»Und was hast du gemacht?«, unterbrach ihn Satan, der ungeduldig auf den Höhepunkt der Erzählung brannte.
»Zuerst berief ich die Heerscharen der Finsternismächte unter meinem Befehl zu einer Beratung. Es wurden viele Vorschläge gemacht. Endlich einigten wir uns auf das einfachste Mittel: sie erfrieren zu lassen.
Da sie gerade nach diesem entfernt wohnenden Stamme aufgebrochen waren und höchstwahrscheinlich einen vollen Monat zur Durchquerung der dazwischenliegenden Eisfelder brauchten, machten wir uns sogleich an die Arbeit. Sie waren mit brennendem Herzen hinausgezogen, das Evangelium zu verkündigen. Mutig stapften sie voran. So verstrich etwa eine Woche. Eines Tages fuhr ihr Verpflegungsschlitten plötzlich über eine dünne Eiskruste; sie barst unter der Last auseinander, und im nächsten Augenblick war der Schlitten verloren.
Tapfer schleppten sie sich vorwärts, trotz Müdigkeit und Erschöpfung. Sie waren in einer hilflosen Lage und dabei noch über drei Wochen von ihrem Ziel entfernt. Als Neulinge im hohen Norden waren sie den Schwierigkeiten dieses großen Landes nicht gewachsen.
Als sie schließlich gar nichts mehr zu essen hatten, müde und ausgemergelt waren und fast die Flinte ins Korn werfen wollten, gab ich das Signal zum Angriff. – In kurzer Zeit schwoll der Wind zum Orkan an. Dichtes Schneegestöber setzte ein. Und weil du, o mein Gebieter, Herrscher der Gewalten in der Luft bist, waren sie vor Morgengrauen ein Opfer des Todes, kalt und steif.«
»Ausgezeichnet! Großartig! Du hast mir gut gedient«, bemerkte der gefallene Cherub mit dankbarem Lächeln auf seinem einst schönen Gesicht.
»Und was hast du mir zu melden?«, wandte er sich nun an den Fürsten von Tibet, der mit sichtlicher Befriedigung der Unterhaltung gelauscht hatte.
»Auch ich kann mit einem Bericht aufwarten, der Eure Majestät mit größter Freude erfüllen wird«, entgegnete der Angeredete.
»Ha, Fürst, hat man denn auch versucht, in dein Reich einzudringen?«, fragte der Satan mit wachsendem Interesse.
»Jawohl, das schon«, antwortete der Fürst.
»Wie? Erzähl doch!«, drängte der Satan gespannt.
»Ich tat meine Pflicht im Herzen Tibets«, erläuterte der Fürst, »als mir plötzlich zu Ohren kam, dass sich eine Gesellschaft eigens zu dem Zweck gebildet hat, das Evangelium in mein Reich zu tragen. Du kannst dir denken, mein Herr, dass ich sofort auf dem Posten war. Ich berief meine Heere zu einer eingehenden Besprechung, und bald hatten wir einen Plan ausgeheckt, der guten Erfolg verhieß.
Zwei Männer, die von dieser Gesellschaft ausgesandt waren, kamen mit großer Entschlossenheit durch China und überschritten kühn die Grenze des ›Verbotenen Landes‹. Wir ließen sie etwa drei Tagesreisen weit hereinkommen; dann, als die Dunkelheit hereinbrach, wurden sie von zwei wilden Hunden angefallen, die dort sehr häufig sind. Mit äußerster Verzweiflung kämpften sie um ihr Leben, doch schließlich wurde einer von ihnen zu Boden gerissen und getötet. Den anderen jedoch schützten unsichtbare Mächte, die wir nicht überwinden konnten. Er entkam.«
»Was, er entkam!?«, schrie Satan mit scheußlicher Gebärde.
»Er konnte entfliehen!? Hat er ihnen die Botschaft gebracht?«
»Nein, mein Herr«, antwortete der Fürst von Tibet im Brustton der Überzeugung. »Dazu hatte er keine Gelegenheit. Bevor er auch nur ein Wort der Sprache erlernen konnte, hetzten unsere Heerscharen die Eingeborenen auf ihn. Er wurde schnell vor ein Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Das war eine Szene, die Euer Majestät das höchste Vergnügen bereitet hätte. Sie nähten ihn in eine nasse Büffelhaut ein und ließen ihn dann in der Sonne braten. Drei Tage lang währte es. Die Haut schrumpfte immer mehr zusammen, langsam krachten seine Knochen, bis endlich das Leben entflohen war.«
Während der Fürst von Tibet sprach, hatte sich das Zimmer rasch immer mehr gefüllt, und als er seinen Bericht beendet hatte, brach die ganze Versammlung in lauten Beifall aus. Alle beugten sich in Ehrfurcht vor der majestätischen Gestalt Satans, der noch immer schön zu nennen war, trotz der entstellenden Spuren der Sünde.
Doch schon einen Augenblick später legte sich der Jubel. Eine Handbewegung Satans ließ sie alle verstummen.
Er wandte sich an einen anderen gefallenen Engel: »Und was hast du zu berichten, mein Fürst? Bist du noch unumschränkter Herr von Afghanistan?«
»Jawohl, Eure Majestät«, erwiderte der Angeredete; »doch möchte ich bezweifeln, ob ich es allein geschafft hätte ohne die Hilfe meiner tapferen Getreuen.«
»Dann ist dein Reich also auch angegriffen worden?«, schrie Satan laut.
»Jawohl, mein Gebieter«, entgegnete der Fürst. »Aber hör nur mal zu, ich will alles der Reihe nach erzählen.«
Mit einer Handbewegung verschaffte er sich Ruhe, dann begann er:
»Wachsam beobachteten wir ihr Vorrücken; sie waren zu viert – alle beseelt von dem einen brennenden Eifer, Ihn zu verkündigen.
Nun weißt du doch, mein Herr, dass jeder Reisende gleich an der Grenze meines Königreichs auf ein Plakat mit folgender Inschrift stößt:
›Afghanisches Hoheitsgebiet! Überschreiten der Grenze strengstens verboten!‹
Sie knieten rings um die Warnungstafel nieder und beteten; aber trotzdem behielten unsere tapferen Heere die Oberhand. In fünfzehn Meter Entfernung von dem Plakat saß ein afghanischer Wachtposten auf einem Haufen Felsblöcke, sein Gewehr im Anschlag. Nach dem Gebet machte sich die kleine Gesellschaft mutig auf und überschritt die Grenze in das ›Verbotene Land‹. Der Posten ließ sie noch zwanzig Schritte herankommen, wie der Blitz feuerte er dann drei Schüsse ab, und drei von ihnen stürzten zu Boden. Zwei waren tot, der dritte verwundet. Hastig zerrte sein Kamerad den Verwundeten zurück zur Grenze, wo er nach kurzem Krankenlager starb. Der letzte im Bunde verlor den Mut und floh aus dem Land.«
Lang anhaltendes Beifallsgeschrei folgte auf diesen Bericht. Alle frohlockten, Satan selbst am meisten. War er denn nicht noch im Besitz der »Verbotenen Länder«, hatte er nicht auf der ganzen Linie gesiegt? Seine ungezählten Horden hätten dafür gesorgt, dass die Frohe Botschaft noch abgewehrt worden war; noch hatte niemand dort den gefürchteten Namen vernommen.
»Mächtiger Gebieter, willst du uns nicht sagen, warum du so ängstlich darauf bedacht bist, gerade aus unseren Reichen diese Erkenntnis fern zu halten? Weißt du nicht, dass starke Heereskräfte in die Königreiche des Fürsten von Indien, des Fürsten von China und Seiner königlichen Hoheit des Fürsten von Afrika eingedrungen sind und dass sich täglich Menschen zu Christus bekehren?«
»O ja, das weiß ich nur zu gut; doch passt auf, ich will euch erklären, warum ich so eifersüchtig über den verschlossenen Ländern wache«, antwortete Satan, während alle gespannt an seinem Munde hingen.
»Es gibt mehrere Weissagungen«, hob er nun an, »die wohl am besten in dieser einen zusammengefasst sind: ›Es wird gepredigt werden das Evangelium vom Himmelreich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen‹« (Matthäus 24, V. 14). Leiser fuhr er dann fort: »Nun liegt es ja auf der Hand, dass Gott die Heiden heimsucht, ›um sich aus ihnen ein Volk für Seinen Namen zu erwählen‹, und ›danach‹, spricht Er, ›will Ich wiederkommen‹ (Apostelgeschichte 15, V. 14–16). Weiter heißt es im großen Missionsbefehl, dass alle Völker gelehrt und zu Jüngern gemacht werden sollen (Matthäus 28, V. 18–20).
Also kann Jesus Christus nicht zurückkehren, um hier zu herrschen«, rief er ingrimmig, »bis alle Völker die Frohe Botschaft vernommen haben; denn es steht weiter geschrieben: ›Ich sah eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen