schloss Schwentnig. Karl Eduard hieß seinen Sohn willkommen und machte ihm folgenden Vorschlag: Er hatte soeben einen der schönsten Landsitze in ganz Schlesien erworben, das 1 700 Morgen große Gut Niedergroßenborau (im Folgenden Gro­ßenborau genannt). Dies sollte sein Hochzeitsgeschenk für Robert sein, der es verwalten und später erben sollte unter der Bedingung, das Gut niemals zu verkaufen, zu teilen oder Hypotheken auf das Land aufzunehmen. Der Vorschlag wur­de ohne Einschränkung angenommen.

      So waren Roberts Tage als Junggeselle und Soldat fast zu Ende. Vor ihm lag die vorhersehbare Zukunft eines Familienvaters und preußischen Landbesitzers. Im Europa des 19. Jahrhunderts jedoch war die Zukunft alles andere als vorhersehbar geworden.

      Die Gräfin von Grossenborau

       1867 –1886

      »Konts Ruth«

      Früh an einem kalten Februarmorgen werden die Bauern in Großenborau vom Läuten der Kirchenglocken geweckt. Die meisten von ihnen eilen zum Hoftor des Gutshauses, wo die Hausdame, ein breites Lächeln auf dem Gesicht, bereits wartet. Seit Robert und Agnes, Graf und Gräfin von Zedlitz und Trützschler, als frisch getrautes Ehepaar in Großenborau einzogen, ist es das dritte Mal. Damals betrachteten die stolzen Dorfbewohner die neuen Herrschaften mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst – Hoffnung, der neue Besitzer des alten Guts würde Reformen einführen, um so die kränkelnde Landwirtschaft zu retten, und Angst, er könnte dieser streng katholischen Gemeinde den evangelisch-lutherischen Glauben aufzwingen. Ihre Hoffnungen wurden bald erfüllt, ihre Ängste aber zerstreut. Großenborau hat noch immer ­sei­nen katho­lischen Priester. Unter der Aufsicht von Graf Robert wurde sogar die alte Fachwerkkirche renoviert und neu ausgestaltet.

      Die Kirche, nur durch einen bescheidenen Friedhof vom Gutshaus getrennt, ist so nah, dass die Hausdame es nicht vermag, sich bei dem Glockengeläut Gehör zu verschaffen. Die Dorfbewohner jedoch sind geduldig – ein Charakterzug, der sich im Laufe der Jahrhunderte des Feudalismus in diesem alten Land entwickelt hat. Sie wissen, der Priester wird die Glocken erst verstummen lassen, wenn seiner Meinung nach eine hinreichend große Menschenmenge zusammengekommen ist.

      Als die Glocken endlich schweigen, erhebt die Hausdame die Stimme. Mit der ihrer herausgehobenen Position in der Dienstbotenhierarchie des Hauses angemessenen Selbstsicherheit verkündet sie, es sei ihr eine Ehre, die Geburt eines kräftigen und gesunden Mädchens mitzuteilen. Ihr Name werde Ruth sein. Ein überraschtes Murmeln geht durch die Menge – Ruth, ein biblischer Name; wie ungewöhnlich, dass die schlesische Aristokratie einen Namen aus dem Alten Testament wählt! Dennoch, einige Jubelrufe ertönen aus der Menge, dann gehen die Männer an ihre Arbeit und die Frauen eilen nach Hause. An diesem Tag wird wenig gearbeitet werden, denn jeder im Dorf wird die Geburt auf die eine oder andere Weise feiern.

      Einen Monat nach ihrer Geburt wird die kleine Komtess Ruth von Zedlitz und Trützschler von einem Kindermädchen auf die Taufe in der Familienkapelle vorbereitet. Für die Familien von Robert und Agnes sind Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse mehr als nur religiöse Ereignisse, sie dienen auch dazu, die Bindungen zu festigen, die nicht nur Familien, sondern ihre ganze soziale Schicht zusammenhalten. Aus Schwentnig und aus Dannenwalde, aus Frankenstein, ­Altenburg und Frauenhain – von den großen Gütern Schlesiens, Thüringens und Brandenburgs – kommen die Tanten und Onkel, Vettern, Cousinen und Pateneltern am nahe gelegenen Bahnhof Freystadt an, wo sie vom Kutscher im Lan­dauer des Gutes abgeholt werden. Robert fährt persönlich zweimal die Strecke, zuerst, um die Gäste aus Dannenwalde, Agnes’ Eltern, abzuholen und ihnen zu versichern, dass ihre Tochter bei guter Gesundheit sei, und dann, um seinen Vater Karl Eduard aus Schwentnig willkommen zu heißen. Kaum sitzt der alte Graf im Wagen, erkundigt er sich schon nach dem Namen des Kindes. »Ruth«, antwortet sein Sohn. Karl Eduard ist verblüfft. Diesen Namen gab es noch nie in der Familie – warum also gerade jetzt? Bestimmt, jedoch freundlich erklärt Robert seinem Vater: »Du solltest noch einmal das Alte Testament und die Geschichte der Moabiterin Ruth lesen. Dies ist auch die Geschichte unseres Volkes – ›Treue bis zum Tode‹.« Der Vater verstummt, vielleicht weil er mit ihm übereinstimmt, vielleicht aber auch, weil er weiß, dass er kein Recht hat, sich hier einzumischen.

      Der Pastor aus Freystadt ist in Begleitung seiner Frau mit der Kutsche gekommen, um den Taufgottesdienst abzuhalten. Für die meisten Pastoren in Preußen ist eine Taufe in der Aris­tokratie ein ganz besonders willkommenes Geschenk. Im Gegensatz zu den katholischen Priestern, die oft die zweit­ältesten Söhne polnischer oder österreichischer Aristokraten sind, stammen die protestantischen Pfarrer Preußens aus den kleineren und größeren Städten der Provinzen. Oft sind es Söhne von Kaufleuten oder schlecht bezahlten Lehrern. Pfarrer zu werden, ist also ein Schritt nach oben. Pfarrer an einer Kirche des Landadels zu sein, bedeutet jedoch ein isoliertes, spartanisches Leben auf dem Lande. Daher sind solche religiösen Festtage, an denen die Aristokratie zusammenkommt, willkommene und glanzvolle Abwechslung im Leben der Dorfpfarrer und ihrer Frauen. Auf den Pastor von Freystadt trifft das offensichtlich ganz besonders zu.

      Heute wird in allen Öfen des großen Hauses Feuer entfacht und das größte Kaminfeuer brennt in der großen Festhalle, die zu Ehren des alten Grafen Karl Eduard in den Farben Schwarz und Gold der Familie Zedlitz geschmückt ist.

      Außer dem Pastor, den Familienmitgliedern und den Pateneltern befindet sich noch ein weiterer, etwas unerwarteter Gast in der Festhalle, der manchen persönlich, jedoch allen dem Namen nach bekannt ist. Es ist Otto von Bismarck, Ministerpräsident von Preußen. Als Robert hörte, dass Bismarck kurz vor der Taufe auf Staatsbesuch in Schlesien sein würde, lud er seinen alten Freund kurzerhand ein und dieser nahm die Einladung an.

      Otto von Bismarck steht dem preußischen König Wilhelm I. als sein engster innenpolitischer Berater von allen anderen Politikern am nächsten. Mit seiner Außenpolitik mach­te er Preußen zu einem ebenbürtigen Rivalen des Habsburger Reiches und Frankreichs unter Napoleon III. In den Kreisen der Zedlitz und Trützschler lässt allein das Erwähnen des Namens Bismarck die Herzen höher schlagen. Seine Anwesenheit bei der Taufe der kleinen Ruth verleiht diesem an sich schon bedeutenden Ereignis noch mehr Glanz.

      Endlich betreten der Graf und die Gräfin mit ihren beiden Kindern Robert und Lisa an der Hand die Halle. Ihnen folgen Pate und Patin mit der friedlich schlummernden Ruth auf dem Arm, einem kleinen Bündel, in ein langes Taufkleid ­gehüllt, das vor ihr schon mindestens zehn Kinder aus drei Generationen bei der Taufe getragen haben. Die Gäste treten zur Seite und machen der kleinen Prozession den Weg frei in die Familienkapelle. Der Pastor, die Bibel in der Hand, eröffnet die Zeremonie mit einem Bittgebet und einer Lesung aus dem Neuen Testament. Danach sprechen zuerst die Eltern und dann die Pateneltern das Taufgelübde. Der Pastor taucht seine Hand in das Taufbecken und berührt die Stirn des Kindes. »Ich taufe dich Ruth … im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Die Zeremonie endet mit einer Segnung und erst nach dem Amen fängt Ruth an zu weinen. Ein Kindermädchen führt die beiden anderen Kinder aus der Kapelle hinaus. Das Kind wird der Mutter in die Arme gelegt, nun beruhigt es sich wieder.

      Einer nach dem anderen kommen die Gäste zum Gratulieren, je nach Art des Verhältnisses mit einem Händedruck, einer Umarmung oder einem Kuss. Der Ministerpräsident, der ja nicht