Gott kann von Seiner erhabenen Stellung aus auf eine ganze Welt herabschauen und zur gleichen Zeit jedes Land, jeden Kontinent und jedes Inselchen sehen. Wenn wir nur den genügenden Abstand nehmen könnten, dann sähen wir die Welt so, wie Jesus sie sah. Aber einige von uns sind niemals gereist und haben auch nie denen zugehört, die weit herumgekommen sind. Wir lernen keine Geografie. Wir wissen nur wenig von dem, was sich außerhalb von unserem Blickfeld zuträgt.
Woher kommt es nur, dass wir uns für das patente Volk halten, dem eine weitaus größere Bedeutung zukommt als irgendeinem anderen Volk der Welt? Ich kann kommen, wohin ich will, überall stoße ich auf die gleiche Überzeugung. Als ich in Großbritannien war, fand ich die gleiche Meinung: »Wir sind das Volk.« Als ich nach Australien und Neuseeland kam, genau dieselbe Geschichte: »Wir sind das Volk.« Wenn ich durch die Vereinigten Staaten fahre, kann ich es von allen Seiten hören: »Auf uns kommt’s an, wir sind das Volk.« Ich war einmal auf einer winzig kleinen Insel im Pazifischen Ozean, und selbst da sagten die Eingeborenen zu mir: »Wir sind die Leute, die allein zählen.« In ihrer Unterhaltung mit mir hieß es ungefähr so: »Wie kommt es nur, dass ihr Amerikaner so weit abseits wohnen müsst, gerade noch an der äußersten Grenze der Zivilisation? Warum wohnt ihr nicht näher bei dem Zentrum aller Dinge?« Ihre Meinung war die, dass wir Briten und Amerikaner gerade noch an dem allerletzten Zipfel der Zivilisation hängen und sie, diese Eingeborenen auf dem Inselchen im Pazifischen Ozean, im Angelpunkt der Welt leben. Die Schwierigkeit liegt eben darin, dass ihr Blick viel zu örtlich begrenzt war, sie hatten keine Weltperspektive. Sie hielten sich für das Volk der Welt, das allein die ausschlaggebende Bedeutung besitze.
Ob wir uns wohl deshalb für besonders wichtig halten, weil wir vielleicht glauben, zahlenmäßig die stärkste Nation zu sein? Manchen von uns ist die Tatsache wohl nicht ganz bewusst geworden, dass es auf der Welt noch andere Nationen mit größerer Bevölkerungszahl gibt, dass wir nicht die einzigen Edelsteine in der Krone der Schöpfung sind.
Ich war in Niederländisch-Ostindien und bereiste die Insel Java. In etwa zwölf Stunden konnte ich sie von einem Ende zum andern durchqueren und von Norden nach Süden etwa in vier Stunden. Ob man es mir wohl glaubt, dass Java zu den Gebieten mit der größten Bevölkerungsdichte der Erdoberfläche gehört? Auf dieser kleinen Insel leben fünfzig Millionen Menschen. Man könnte Java fünfzehnmal in Kanada hineinstecken und dabei noch viel Platz übrig behalten, und doch hat Java fast ein Drittel der Bevölkerungszahl der Vereinigten Staaten. Wenn Gott ein Interesse an Zahlen hätte, dann müsste Ihm Java bestimmt mehr am Herzen liegen als mein Vaterland, das Dominion Kanada; denn den achtzehn Millionen Einwohnern von Kanada stehen, wie bereits erwähnt, fünfzig Millionen in Java gegenüber.
Wäre Gott an Zahlen interessiert, dann müsste Ihm an den Vereinigten Staaten mehr liegen als an Java; denn wenn Java auch fünfzig Millionen Einwohner hat, so sind es doch in den Vereinigten Staaten von Amerika einhundertundachtzig Millionen. Und wiederum, sollte Gott ein Interesse an Zahlen haben, so müsste Er mehr Anteil an Russland als an den Vereinigten Staaten nehmen; denn den einhundertundachtzig Millionen Einwohnern der Vereinigten Staaten stehen zweihundert Millionen in Russland gegenüber. Russland ist mit seinen zweihundert Millionen Einwohnern die größte weiße Nation auf der Erdoberfläche. Und doch, sollte Gott an Zahlen interessiert sein, dann müsste Er Indien noch lieber als Russland haben; denn wenn Russland auch zweihundert Millionen Einwohner hat, so gibt es doch in Indien vierhundert Millionen Einwohner, also genau doppelt so viel. Aber nun noch eins zum Schluss: Sollte Gott wirklich an Zahlen interessiert sein, dann müsste Ihn China noch mehr als Indien interessieren; denn wenn auch in Indien vierhundert Millionen Menschen leben, so sind doch in China siebenhundert Millionen Menschen. China ist die größte Nation der Welt. Jedes vierte Kind, das auf dieser Welt geboren wird, ist ein Chinese. Irgendjemand hat einmal gesagt: »Gott muss doch die Chinesen sehr lieb haben, weil Er sie so zahlreich erschaffen hat.«
Vom zahlenmäßigen Standpunkt aus gesehen ist mein Vaterland, das Dominion Kanada, nur wie eine Stecknadel auf der Landkarte. Und wenn die Fluten des Atlantischen und des Pazifischen Ozeans sich über Nacht erheben würden und Kanada überschwemmten, dann wäre am andern Morgen nach meiner Schätzung in den amerikanischen Zeitungen eine 2,5 cm breite Notiz zu lesen, die besagen würde: »Gestern abend ist Kanada aus der Völkerfamilie verschwunden.« Gerade so viel sind wir wert, nicht mehr. Wenn es auf die Zahlen ankommt, dann beläuft sich unser Wert nicht sehr hoch. Warum sollten wir uns selbst denn dann noch als das Volk betrachten? Warum sollten wir in unserer Ansicht so engstirnig sein? Warum sollten wir uns für wichtiger halten als irgendein anderes Volk auf dem weiten Erdenrund? Warum sollte Gott an uns mehr interessiert sein als an anderen Nationen? O dass Er uns einen weiten Blick schenken möge, dass wir die Welt mit Seinen Augen sähen, damit wir für die Evangelisierung der ganzen Welt arbeiteten, der Welt, für die Christus starb. Ach, dass wir die Welt so sehen möchten, wie Er sie sieht!
Die Hauptaufgabe
Nun wollen wir ein anderes Wort aus unserem Motto betrachten, das Wort »die Hauptaufgabe«. Die Hauptaufgabe der Gemeinde Jesu Christi ist die Evangelisierung der Welt.
Wenn die Weltevangelisierung unsere alleroberste Aufgabe ist, dann sollten wir alles andere stehen und liegen lassen, wenn eine Missionskonferenz abgehalten wird, und bei jeder einzelnen Versammlung zugegen sein, sonst setzen wir ja etwas anderes an die erste Stelle und glauben gar nicht, dass sie wichtiger als alles andere ist. Durch unsere Tat beweisen wir damit, dass wir die Missionsarbeit erst an die zweite Stelle setzen.
Zweitens, steht die Weltevangelisierung wirklich an erster Stelle bei uns, dann konzentrieren wir uns mit unsern Gaben auf die Mission und überlassen es anderen, die diesen Blick und diese Erkenntnis nicht haben, ihr Geld für andere Zwecke zu geben. Es wird dann doch immer noch genug für die Arbeit in der Heimat übrig bleiben; denn es gibt immer noch Menschen, denen die Arbeit in der Heimat vorgeht. Die vielen wertvollen Werke der Inneren Mission werden doch noch genügend Unterstützung finden, da ja doch nur die kleine Minderheit an der Hauptaufgabe der Gemeinde Jesu Christi innerlich ganz beteiligt sein wird.
Setzen wir die Äußere Mission an die erste Stelle, so werden unsere Gaben für die Mission größer sein als unser Beitrag für irgendeine andere Sache. Sonst haben wir eben den allerersten Platz einer anderen Sache eingeräumt. Wir haben Geschäftsleute unter uns, von denen jeder sein eigenes Geschäftsunternehmen leitet. Nun gibt es einen Zweig in deinem Unternehmen, den du für weit wichtiger hältst als alle übrigen Zweige. Wo wirst du nun vorwiegend dein überschüssiges Geld anlegen? Doch natürlich in dem wichtigsten Zweig! Aber warum denn? Weil du den wichtigsten Zweig deines Geschäftsunternehmens am meisten ausbauen willst. Genauso verhält es sich auch mit der Missionsarbeit. Wenn die Weltevangelisierung die allerwichtigste Arbeit ist, die die Gemeinde Jesu zu leisten hat, dann sollten wir auch unser Geld in diesen wichtigsten Teil unserer Arbeit stecken. Andernfalls haben wir die Mission eben nicht an die erste Stelle gesetzt und glauben es nicht, dass die Evangelisierung der Welt die oberste Aufgabe der Kirche Christi ist. Ich kenne sehr wenige Reichsgottesarbeiter, die es wirklich glauben, dass die Evangelisierung der Welt ihre allerwichtigste Aufgabe ist.
Das führt mich zu der Feststellung, dass jede Gemeinde mehr für die Mission als für sich selbst ausgeben sollte. Das ist doch logisch! Wenn wir glauben, dass an erster Stelle die Weltevangelisierung steht, dann werden wir mehr Geld an den jenseits liegenden Gebieten anlegen, als wir für uns hier in der Heimat verbrauchen.
»Aber«, wirst du mich jetzt fragen, »wie steht es denn damit in deiner eigenen Kirche? Wie verhält sich die ›Volkskirche‹ (The Peoples Church) in Toronto, der du als Pfarrer vorstehst, in diesem Punkt? Gibt denn deine Gemeinde für die Äußere Mission mehr Geld, als sie für sich selbst ausgibt?« Ich freue mich, an dieser Stelle sagen zu dürfen, dass in keinem einzigen Jahr, seit ich Pfarrer in der »Volkskirche« bin, für unsere Gemeindebedürfnisse auch nur annähernd so viel gebraucht worden ist, wie wir auf die Missionsfelder der Erde